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# taz.de -- Wieder Parlamentswahlen in Israel: Neues Referendum über Netanjahu
> Zum vierten Mal in zwei Jahren wählen die Israelis ihr Parlament. Sie
> entscheiden damit über den wegen Korruption angeklagten Benjamin
> Netanjahu.
Bild: „Zurück ins Leben“: der Slogan über dem israelischen Ministerpräsi…
Tel Aviv taz | „Zurück ins Leben“ prangt in blau-weißen Lettern über
Benjamin Netanjahu, dem israelischen Ministerpräsidenten, der lächelnd
seine Daumen nach oben hält. Es ist der Slogan des Gesundheitsministeriums
für die erfolgreiche Impfkampagne. Zwar hat das Wahlkomitee Netanjahu in
der vergangenen Woche untersagt, diesen Slogan für seine Partei, den Likud,
zu nutzen. Dennoch säumen die riesigen Plakate mit dem Spruch Israels
Straßen.
Netanjahu, dessen Umfrageergebnisse im Herbst auf dem Höhepunkt der
Covid-19-Krise am Boden lagen, ist noch einmal auferstanden und hat mit
seinem Likud vor der Parlamentswahl am Dienstag einen erstaunlichen
Endspurt hingelegt. Zwei Sitze konnte er laut letzter Umfragen allein in
der vergangenen Woche hinzugewinnen.
Und obwohl 51 Prozent der Befragten nicht wollen, dass der wegen Korruption
vor Gericht stehende Regierungschef im Amt bleibt, ist er immer noch weit
beliebter als jeder andere Kandidat.
In der Impfkampagne geriert sich Netanjahu als Retter der Nation, als sei
die [1][vorläufige Bewältigung von Covid-19] sein eigenes Verdienst. Seine
Strategie scheint aufzugehen.
## Anfängliches Versagen in der Pandemie scheint vergessen
Die chaotische Regierungspolitik in der Pandemie, etwa die offensichtliche
Bevorteilung der Ultraorthodoxen gegenüber Säkularen, das Missmanagement
der Krise, das zahlreiche Unternehmer:innen und Angestellte in
Arbeitslosigkeit und Verzweiflung getrieben hat – all das scheint
vergessen.
Rechtzeitig zu den Wahlen ist das Land in einen nahezu vorpandemischen
Zustand zurückgekehrt. Verprellte Wähler:innen kehren zu Netanjahu
zurück.
Dabei kämpft er zum ersten Mal mit Gegenwind aus den eigenen rechten
Reihen: [2][Gideon Sa’ar], einst Zögling des Regierungschefs, stellt sich
seit der Gründung seiner Partei Neue Hoffnung als Alternative zur korrupten
Politik Netanjahus dar.
Doch galt Sa’ar mit seinen anfänglich prognostizierten 20 Sitzen als der
Herausforderer Netanjahus überhaupt, ist seine Partei in den Umfragen
zuletzt auf unter 10 Sitze zusammengeschrumpft.
Als sichere Bündnispartner Netanjahus gelten die ultraorthodoxen Parteien
Schas und United Torah Judaism; ebenso das ultrarechte, nationalistische
Bündnis Religiöser Zionismus, sofern dieses den Sprung über die
3,25-Prozent-Hürde schafft.
## Für Netanjahu geht es vor allem um Immunität
Doch Naftali Bennett mit seiner rechten Partei Yamina, der sich alle
Optionen offenhält und schon zahlreiche politische Erniedrigungen von
Netanjahu hat hinnehmen müssen, würde wohl im Fall einer möglichen Mehrheit
und großzügigen Zugeständnissen vonseiten des Regierungschefs in die
Regierungskoalition einsteigen.
Eine der ersten Amtshandlungen einer solchen Regierung dürfte sein, dem
Ministerpräsidenten Immunität zu verschaffen. Die letzten Umfragen geben
diesem Bündnis exakt die für eine Mehrheit erforderlichen 61 Sitze.
Doch hängt der Wahlausgang jetzt in besonderem Maß an wenigen Stimmen und
an der Frage, ob den kleinen Parteien der Einzug ins Parlament gelingt.
## Netanjahu hat mehrere Optionen
Sollte der linken Partei Meretz und Benny Gantz’ Partei Blau-Weiß, die seit
dem Eintritt in Netanjahus Regierungskoalition im letzten Jahr an
Glaubwürdigkeit verloren hat und nun auf ihrem absoluten Umfragetief
angekommen ist, die Rückkehr ins Parlament gelingen, könnte eine eigene
Mehrheit für Netanjahus ultrarechts-religiöses Bündnis vielleicht noch
abgewendet werden.
Der Zauberer, wie Netanjahu in Israel mitunter genannt wird, hätte
allerdings noch ein Ass im Ärmel: Ungeachtet seiner jahrelangen
öffentlichen Hetze gegen die Araber:innen Israels ist der Regierungschef
in einer Kehrtwende unter arabischen Israelis auf Stimmenfang gegangen und
hat ebenso [3][Mansour Abbas] umworben, den Vorsitzenden der
konservativ-islamischen Partei Ra’am.
Sollte dieser Partei der Einzug gelingen, könnten ihre Sitze das Zünglein
an der Waage werden. Die Bildung einer zeitlich begrenzten
Notstandsregierung zur Bewältigung der Folgen der Pandemie könnte den
denkwürdigen Zusammenschluss aus ultrarechten zionistischen und
konservativ-islamischen Politiker:innen rechtfertigen.
## Anti-Netanjahu-Bündnis von rechts bis links
Sollte Netanjahu an diesem Dienstag die nötigen Stimmen dafür verfehlen,
wäre die dritte Option ein pragmatisches Anti-Netanjahu-Bündnis quer durch
die politischen Lager: mit Bennetts Yamina und Sa’ars Neuer Hoffnung von
rechts, Yair Lapids Yesh Atid und Gantz’ Blau-Weiß in der Mitte und Meretz,
der Arbeitspartei und einer Beteiligung der Vereinigten Liste auf linker
Seite.
Kommt es zu keiner Einigung? Dann gibt es wieder Neuwahlen. Es wären die
fünften innerhalb von zweieinhalb Jahren. Im Februar hatte dies laut einer
Umfrage des Israelischen Demokratieinstituts noch als wahrscheinlichste
Lösung gegolten.
23 Mar 2021
## LINKS
[1] /Israel-nach-dem-Lockdown/!5754807
[2] /Israel-vor-moeglicher-Neuwahl/!5730524
[3] /Israelischer-Politiker-Mansour-Abbas/!5754938
## AUTOREN
Judith Poppe
## TAGS
Israel
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