| # taz.de -- Ermittlungen im Fall Qosay Khalaf: Trotz offener Fragen eingestellt | |
| > In Delmenhorst starb im März ein 19-Jähriger nach Polizeigewahrsam. Immer | |
| > noch ist ungeklärt, wie genau es zu seinem Tod kam. | |
| Bild: Trauer nach dem Tod von Qosay Khalaf: Bank im Delmenhorster Wollepark im … | |
| Hannover taz | In der Nacht vom 5. auf den 6. März dieses Jahres änderte | |
| sich das Leben der Familie Khalaf schlagartig. Das älteste Kind der | |
| Yezid*innen, die vor dem Völkermord des sogenannten „Islamischen Staats“ | |
| nach Deutschland geflüchtet waren, der 19-jährige Qosay Sadam Khalaf, | |
| [1][verstarb in einem Oldenburger Krankenhaus.] Wie genau es zu dem Tod | |
| kam, ist bis heute nicht final geklärt. | |
| Die Polizei hatte Khalaf im Wollepark in Delmenhorst beim Kiffen erwischt, | |
| er rannte weg, widersetzte sich, wurde daraufhin „fixiert“ und in Gewahrsam | |
| genommen – so hieß es im Polizeibericht. Vor Ort habe der Rettungsdienst | |
| ihn untersucht und keinen Anlass für eine weitere Versorgung gesehen. In | |
| der Zelle im Revier sei Khalaf dann kollabiert und in das Krankenhaus | |
| gebracht worden, in dem er später verstarb. | |
| Zweifel an der Darstellung der Polizei nährten die Aussagen eines Freundes, | |
| mit dem Khalaf unterwegs war. Seine Schilderungen weichen stark vom | |
| Polizeibericht ab. So sagt der 23-Jährige, der sich Hamoudi nennt, als er | |
| von Polizist*innen zum Festnahmeort gebracht worden sei, hätten andere | |
| Beamt*innen auf Khalafs Rücken gekniet. Der habe um Wasser gebettelt und | |
| gesagt, er bekomme keine Luft. | |
| Geholfen habe ihm niemand, auch nicht die dazugerufenen Sanitäter*innen. | |
| Die hätten Qosay nicht ernst genommen, so Hamoudi. | |
| Vom Rettungsdienst und der Polizei hieß es daraufhin, man führe eben kein | |
| Wasser mit sich. Öffentlich wurde das alles überhaupt nur, weil das | |
| NDR-Politmagazin „Panorama“ und die taz unabhängig voneinander zu dem Fall | |
| [2][recherchierten] und sich Freund*innen und Verwandte mit einem Bündnis | |
| an die Öffentlichkeit wandten. | |
| Anfangs sah man in Delmenhorst gar keinen Grund für Ermittlungen. Früh | |
| sprang der Oldenburger Polizeipräsident Johann Kühme für die eingesetzten | |
| Beamt*innen in die Bresche: „Sie haben mein volles Vertrauen.“ Zu | |
| Ermittlungen kam es erst, nachdem die Familie Anzeige erstattet hatte. | |
| Die Anwältin der Hinterbliebenen, Lea Voigt, kritisierte in der taz das | |
| Vorgehen der Ermittlungsbehörden: „Qosay wurde nach den Schilderungen des | |
| Zeugen nicht geholfen, das wurde nicht erkannt oder man wollte das nicht | |
| erkennen. Rennen, Panik, Fixierung, Pfefferspray, Bauchlage – wie haben | |
| diese Faktoren gewirkt?“, fragte sie im April. | |
| [3][Alle Ermittlungen wurden mittlerweile eingestellt.] Dagegen legten die | |
| Angehörigen des Verstorbenen Widerspruch ein. Nach Sach- und Rechtslage | |
| halte man die Entscheidung für richtig, sagte die Sprecherin der | |
| Generalstaatsanwaltschaft Oldenburg, Carolin Castagna, zuletzt zur taz. Die | |
| Ermittlungen seien geprüft worden. | |
| Mit einem Klageerzwingungsverfahren versucht die Familie nun, weitere | |
| Ermittlungen zu erreichen. Im neuen Jahr wird eine Entscheidung erwartet. | |
| Wenn sie Erfolg haben, müsste wieder in dem Fall ermittelt werden. | |
| Ob wirklich alle Möglichkeiten zu Ermittlungen ausgereizt wurden, ist | |
| fraglich. Die Telefone und Kommunikation der Beschuldigten zu prüfen, | |
| darauf kam die Staatsanwaltschaft zum Beispiel wohl nicht, sagt Anwältin | |
| Voigt auf Nachfrage der taz. Zumindest finde sich davon offenbar nichts in | |
| den Ermittlungsakten. Dabei hatte erst jüngst ein Fall aus Köln gezeigt, | |
| dass es möglicherweise Polizist*innen gibt, die sich in Chats zum | |
| besonders harten Vorgehen bei Kontrollen verabreden. | |
| Ist so ein Verdacht gegen die Polizei Delmenhorst angebracht? Zumindest | |
| lassen sich mit einfacher Onlinerecherche rechtsextreme Symbole bei dort | |
| arbeitenden Polizist*innen finden. So zitiert eine Lokalzeitung einen | |
| Polizisten des Reviers mit den Worten: „Nur weil ich Uniform trage, bin ich | |
| kein Freiwild.“ Auf den Fotos von einem Sicherheitstraining für | |
| Einsatzkräfte der Feuerwehr trägt er einen „Punisher Skull“ – ein belie… | |
| rechtsextremes Symbol, das im Zuge der „Thin Blue Line“-Bewegung in den USA | |
| bekannt wurde. | |
| Unter migrantischen Jugendlichen in Delmenhorst ist der Beamte für seine | |
| Sprüche und sein hartes Vorgehen bekannt, schilderten unabhängig | |
| voneinander verschiedene Jugendliche aus dem Wohngebiet um den Wollepark. | |
| In die tödliche Kontrolle Qosay Khalafs war er offenbar nicht verwickelt, | |
| ist aber auf dem zuständigen Revier tätig. Die Anwohner*innen des | |
| Wolleparks berichteten auch von wiederholten anlasslosen Kontrollen. | |
| Derartige Vorwürfe hat die Polizei immer wieder als absurd abgetan. | |
| ## Superabsorber im Bauch | |
| Stattdessen untersuchten die Ermittler*innen eine ominöse Vergiftung, | |
| die Khalafs Magenschleimhaut angegriffen hatte. Am Ende hieß es, es handle | |
| sich um einen chemischen Superabsorber. Diese werden etwa in Babywindeln | |
| eingesetzt, um Flüssigkeit aufzunehmen, kommen aber auch in der Medizin zum | |
| Einsatz. Wie der Superabsorber in den Bauch des 19-Jährigen gelangt war und | |
| welche Rolle er bei seinem Tod spielte – das ist nach wie vor ungeklärt. | |
| Die Staatsanwaltschaft äußerte sich lange nicht zu dem mutmaßlich | |
| konsumierten oder gefundenen Betäubungsmittel. Das ließ Raum für | |
| rassistisch aufgeladene Spekulationen über harte Drogen. Am Ende zeigte | |
| sich: Khalaf hatte lediglich Gras geraucht. | |
| Der Fall Qosay Khalaf reiht sich ein in die 203 von der Kampagne „[4][Death | |
| in custody]“ dokumentierten Fälle seit 1990, in denen von Rassismus | |
| betroffene Personen in Gewahrsam und durch Polizeigewalt in Deutschland | |
| starben. | |
| Laut Barsan Mehdi, Khalafs Cousin, versucht die Familie heute vor allem, | |
| ihr Leben wieder einigermaßen in den Griff zu bekommen. „Sie leiden immer | |
| noch täglich unter dem Verlust, weil ihnen Qosay so gewaltvoll genommen | |
| wurde“, sagt Mehdi. „Wenn ich an Qosay denke, kommt alles wieder hoch. | |
| Trauer und Wut.“ | |
| 29 Dec 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Michael Trammer | |
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