| # taz.de -- Wahlen in Israel: Bye-bye Bibi | |
| > Nach der Wahl ist vor der Krise. Solange Netanjahu noch da ist, bleibt | |
| > Israel in einem Zirkel von wackeligen Regierungen und Abwarten gefangen. | |
| Bild: Solange Bibi in der Politik bleibt, sind Wahlen eine Farce | |
| Benjamin Netanjahu, Israels korrupter Regierungschef, hält sein Land | |
| gefangen. [1][Nach der vierten Parlamentswahl] innerhalb von nur zwei | |
| Jahren zeichnet sich schon eine fünfte ab – oder eine erneut wacklige | |
| Koalition unter seiner Führung. Solange Netanjahu in der Politik bleibt, | |
| sind Wahlen eine Farce. Denn es geht nicht um politische Inhalte, um | |
| Visionen für eine bessere, friedliche Zukunft, sondern einzig um für und | |
| wider Netanjahu. Bibi, wie ihn der Volksmund nennt, muss endlich von der | |
| Bildfläche verschwinden. | |
| Die augenscheinlich gute Nachricht ist, dass es zum ersten Mal in der | |
| 73-jährigen Geschichte des Judenstaates eine Regierung geben könnte, an der | |
| eine arabische Partei beteiligt ist. Augenscheinlich insofern, da [2][die | |
| konservativ-islamische Ra’am] nur einen kleinen Teil des arabischen Sektors | |
| repräsentiert. Queer- und Frauenrechte sind im Parteiprogramm so wenig | |
| vorgesehen wie bei den jüdisch-orthodoxen Listen. | |
| Im Kampf gegen die Liberalen, gegen Feministinnen und gegen sexuelle | |
| Freiheit marschieren die Frommen Hand in Hand. Netanjahu verbrachte im | |
| Vorfeld der Wahlen viel Zeit im arabischen Sektor auf Stimmenjagd im | |
| gegnerischen Lager. Paradoxerweise könnte ausgerechnet der Politiker, der | |
| einst vor den AraberInnen warnte, „die massenhaft zu den Wahlurnen | |
| strömen“, der Erste sein, der sie zum Mitregieren einlädt. Das wäre ein f�… | |
| die Koexistenz wichtiges Signal. | |
| Die [3][Arbeitspartei], der in guten Zeiten Zigtausende arabische | |
| GenossInnen angehörten, war sich dafür stets zu fein. Sollte es Netanjahu | |
| einmal mehr gelingen, die zum Teil recht ungleichen Partner unter einen Hut | |
| zu bringen, steht Israel ein Gruselkabinett bevor. So kompatibel die | |
| konservativen MuslimInnen mit den ultraorthodoxen jüdischen Parteien sein | |
| mögen – so schwierig ist ein Bündnis mit der radikalen Liste Religiöser | |
| Zionismus. [4][Parteichef Bezalel Smotrich] jedenfalls schließt es aus. | |
| ## Betrug, Untreue und Bestechlichkeit | |
| „Ich will, dass nur jüdische Hände mein Baby anfassen“, soll seine Frau | |
| nach einer Entbindung gefordert haben. Die Smotrichs stehen offen für | |
| Rassentrennung. In Sachen Queerrechte verfolgt Smotrich, der Homosexualität | |
| einst mit Inzest verglich, allerdings eine ähnliche Linie wie die | |
| muslimische Ra’am. Ob das ausreicht für ein Zusammengehen wird wohl vom | |
| Preis abhängen, den Netanjahu, der absehbar beide Parteien für eine | |
| Mehrheit in der Knesset braucht, zu zahlen bereit ist. | |
| Einen hohen Preis wird ihm in jedem Fall ein weiterer Königsmacher | |
| abfordern: Naftali Bennett, einst Bildungsminister und Chef der | |
| Siedlerpartei, wird auf eine Rotation zielen – und zwar mit ihm selbst an | |
| erster Stelle. Zwei Jahre Bennett und danach erst Netanjahu, darunter wird | |
| er nicht mitmachen. Denn er weiß, dass es ohne seine sechs bis acht Mandate | |
| für eine Mehrheit nicht reicht. Und er weiß, dass man Netanjahu nicht | |
| trauen kann. | |
| Wäre die Reihenfolge umgekehrt, so lehrt die Erfahrung, würde sein Traum, | |
| Israels höchstes politisches Amt einzunehmen, nie in Erfüllung gehen. | |
| Netanjahu wird bei Bennett wie bei allen anderen künftigen | |
| Koalitionspartnern umgekehrt darauf dringen, dass sie ihm Immunität | |
| verschaffen, damit er einem Prozess und möglicherweise einer | |
| Gefängnisstrafe entgeht. Denn die droht ihm wegen Betrug, Untreue und | |
| Bestechlichkeit. Für Bennett wäre das ein machbares Zugeständnis. | |
| Zu hoch kann auch er nicht pokern, denn eine Regierung ohne Netanjahu ist | |
| ungeachtet des Patts zwischen dem Pro- und Contra-Bibi-Lager recht | |
| illusorisch. Dabei ist wichtig festzuhalten, dass es bei dem Patt der | |
| Blöcke keinesfalls um politisch links und rechts geht. Die | |
| Anti-Bibi-Parteien sind nicht weniger zerstritten als die, die ein | |
| Zusammengehen mit ihm für denkbar halten. Das Neue bei diesen vierten | |
| Wahlen in so kurzer Zeit ist, dass Netanjahu zum ersten Mal nicht länger | |
| nur von links bedroht ist. | |
| ## Aus der Geiselhaft Netanjahus befreien | |
| Die Bibi-Müdigkeit im Land machte eine weitere Partei rechts von seinem | |
| Likud möglich. Diese Neue Hoffnung unter dem Likud-Abtrünnigen Gideon Sa’ar | |
| verbindet mit linksliberalen Parteien allerdings nicht mehr als das Ziel, | |
| Netanjahu loszuwerden. Ein wackliges Standbein für eine | |
| Regierungskoalition. Links kann sich guten Gewissens nur noch rund ein | |
| Fünftel von Israels künftigen ParlamentarierInnen nennen. Links ist out. | |
| Zu oft mündeten Friedensverhandlungen, mit denen man einst punkten konnte, | |
| in Blutvergießen. Seit Jahren liegt der Friedensprozess auf Eis, die | |
| Intifada ist eingeschlafen. Damit lässt es sich ganz gut leben in Israel, | |
| auch für die, die gern auf die Besatzung verzichten würden. So verschwindet | |
| die Linke zusehends von der Bildfläche, gerade auch weil sich die Wahlen | |
| nicht länger um Inhalte drehen. | |
| Viele liberale Stimmen gingen aus strategischen Gründen an die politische | |
| Mitte in der Hoffnung, so Netanjahu endlich loszuwerden. Israel stehen | |
| jetzt, wie immer nach Wahlen, Wochen der Unsicherheit bevor. Am Ende könnte | |
| es eine Regierung geben, wie es sie rechter, religiöser und rassistischer | |
| nie gegeben hat. | |
| Der [5][ultraorthodoxe Sektor, der sich während der Pandemie] eigene Regeln | |
| machte, bei Beerdigungen die Massen versammelte und damit die Ausbreitung | |
| des Virus vorantrieb, wird wohl Teil der Regierung bleiben. Und die | |
| Weltlichen, die Liberalen, die um Demokratie und Rechtsstaatlichkeit | |
| Besorgten, werden zusehen müssen, wie ein nationalreligiöser Siedler und | |
| der skrupellose Netanjuhu versuchen, die nächste Regierung ins Amt zu | |
| bringen, die ebenso wackelig sein wird wie die letzte. | |
| Ehe überhaupt etwas vorangehen kann, muss sich Israel aus der Geiselhaft | |
| Netanjahus befreien. Denn nur dann können die lähmende Wartehaltung, die | |
| Instabilität und die Abfolge von Krisen und Neuwahlen enden. Die letzten | |
| Aufrechten der Likudpartei sollten lieber heute als morgen ihren Chef zu | |
| Fall bringen. | |
| 24 Mar 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Susanne Knaul | |
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