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# taz.de -- Tod im Polizeigewahrsam in Delmenhorst: Qosay K. bekam keine Luft
> Die Eltern von Qosay Khalaf fordern öffentlich Aufklärung. Für ihre
> Anwältin ist klar, dass er an Sauerstoffmangel starb.
Bild: 250 Menschen demonstrierten auf dem Delmenhorster Marktplatz wegen des To…
Delmenhorst taz | Auch einen Monat nachdem der 19-jährige Qosay Sadam
Khalaf in Delmenhorst [1][im Polizeigewahrsam kollabiert und später
gestorben] ist, sind viele Fragen offen. Die Staatsanwaltschaft Oldenburg
hat Ermittlungen aufgenommen. Für die Hinterbliebenen stellen sich Fragen:
Woran starb Qosay Khalaf? Wie ist der Polizeieinsatz abgelaufen? Wurde
Qosay Khalaf ärztliche Hilfe verweigert? Was geschah im Polizeigewahrsam
und warum wurde der 19-Jährige überhaupt dorthin gebracht?
Etwa 250 Menschen folgten am Ostersamstag dem Aufruf des „Bündnis in
Erinnerung an Qosay – Solidarisch gegen Polizeigewalt!“ auf den
Rathausplatz von Delmenhorst. Sie forderten Erinnerung und Gerechtigkeit.
Zum ersten Mal äußerten sich die Eltern und ein Cousin öffentlich. Bisher
hatten die Hinterbliebenen ihr Vertrauen in die Behörden bekräftigt und
darum gebeten, von Demonstrationen abzusehen – nun geht auch die Familie
auf die Straße.
Auf kurdisch wandte sich der Vater des jungen Mannes, Sadam Khalaf, an die
Teilnehmer*innen. Mit ernster, durchdringender Stimme und einer weißen Rose
in der Hand bedankte er sich für die zahlreiche Anteilnahme. „Hier zählt
nur das Herz – und dass alle für Gerechtigkeit da sind“, übersetzte Cousin
Barsan Mehdi seine Worte.
Wenig später wandte sich auch die Mutter des Jungen, Sameera Haji, an die
Menge und erzählte, dass Qosay am Nachmittag des 5. März noch kerngesund
gewesen sei und zu Hause gegessen habe. Um 0.40 habe dann die Polizei an
ihrer Tür geklingelt – und ihr mitgeteilt, dass ihr Sohn in einem
kritischen Zustand sei.
## Als die Mutter in der Klinik ankam, war Qosay „quasi“ tot
Qosays Vater sei zu dem Zeitpunkt nicht zu Hause gewesen. Die Geflüchtete
musste mit ihrem zweiten Sohn in das etwa 40 Kilometer entfernte
Krankenhaus fahren. Als sie dort schließlich ankam, sei Qosay voller Blut
und quasi tot gewesen, übersetzte Barsan ihre Schilderung der Ereignisse.
Sie werde alles für Gerechtigkeit geben.
Die Bremer Anwältin Lea Voigt, die zusammen mit ihrem Kollegen Cahit Tolan
die Familie vertritt, nahm ebenfalls an der Kundgebung teil. Sie versteht
das geschilderte, „unsensible“ Vorgehen der Polizei nicht.
Zunächst hatte es [2][keine Ermittlungen gegen die eingesetzten
Polizist*innen] gegeben. Doch die Anwält*innen der Familie stellten
Strafantrag. Nun werde „wegen aller in Betracht kommender Straftaten“ gegen
die eingesetzten Polizist*innen und Rettungssanitäter*innen
ermittelt, teilt die Staatsanwaltschaft Oldenburg mit. Diese seien noch
nicht namentlich bekannt. Das Ergebnis einer toxikologischen Untersuchung
fehlt ebenfalls immer noch. Das Anwält*innen-Team der Familie wartet
momentan noch auf Akteneinsicht.
Es sei aber klar, sagt Voigt, dass der Sohn ihrer Mandant*innen gesund
war und im Zuge des Polizeieinsatzes so schweren gesundheitlichen Schaden
nahm, dass er starb. „Laut dem Obduktionsgutachten, welches die Familie in
Auftrag gegeben hat, starb Qosay K. an einem sauerstoffmangelbedingten
Herz-Kreislauf-Versagen“, so die Anwältin.
Ein Zeuge hatte schon früher berichtet, Qosay K. habe bereits im Park
gesagt, er bekomme keine Luft. „Ihm wurde offensichtlich nicht geholfen,
das wurde nicht erkannt – oder man wollte das nicht erkennen“, sagt Voigt.
Die Staatsanwaltschaft Oldenburg hatte in einer ersten Stellungnahme
[3][äußere Gewalt als Todesursache ausgeschlossen]. Woran der 19-Jährige
dann gestorben ist, lässt sie weiterhin offen. Die zweite Obduktion zeige
klar: „Es gab äußere Gewalt“, so Anwältin Voigt. An verschiedenen Stellen
des Körpers gebe es Einblutungen, die auf Gewalteinwirkung hinweisen.
Das zeigen auch Fotos aus dem Krankenhaus, die der taz vorliegen. Auf den
Bildern sind Abschürfungen, blutige Wunden und dunkle Flecken auf der Haut
zu sehen. Voigt geht deswegen davon aus, dass Zwangsmittel eingesetzt
wurden. „Wann, wo und wie genau, ist unklar.“
Der 19-jährige Qosay hatte sich am frühen Abend des 5. März mit einem
Freund im Wollepark im niedersächsischen Delmenhorst getroffen.
Zivilpolizist*innen wollten ihn wegen „mutmaßlichen
Betäubungsmittelkonsums“ kontrollieren. Laut einer Pressemitteilung der
Polizei sei Qosay weggelaufen. Dabei soll es zu einer Konfrontation mit den
Beamt*innen gekommen sein. Die Polizei setzte Pfefferspray ein und
„fixierte“ den jungen Mann.
Die Schilderungen der Ereignisse gehen an dieser Stelle auseinander. Ein
Augenzeuge sagt, die Polizei habe Qosay Wasser verweigert und die
Sanitäter*innen hätten ihn nicht richtig versorgen wollen. Die Polizei
behauptet, der junge Mann habe die ärztliche Hilfe abgelehnt. Im
Polizeigewahrsam soll Qosay gegen 20 Uhr kollabiert sein. Am Samstagabend
verstarb er dann in einem Krankenhaus in Oldenburg.
## Vor dem Völkermord des IS geflüchtet
Barsan Mehdi, der Cousin von Qosay, erzählt, dieser sei als Jugendlicher
von seinem Vater aus Südkurdistan nach Europa geschickt worden, um dem
[4][Völkermord an den Yezid*innen] durch die Terrormiliz Islamischer
Staat zu entgehen. In Delmenhorst angekommen, habe Qosay in der Pizzeria
der Familie von Barsan Mehdi gearbeitet. Sein Erspartes habe sein Cousin
immer zu seiner im Krisengebiet verbliebenen Familie geschickt.
Mit seinem Anwalt habe er dann einen [5][Familiennachzug] eingeklagt. Nur
Qosays Schwester musste im Irak bleiben, weil sie schon volljährig war. „Er
wird sie in diesem Leben nie wieder sehen“, sagt Mehdi. Nun versuche die
Familie erneut eine Familienzusammenführung. Die Stadt wolle sie
unterstützen.
Das „Bündnis in Erinnerung an Qosay“ will auch zukünftig für lückenlose
Aufklärung und Gerechtigkeit auf die Straße gehen. „Wir wollen gemeinsam
ein Zeichen gegen Polizeigewalt setzen – denn es geht auch um unsere
Sicherheit, um unsere Zukunft und um die unserer Kinder“, sagte Barsan
Mehdi. Mindestens [6][181 Tote habe es schon in Deutschland in
Polizeigewahrsam] gegeben. „Rassismus und Polizeischikanen“ müssten
aufhören.
Die Polizei hielt sich während der Kundgebung zunächst im Hintergrund auf.
Als Männer mit in die Luft gereckten Fäusten um eine Gedenktafel mit Qosays
Foto standen, filmten Beamt*innen aus einem Fenster des Delmenhorster
Rathauses die Menge und auch die mit zum Himmel erhobenen Armen
schluchzende Mutter des Jungen – um mögliche Verstöße gegen die
Corona-Schutzverordnung zu dokumentieren, wie die Polizei auf taz-Anfrage
mitteilte.
6 Apr 2021
## LINKS
[1] /Todesfall-in-Polizeigewahrsam/!5756248
[2] /Trauerfeier-nach-dem-Tod-von-Qosay-K/!5755031
[3] https://staatsanwaltschaft-oldenburg.niedersachsen.de/startseite/aktuelles/…
[4] /Nutzniesser-das-Bamf-Skandals/!5508690
[5] /Wenige-Visa-fuer-Familiennachzug/!5647600
[6] /Gewalt-bei-der-Polizei/!5757873
## AUTOREN
Michael Trammer
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