# taz.de -- Fehlende Touristen in Jerusalem: Allein mit Jesus | |
> Eigentlich schieben sich Ostern Pilgermassen aus aller Welt durch die Via | |
> Dolorosa. Zu Besuch in einer Stadt, der die Berufung abhandengekommen | |
> ist. | |
Bild: Nonnen in Jerusalem am vergangenen Palmsonntag | |
Jerusalem taz | Er blickt gähnend auf eine Gruppe hebräischsprachiger | |
Tourist*innen. „Ich hatte auf ein kleines Wunder gehofft“, sagt Ahmed Abdi. | |
Nur wenige Tage vor dem höchsten Fest der Christ*innen sitzt der | |
Mittsechziger eingewickelt in eine Winterjacke vor seinem Souvenirladen in | |
der Via Dolorosa, dem Kreuzweg Jesu Christi mit seinen 14 Stationen, die | |
sich einmal quer durch die Altstadt Jerusalems zieht. Er erwartet nicht, | |
dass sie ihm einen seiner Rosenkränze, hölzernen Jesusfiguren oder | |
Priesterkutten abkaufen. Die israelischen Inlandstourist*innen sind | |
nicht sein Zielpublikum. Er hofft noch immer, dass christliche | |
Pilger*innen und Tourist*innen aus dem Ausland kommen. | |
Eigentlich war alles bereit für eine Wiederauferstehung seines Geschäfts | |
gerade rechtzeitig zu Ostern. Israel ist dank der großangelegten, | |
erfolgreichen Impfkampagne beinahe in einen [1][vorpandemischen Zustand | |
zurückgekehrt]. Bars, Cafés, Schwimmbäder und Fitnesscenter, Shopping Malls | |
und Sportarenen – sie alle sind im ganzen Land wieder geöffnet. Auch rund | |
um die Altstadt in Jerusalem geht es trubelig zu. Vor dem Jaffator wippen | |
Familien, Männer mit Schläfenlocken und Kinder auf Elektrorollern zu | |
Live-Musik einer Klezmer-Band. | |
Pessach fällt in diesem Jahr auf die gleichen Tage wie Ostern, mit dem Auto | |
ist kein Durchkommen, auf den Straßen sind so viele Menschen unterwegs, | |
dass die Verkehrspolizei die Arbeit der Ampeln unterstützt. | |
Auch auf der anderen Seite der Altstadt, am Damaskustor, dem Eingang zum | |
muslimischen Viertel der Altstadt, herrscht reges Treiben. Männer hinter | |
kleinen fahrbaren Büdchen verkaufen Sesambrot und gezuckerten Schwarztee | |
aus großen, silbernen Kesseln, vor dem Tor auf dem Steinboden sitzen alte | |
Frauen und bieten Salbei, Käse und Oliven an. | |
## Die Eisentore bleiben verschlossen | |
Die Altstadt Jerusalems scheint aus der Pandemie wiederauferstanden. Nicht | |
so für Abdi. Denn der Ben-Gurion-Flughafen ist für Nicht-Israelis | |
geschlossen, aus Angst davor, dass sich Mutationen im Land ausbreiten und | |
den Erfolg der Impfkampagne zunichte machen könnten. Und so bleibt | |
ausgerechnet die Via Dolorosa gähnend leer. Wo sich sonst in der heiligen | |
Woche vor Ostern Pilgermassen durch die Straßen schieben, bleiben die | |
blauen und grünen Eisentore von zahlreichen Souvenirläden verrammelt. | |
„Die Verkäufer wissen, dass es sich nicht lohnt“, sagt Abdi und zuckt mit | |
den Schultern. Vor sechs Wochen durften die Läden in der Altstadt mit den | |
weitreichenden Lockerungen des Lockdowns wieder öffnen. Der Händler | |
handhabt es seitdem wie seine Brüder und Cousins, die ebenfalls christliche | |
Andenken aus der heiligen Stadt verkaufen: Er öffnet gelegentlich seinen | |
Laden – wenn ihm danach ist. Kommerziell mache es keinen Sinn. | |
Ähnlich sieht es im Österreichischen Hospiz aus, dem ältesten christlichen | |
Gäste- und Pilgerhaus in Jerusalem, ein Stück weiter die Via Dolorosa | |
hinunter, an der dritten Station des Kreuzwegs gelegen. Normalerweise sind | |
die Ostertage die wohl stressigste Zeit für die Angestellten und | |
österreichischen Zivildienstleistenden, doch angesichts der fehlenden | |
Pilger*innen aus dem Ausland bleibt das Gästehaus geschlossen. | |
## Zahl der Pilger*innen begrenzt | |
„Jerusalem gehört in diesen Tagen den einheimischen Christen“, sagt Markus | |
Stephan Bugnyár, der Rektor. Er sitzt im Cafégarten des Hospiz, im Café | |
Triest, mit Blick auf die El-Wad-Straße der Altstadt. Unter der Woche ist | |
in dem Café derzeit nicht viel los. Nur ein israelisches Pärchen sitzt an | |
einem schattigen Plätzchen unter einem Baum, isst Apfelstrudel und trinkt | |
eine Melange. | |
So schön sich das auf den ersten Blick anhören mag, dass die Stadt derzeit | |
den einheimischen Christ*innen gehört – der Rektor betont, dass dies | |
nicht die Berufung der Stadt sei: „Seit biblischen Zeiten geht es dieser | |
Stadt darum, möglichst viele Menschen zu erreichen, möglichst alle Menschen | |
zu erreichen. Wir haben schon bei den biblischen Propheten diese Vision, | |
dass alle Völker hier her kommen werden und diese Stadt eine Heimat für | |
alle Menschen sein kann.“ | |
Und doch ist das diesjährige Osterfest für ihn weniger deprimierend als im | |
letzten Jahr. Mehr Hoffnung auf ein Ende der Pandemie sieht er, außerdem | |
finden anders als im vergangenen Jahr zahlreiche Feierlichkeiten mit | |
Publikum statt: Vor allem die Karfreitagsprozession, der Kreuzgang entlang | |
der Via Dolorosa, der am Tempelberg beginnt und an der Grabeskirche endet. | |
Doch die Zahl der Pilger*innen, die mit langsamen Schritten über das | |
Pflaster ziehen und den Leidensweg Christi nachgehen, wird wohl in diesem | |
Jahr begrenzt sein. | |
## Philippinischen Christ*innen | |
Die Zusammensetzung allerdings wird interessant. Neben den Priestern, | |
Nonnen und Mönchen der etablierten christlichen Strukturen des Landes | |
werden in diesem Jahr hauptsächlich palästinensische Christen aus dem | |
Norden Israels, aus Nazareth oder Bethlehem, teilnehmen. Genauso | |
Christ*innen aus dem Westjordanland, die von den israelischen Behörden | |
eine Genehmigung erhalten haben. | |
Bugnyár hat am vergangenen Sonntag auf der Palmsonntagsprozession | |
festgestellt, dass noch eine andere Gruppe ins Blickfeld gerät und sichtbar | |
wird, die ansonsten angesichts der zahlreichen Pilger*innen unter dem | |
Radar durchgerutscht ist: die philippinischen Christ*innen, migrantische | |
Arbeitskräfte, die vor allem in der Altenpflege beschäftigt sind. | |
Die philippinische Botschaft Israels schätzt die Anzahl der legal in Israel | |
arbeitenden Arbeitskräfte von den Philippinen auf etwas über 30.000. | |
Mehrere hundert von ihnen, so berichtet Bugnyár, seien in der vergangenen | |
Woche bei der Palmsonntagsprozession mitgelaufen. Mit ihnen ins Gespräch zu | |
kommen, ist nicht leicht. Viele von ihnen haben einen prekären | |
Aufenthaltsstatus, andere sind illegalisiert im Land. Die meisten haben | |
Angst vor einer plötzlichen Ausweisung. | |
## Hoffnung auf Grenzöffnung | |
Claudia Liebelt, Professorin für Ethnologie an der Universität Bayreuth, | |
hat jedoch für ihre Dissertation „Caring for the ‚Holy Land‘“ 15 Monate | |
lang das Leben der philippinischen Christ*innen in Israel erforscht. Die | |
Migrant*innen von den Philippinen verschlage es nicht nur wegen | |
wirtschaftlicher Not nach Israel. Es gehe ihnen auch darum, die in der | |
Bibel dargestellten „schönen Orte“ zu sehen und das Heilige Land zu | |
erleben. | |
In diesem Jahr, so berichtet Rektor Markus Stephan Bugnyár, hätten einige | |
Veranstaltungen ohne die Anwesenheit der philippinischen Migrant*innen | |
kaum stattgefunden. Dabei haben sie bisher kaum Anbindung an die | |
etablierten christlichen Strukturen im Land. Dort sieht Bugnyár seitens der | |
Kirchen Aufholbedarf. | |
Und doch hoffen sie alle gemeinsam, Bugnyár wie die Souvenirhändler im | |
christlichen Teil der Altstadt, dass bald die Grenzen wieder öffnen können, | |
dass das Gästehaus des Österreichischen Hospiz Buchungen entgegen nehmen | |
wird und Abdi wieder Rosenkränze und Priesterkutten verkaufen kann. | |
3 Apr 2021 | |
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[1] /Israel-nach-dem-Lockdown/!5754807 | |
## AUTOREN | |
Judith Poppe | |
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