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# taz.de -- Antisemitismus und Israel: Das große Poltern
> Während es eine neue Antisemitismusdefinition geben soll, versuchen
> postkoloniale Theoretiker mit allerlei Furor, sich weiter durchzusetzen.
Bild: Immer wieder wiederholt, aber dennoch falsch: Der Apartheidsvorwurf gegen…
Kaum war das Dokument vorige Woche öffentlich lanciert, gab es im Netz
Reaktionen darauf zu lesen, die irgendwie klangen, als sei es in
allerletzter Minute gelungen, ein Verhängnis, ein Missverständnis, einen
fatalen Prozess zu bannen: „Endlich!“, „Wie gut …“ oder auch „Erlei…
…“: [1][„The Jerusalem Declaration“.] Auch in der [2][taz] zustimmend
kommentiert, formulierte diese, was so vielen Linken und Linksliberalen auf
dem Herzen liegt.
Dass nämlich hinter der sogenannten „Israelkritik“ sich gar nicht „per s…
Antisemitismus verberge, dass die internationale Bewegung namens BDS
(Boycott, Divestment and Sanctions) gar nicht „per se“ antisemitisch sei.
Auf dieses „per se“ kommt es in dieser Erklärung, wesentlich mitgetragen
etwa auch von deutschen Kultur- und Diskursschaffenden (Aleida Assmann,
Friedenspreisträgerin 2018), an – auf dieses „an und für sich“.
Moralisch gebannt werden dürfe nicht mehr (per se) eine Kritik an Israel,
die sie wesentlich als mit dem Apartheidsregime Südafrikas vergleichbar
versteht; auch „unvernünftige“ Stimmen aus dem palästinensischen Lager, d…
etwa die Auslöschung Israels wünschen, dürfen nicht gleich zum Bannfluch
führen – man solle doch vielmehr ihnen zuhören, ob nicht hinter ihnen ein
Leid sich verberge, das zu hören wichtig sei.
Dabei ist diese „Jerusalemer Deklaration“ weder ein Dokument im
international-diplomatischen Prozess, noch kann es diesen politischen Rang
beanspruchen – es ist ein Schriftstück, wie es unzählbar viele gab in den
vergangenen Monaten und Jahren, fast immer mit den gleichen
Protagonist*innen und dem gleichen Anliegen: Dass es möglich sein
müsse, auch „Erzählungen“ (Aleida Assmann) gelten zu lassen, die etwa die
Verbrechen des Kolonialismus thematisieren. Als ob das nicht schon immer
richtig, nachgerade von buchstäblich allen geteilt worden wäre – abgesehen
von völkisch orientierten Leuten, aber die sind für diesen Kontext
unwichtig.
## Es ging nie um Stigmatisierung
Voriges Jahr ging es ja beim Streit um die Teilnahme des kamerunischen
Philosophen Achille Mbembe auch niemals darum, dessen Beiträge aus
afrikanischer Perspektive zu stigmatisieren. Woran sich der
Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, mit einer
keineswegs amtsdurchsetzungsfähigen Bemerkung zu einer Rede Mbembes auf der
Ruhrtriennale störte, war, dass Mbembe Israel als Staat der Juden und
Jüdinnen als eines der gröbsten Übel der Welt verstehe und dass er zwar
jederzeit in Deutschland sprechen könne, nur eben nicht bei
Veranstaltungen, deren Honorartöpfe steuergeldfinanziert sind.
Antisemitismus – und dazu gehört eben auch die singuläre Dämonisierung
eines Staates in der Welt, Israel nämlich – könne nicht verboten werden,
aber staatlich subventioniert?
Dass daraus schließlich die Behauptung erwuchs – etwa bei einer (noch
eine!, wie viele dürfen noch erwartet werden?) Erklärung der wesentlichen
Gatekeeper staatlicher Kultureinrichtungen (Haus der Kulturen der Welt,
Einsteinforum, Ruhrtriennale usw. usf.) im Herbst –, Mbembe mit seinen
postkolonialen Narrativen solle nicht sprechen dürfen, Cancel Culture von
judenfreundlicher Seite quasi, ist kurios genug: Auf der Ruhrtriennale
(wegen Corona in analoger Form abgesagt) konnte er seine Lecture sehr wohl
halten.
## Hass? Nein! Kritik? Ja!
Der Star der Postkolonialen schrieb [3][jüngst wieder in Jeune Afrique] in
diesem Sinne wahrheitswidrig: „In Deutschland und Frankreich versuchen
hasserfüllte Menschen, die Denkströmungen mit einem Bann zu belegen, die
unseren Aufstieg in die Menschheit (uns: Afrikas, d. Red.) begleitet
haben“. Hass? Nein. [4][Kritik?] Öfters.
Mbembe weiter: „Sie benutzen Lügen als Knüppel“ – und mit „sie“ gem…
sind hier alle, die darauf hinweisen, dass weder die Narrative zum
Antisemitismus und zum Holocaust noch die zum Rassismus und Kolonialismus
konkurrent verhandelt wurden: Nur, dass aktuell wesentliche Teile des
Antisemitismus eben auch an die Verteufelung Israels geknüpft sind. Und
dass der europäische Hass auf das Jüdische sich aus jahrhundertealten
Erzählungen speiste, nicht, zynisch formuliert, aus einer kolonialen
Diskursgrille unter vielen anderen.
Die „Jerusalemer Erklärung“, die mitnichten – abgesehen von Michael Wild…
[5][vom Gros der zum Thema Antisemitismus forschenden Historiker:innen
getragen wird], missachtet obendrein, dass Israel als Staat aus der
jüdischen (Holocaust-)Erfahrung heraus gründete: Irgendwo muss es einen
sicheren Ort, einen Letzthilfeort, eine Rettungsstelle für Jüdinnen und
Juden geben, durchaus nicht in falscher Landschaft.
Jürgen Zimmerer und Michael Rothberg gehen [6][in der aktuellen Zeit] genau
auf diesen Punkt auch nicht ein, vielmehr plädieren beide für eine neue
globale Erinnerungskultur, die jüdische und postkoloniale Narrative
zusammenzudenken wisse. Nun, das passiert ja längst, das ist keineswegs ein
Undergroundprojekt, ein Gros deutscher (und europäischer)
Kulturinstitutionen widmen sich der Aufarbeitung kolonialer Politiken, das
heißt: imperialer Verbrechen.
## Gegeneinander ausspielen
Problematisch wird dies noble Ansinnen deshalb, weil es faktisch gegen die
Kritik des Antisemitismus ausgespielt wird: Kolonialismus hat seine
Wurzeln in damals wissenschaftsunterfütterten Versuchen, Afrika,
Lateinamerika und Asien auszubeuten; Antisemitismus lebte als ideologische
Wahnwelt immer von der Verteufelung der aufkommenden Moderne – ein
Dämonisierungsprojekt durch und durch, unausrottbar, meist von rechts, sehr
oft von links.
[7][Und was die von Rothberg so verfochtene „multidirektionale Erinnerung“
anbetrifft], eine, die nicht allein Jüdischem (nicht nur) in Deutschland
gewidmet werden möge: Ja, das soll doch sein, gern und immer wieder – aber
muss es, dieses hölzerne Wortgeschöpf namens „multidirektionale
Erinnerung“, immer wieder sich gemein machen, Israel als Vorhof des Bösen
zu markieren? Ist so viel historische Unterinformiertheit hinnehmbar?
Im Kern geht es auch um die Erlaubnis, endlich nach Herzenslust Israel und
seine Politik kritisieren zu dürfen – was in der gewünschten
Unverhohlenheit in Israel selbst schon getan wird –, ohne als antijüdisch
zu gelten: Also darum, die „Erzählung“ zu etablieren, dass Antisemitismus
nur eine Spielart des Rassistischen sei, ein Unterkapitel aus dem Buch
„Woran Weiße Schuld tragen – per se“.
Achille Mbembe ist im Übrigen nie in Deutschland Persona non grata gewesen:
Er ist zu Gast bei Veranstaltungen, er ist ein Star geworden, er war auch
zum taz lab mehrfach eingeladen worden. Mehr multidirektionaler Fame geht
kaum.
2 Apr 2021
## LINKS
[1] https://jerusalemdeclaration.org/
[2] /Jerusalemer-Erklaerung-zum-Antisemitismus/!5758139
[3] https://www.jeuneafrique.com/1136312/culture/achille-mbembe-non-cesaire-fan…
[4] /Debatte-um-die-Gedenkkultur/!5751296
[5] https://www.perlentaucher.de/intervention/matthias-kuentzel-gegen-die-jerus…
[6] https://www.zeit.de/2021/14/erinnerungskultur-gedenken-pluralisieren-holoca…
[7] /Debatte-um-die-Gedenkkultur/!5751296
## AUTOREN
Jan Feddersen
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
Achille Mbembe
Antisemitismus
GNS
Postkolonialismus
Shoa
Antisemitismus
BDS-Movement
Israel
Schwerpunkt Zweiter Weltkrieg
NS-Gedenken
Lesestück Recherche und Reportage
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