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# taz.de -- Israel vor schwieriger Regierungsbildung: Alle Blicke auf Abbas
> Bei der Wahl hat kein Lager eine Mehrheit erreicht. Ausgerechnet der
> Vorsitzende der islamischen Partei könnte Netanjahu die fehlenden Stimmen
> beschaffen.
Bild: Könnte Netanjahu helfen, im Amt zu bleiben: Ra'am-Chef Mansour Abbas
Tel Aviv taz | Kaum ein Name fällt derzeit so oft in den israelischen
Nachrichten wie dieser: [1][Mansour Abbas]. Ausgerechnet an ihm, dem
Vorsitzenden der kleinen konservativ-islamischen Partei Ra'am, hängen nach
der vierten Wahl in zwei Jahren die Hoffnungen des israelischen
Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu.
Zwar ist dessen Likud-Partei mit 30 Sitzen im Parlament wieder stärkste
Kraft geworden, doch auch nach dieser Wahl steht Israel vor einer
Pattsituation. Wie nach Auszählung von fast 100 Prozent der Stimmen aus dem
am Donnerstagabend veröffentlichten vorläufigen Ergebnis hervorgeht,
erreichten weder die als Unterstützer von Netanjahu geltenden Parteien noch
dessen Gegner eine eindeutige Mehrheit von 61 Sitzen. Insgesamt schafften
13 Parteien den Einzug ins Parlament.
Ausgerechnet Abbas könnte mit seinen vier Sitzen nun Netanjahu, der
jahrelang gegen arabische Israelis gehetzt hatte, zur Mehrheit verhelfen.
Der Regierungschef hat bereits im Vorfeld der Wahl in einer Kehrtwende den
Ra'am-Chef umworben und eine Zusammenarbeit nicht ausgeschlossen. Auch
Abbas hatte eine Zusammenarbeit mit dem Likud oder anderen rechten Parteien
nicht ausgeschlossen und war daraufhin aus dem mehrheitlich arabischen
Parteienbündnis Vereinte Liste ausgetreten, für dessen andere Parteien eine
Kooperation mit Netanjahu tabu war.
Nun tobt nicht nur innerhalb des Likud eine erhitzte Debatte um die
mögliche Koalitionsbeteiligung von Ra'am. Netanjahus rechts-religiöser
Block [2][ist auf die offen anti-arabischen, ultrarechten Hardliner Itamar
Ben-Gvir und Bezalel Smotrich vom ultrarechten Parteienbündnis Religiöser
Zionismus angewiesen], die am Donnerstag eine jedwede Kooperation mit Ra'am
ausgeschlossen haben.
Kopfschmerzen dürfte Netanjahu auch bereiten, dass ein Ra'am-Sprecher
bereits am Mittwoch eine Koalition mit der Partei Religiöser Zionismus
ausgeschlossen hat. Er sprach von „Rassisten, die uns bedrohen, die Al-Aqsa
bedrohen“. Es gebe „andere Optionen für eine Regierung“, sagte er und
deutete an, dass das Mitte-Links-Lager den Wähler*innen von Ra'am
näherstünde.
## Netanjahu hofft auf Überläufer
Viele politische Kommentator*innen bezweifeln deshalb, dass Netanjahu
eine Koalition mit Ra'am und Religiöser Zionismus zusammenzimmern kann,
selbst dann, wenn Ra'am ohne aktive Beteiligung einer rechten
Minderheitsregierung lediglich durch Enthaltungen in Parlamentsabstimmungen
die Mehrheit sichern würde.
Der unter Druck stehende Regierungschef verfolgt bereits eine Alternative:
Abgeordnete aus dem gegnerischen Lager für sich zu gewinnen. Dabei
konzentriert sich zunächst auf die von [3][Gideon Sa'ar gegründete Partei
Neue Hoffnung]. Sa'ar war im Dezember 2020 aus dem Likud ausgeschert, viele
Likud-Abgeordnete sind ihm in die neue Partei gefolgt.
Überläufer zu finden dürfte für Netanjahu dieses Mal besonders schwer sein.
Die meisten dürften den Absturz von Benny Gantz und seinem
Blau-Weiß-Bündnis noch vor Augen haben, der nach der letzten Wahl im März
2020 sein Wahlkampfversprechen brach und einer Regierungskoalition unter
Netanjahu beitrat.
Aber auch das Anti-Netanjahu-Lager, das sich quer durch die politischen
Lager zieht, würde bei einer Regierungsbildung vor zahlreichen Problemen
stehen. Stärkste Kraft in dem Lager ist die zweitplatzierte Zukunftspartei
unter Führung von Jair Lapid. Für eine Mehrheit im Parlament wäre das Lager
auf die Unterstützung von Ra'am, der Jamina-Partei unter Naftali Bennett
oder der Vereinte Liste angewiesen.
Eine Zusammenarbeit mit Ra'am und der Vereinigten Liste schließen aber die
rechten Kräfte in dem Lager aus. Unter Beteiligung von Jamina wiederum
dürfte ein Führungsstreit ausbrechen. Als eine Option unter vielen wird
derzeit trotz seines mageren Wahlergebnisses (8 Sitze) Benny Gantz als
möglicher Regierungschef dieses ideologisch extrem breiten Lagers
gehandelt. Denn der ehemalige Generalstabschef wird als weder rechts noch
links betrachtet.
## Opposition könnte Gesetz vorantreiben
Möglicherweise aber reicht die gemeinsame Wut des Anti-Netanjahu-Lagers
angesichts der großen Unterschiede nicht aus, um eine Regierungskoalition
zu bilden. Doch sie könnte ausreichen, um „König Bibi“, wie Netanjahu von
seinen Unterstützer*innen genannt wird, das Zepter aus der Hand zu
nehmen. Nach Ablösung des Knessetsprechers könnten die
Parlamentsabgeordneten mit einfacher Mehrheit ein Gesetz erlassen, das es
einem vor Gericht Angeklagten verbietet, Ministerpräsident zu sein.
Netanjahu steht aktuell wegen Korruptionsvorwürfen vor Gericht. Für ihn
wäre ein solches Gesetz das politische Aus. Sollte dann erneut eine Neuwahl
ausgerufen werden, dürften sich die Karten komplett neu mischen.
Die Konsultationen mit den Knessetmitgliedern, wen sie als
Ministerpräsidenten wünschen, wird Staatspräsident Reuven Rivlin wohl nach
den Pessachfeiertagen Anfang April beginnen. Bis zum 7. April muss Rivlin
eine Person mit der Regierungsbildung beauftragen. Für Netanjahu könnten es
zermürbende Tage werden, denn noch etwas anderes steht in diesen Tagen an:
Sein Gerichtsprozess war angesichts des Wahlkampfes ausgesetzt worden. Am
5. April tagt das Gericht wieder.
26 Mar 2021
## LINKS
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## AUTOREN
Judith Poppe
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Lesestück Recherche und Reportage
Schwerpunkt Rassismus
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