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# taz.de -- Polizeigewalt in Delmenhorst: Versehentlich beim Schlagen gefilmt
> Ein Polizist schlug einen Zelleninsassen mehrmals mit dem Kopf gegen die
> Wand. Offenbar aus Versehen filmte der Polizist sich dabei mit der
> Bodycam.
Bild: Sind umstritten, doch könnten in Delmenhorst Polizeigewalt nachweisen: B…
Delmenhorst taz | Alle, die der Nutzung von Bodycams kritisch gegenüber
stehen, hätten die Vorkommnisse der letzten Woche in Delmenhorst wohl für
unwahrscheinlich gehalten: Ein [1][Polizist] hat sich – mutmaßlich aus
Versehen – selbst dabei gefilmt, wie er einen alkoholisierten, suizidalen
41-Jährigen zweimal mit dem Kopf gegen die Wand der Gewahrsamszelle schlug.
Einmal, als er diesen in die Zelle stieß. Ein anderes Mal, weil dieser
seine Hose nicht ausziehen wollte. Dabei waren auch der Vorgesetzte und der
Streifenpartner des 28-Jährigen anwesend.
So schreibt es die Polizei Oldenburg in einer Pressemitteilung vom 2. Juni.
Aufgefallen sei das bei einer Sichtung durch einen weiteren Beamten. Der
habe den Vorfall gemeldet. Nun laufen Disziplinarverfahren gegen die
Beteiligten. Der 28-Jährige, der seinen Gewaltexzess filmte, ist
suspendiert. Außerdem wird wegen des Verdachts der Körperverletzung im Amt
ermittelt. Der Vorgesetzte wurde intern versetzt.
Es ist jedoch nicht das erste Mal, dass es zu Ungereimtheiten auf dem
Delmenhorster Revier kommt und der Verdacht im Raum steht, Polizeibeamte
der Inspektion könnten übermäßig Gewalt anwenden. In den letzten drei
Jahren wurden hier laut Pressestelle der Polizei Oldenburg bereits neun
Verfahren wegen des Verdachts der Körperverletzung im Amt geführt.
## Erinnerung an gestorbenen Qosay Khalaf
Im März vergangenen Jahres starb zudem der 19-jährige jesidische
Geflüchtete [2][Qosay Khalaf] nach Polizeigewahrsam in Delmenhorst. Weil er
Cannabis rauchte, wollten Beamte ihn im örtlichen Wollepark kontrollieren.
Als er wegrannte, kam es zur Konfrontation. Die Polizisten setzten
Pfefferspray ein. Ein Augenzeuge beschrieb der taz, dass ein Beamter auf
Khalafs Oberkörper gekniet habe. Der habe sich beschwert, er bekomme keine
Luft und brauche Wasser. Geholfen habe ihm niemand – auch nicht der
hinzugezogene Rettungsdienst. In der Zelle soll Khalaf dann kollabiert und
in ein Krankenhaus gebracht worden sein, wo er verstarb.
Nach einer von der Polizei veranlassten Obduktion hieß es zunächst, der Tod
des jungen Mannes sei nicht auf äußere Gewalteinwirkung zurückzuführen.
„Summarisch bestanden Zeichen mäßig intensiver stumpfer und schürfender
Gewalteinwirkung gegen Kopf, Rumpf und Extremitäten“, hieß es in einer
zweiten, von Khalafs Hinterbliebenen veranlassten Obduktion. Gestorben ist
Khalaf letztendlich an einem durch Sauerstoffmangel bedingten
Herz-Kreislaufversagen.
Die [3][Ermittlungen] gegen die eingesetzten Polizist*innen und
Rettungssanitäter*innen sind mittlerweile eingestellt. Auch ein
Klageerzwingungsverfahren ist gescheitert.
Laut Rechtsanwältin Lea Voigt, die Khalafs Familie vertritt, hat diese
Verfassungsbeschwerde eingereicht. „Meine Mandant*innen wehren sich
dagegen, dass die Oldenburger Justiz die Ermittlungen für beendet erklärt
hat. Neben der restlosen Aufklärung der Todesumstände verlangen sie, dass
diejenigen, die Qosay nicht geholfen haben, als er sichtlich unter den
Folgen eines Pfeffersprayeinsatzes litt, zur Verantwortung gezogen werden“,
so Voigt.
## Grüne Jugend sieht Innenminister Pistorius in der Pflicht
Gerade die aktuellen Ereignisse lassen den Fall Khalaf noch mal in einem
anderen Licht erscheinen, auch wenn es sich laut Pressestelle der Polizei
Oldenburg nicht um die gleichen Beamten handelt. Früh wischte der
Polizeipräsident von Oldenburg, Johann Kühme, damals jegliche
Anschuldigungen gegen Polizist*innen im Fall vom Tisch. „Absurd und
infam ist die Unterstellung, dass bei der Delmenhorster Polizei
Zelleninsassen zusammengeschlagen werden“, hieß es damals von Kühme. Die
Kolleg*innen hätten sein vollstes Vertrauen.
Zum aktuellen Fall heißt es nun, das „vermeintliche Opfer“ sei schon am
nächsten Tag nach ärztlicher Untersuchung als offiziell „unverletzt“ nach
Hause entlassen worden. Der Mann habe allenfalls leichte Blessuren
davongetragen.
Die Grüne Jugend fordert vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse, dass
die Ermittlungen im Fall Khalaf wieder aufgenommen werden. „Die Polizei
soll Sicherheit gewähren und tut genau das Gegenteil“, so Pia Scholten,
Pressesprecherin der Grünen Jugend. Das strukturelle Problem Polizeigewalt
bedürfe struktureller Lösungen. Deswegen solle eine Treuhandstelle
etabliert werden, in der Aufnahmen von Bodycams einsehbar sind und eine
Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Polizeigewalt eingeführt werden. „Wir
fordern lückenlose Aufklärung und Konsequenzen. Hier ist Innenminister
Pistorius in der Pflicht“, so Scholten.
Gründe, um in Delmenhorst ordentlich zu ermitteln, gibt es eigentlich
genügend: So posiert etwa ein Beamter des Reviers im Weser-Kurier mit einem
extrem rechten „Punisher Skull“- Patch, das in rechten Polizeikreisen für
die Unantastbarkeit der Exekutive steht. Außerdem sagte er bei einem
Selbstverteidigungskurs, den er für Einsatzkräfte gab, er wolle kein
Freiwild in Uniform sein. Immer wieder berichteten außerdem
Anwohner*innen des Wolleparks in Delmenhorst der taz, dass es zu
anlasslosen Kontrollen käme, die rassistisch motiviert seien.
Sükrü C. sagte etwa der taz: „Manche Beamte reagieren anders, mit viel mehr
Emotionen, mit viel mehr Hass.“ Weitere Anwohner*innen berichteten der
taz, auch sie hätten Gewalterfahrungen in der Gewahrsamszelle gemacht.
Belegen ließen sich solche Behauptungen bis zum 2. Juni nicht. Die Zellen
sind zwar mit einer Live-Videoübertragung ausgestattet, aufgezeichnet
werden dürften diese jedoch nicht, so die Staatsanwaltschaft Oldenburg auf
Anfrage.
10 Jun 2022
## LINKS
[1] /Tod-nach-Polizeieinsatz-in-Hamburg/!5831019
[2] /Todesfall-in-Polizeigewahrsam/!5756248
[3] /Ermittlungen-im-Fall-Qosay-Khalaf/!5821955
## AUTOREN
Michael Trammer
## TAGS
Polizeigewalt
Polizei Niedersachsen
IG
Schwerpunkt Rassismus
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
psychische Gesundheit
Schwerpunkt Rassismus
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
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