# taz.de -- Regierungsbildung in Israel: Und nochmal Netanjahu | |
> Erneut hat Benjamin Netanjahu vom Staatspräsidenten Israels den Auftrag | |
> zur Regierungsbildung bekommen. Das aber wird schwierig. | |
Bild: Versucht noch einmal, eine Koalition zu zimmern: Benjamin Netanjahu | |
Tel Aviv taz | [1][Benjamin Netanjahu] darf es noch einmal probieren. Mit | |
sichtbar schwerem Herzen hat der israelische Staatspräsident Reuven Rivlin | |
ihm am Dienstagmittag den Auftrag zur Regierungsbildung gegeben. | |
Likud-Chef Netanjahu erhielt am Montag bei den Konsultationen der gewählten | |
Abgeordneten mit dem Staatspräsidenten 52 Empfehlungen, ihm die | |
Regierungsbildung zu überlassen; Yair Lapid von der Zukunftspartei 45. Die | |
Abgeordneten der Partei Yamina gaben ihre Stimme an ihren Vorsitzenden, | |
Naftali Bennett. Gideon Sa'ars Partei Neue Hoffnung, die Vereinigte Liste | |
sowie die islamisch-konservative Partei Ra'am sprachen keine Empfehlung | |
aus. | |
„Die Ergebnisse der Konsultationen lassen mich glauben, dass kein Kandidat | |
eine realistische Chance hat, eine Regierung zu bilden, die das Vertrauen | |
der Knesset hat“, sagte Reuven Rivlin in einer Fernsehansprache: „Wenn das | |
Gesetz es mir erlauben würde“, ergänzte er: „würde ich die Entscheidung … | |
die Vertreter des Volkes, an die Knesset, zurückgeben.“ | |
An der festgefahrenen Situation, die Netanjahu schlechte Chancen auf Erfolg | |
bei der Regierungsbildung gibt, hat sich seit den [2][Wahlen Ende März] | |
nichts geändert: Zwar ist davon auszugehen, dass der Regierungschef Naftali | |
Bennett unter großen Zugeständnissen für sich gewinnen könnte, doch er wäre | |
außerdem auf die Unterstützung der islamisch-konservativen Partei Ra'am | |
angewiesen. Die offen anti-arabischen, ultrarechten Hardliner Itamar | |
Ben-Gvir und Bezalel Smotrich vom ultrarechten Parteienbündnis Religiöser | |
Zionismus schließen jedoch nach wie vor jedwede Kooperation mit Ra'am aus. | |
Auch Ra'am selber hat einer solchen Zusammenarbeit eine Absage erteilt. | |
## Beauftragung Netanjahus „ein Schandfleck“ | |
Rivlin betonte, dass die Beauftragung von Netanjahu in moralischer und | |
ethischer Hinsicht keine leichte Entscheidung gewesen sei und bezog sich | |
damit auf die [3][Korruptionsvorwürfe] gegen Netanjahu. Seit Langem tobt in | |
Israel ein Streit darum, ob ein Angeklagter als Ministerpräsident fungieren | |
darf. Das Gesetz erlaubt dies, doch zahlreiche Kritiker*innen sprechen | |
von einem Interessenkonflikt und fordern eine Änderung des Gesetzes. | |
Der Anführer der Zukunftspartei, Yair Lapid, räumte auf Twitter ein, dass | |
Rivlin im Grunde die Hände gebunden waren, fügte aber hinzu, dass die | |
Beauftragung Netanjahus „einen Schandfleck auf Israel“ werfe und auf | |
„unseren Status als gesetzestreuer Staat“. | |
Ausgerechnet am vergangenen Montag, als Rivlin die Abgeordneten aller | |
Parteien empfing, um ihre Empfehlungen entgegen zu nehmen, lud auch das | |
Jerusalemer Bezirksgericht den ersten Zeugen in Netanjahus | |
Gerichtsverfahren. | |
Zwar sind die Korruptionsvorwürfe gegen Netanjahu auf Israels Straßen | |
allgegenwärtig. Doch zum ersten Mal hörten Israelis im Detail vom ersten | |
geladenen Zeugen, dem Chefherausgeber der Nachrichtenseite Walla, Ilan | |
Yeshua, wie sich Netanjahu und seine Frau Sara in die Berichterstattung | |
eingemischt haben sollen. Yeshua berichtete, nach der Aussage vor Gericht | |
Morddrohungen erhalten zu haben. | |
Der angeklagte Regierungschef sprach nach dem ersten Tag der Zeugenaussagen | |
erneut von einer Hexenjagd gegen ihn. Die Strafverfolgung sei ein Versuch | |
von Polizei und Staatsanwaltschaft, den Willen der Wählerschaft zu | |
untergraben. | |
Derselbe Netanjahu hat nun 28 Tage Zeit, eine Regierung zusammenzustellen, | |
wobei er eine Verlängerung von zwei Wochen beantragen kann. Gelingt ihm | |
dies nicht, kann der Staatspräsident entweder einem weiteren | |
Knessetmitglied das Mandat übergeben oder den Auftrag an die Knesset | |
weiterleiten. | |
Sollte Netanjahu keine Koalition zusammenbekommen, könnte Naftali Bennett | |
sich in den Vordergrund schieben. Politische Analyst*innen gehen davon | |
aus, dass der Siedlerführer nach einem Scheitern Netanjahus eine | |
Rechtfertigung gegenüber seinen rechten Wähler*innen hätte, um eine | |
Koalition mit dem Mitte-Links-Lager einzugehen. | |
6 Apr 2021 | |
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## AUTOREN | |
Judith Poppe | |
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