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# taz.de -- Autor über Entscheidungsfindung: „Niemand googelt Gegenargumente…
> Wie trifft man gute Entscheidungen? Autor Mikael Krogerus hat sich mit
> der Forschung zu Entscheidungsfindungen beschäftigt. Und gibt ein paar
> Tipps.
Bild: Wenn man danebenlag, sollte man dazu stehen. Es sei die einzige Art, dara…
taz: Herr Krogerus, was braucht es, um gute Entscheidungen zu treffen?
Mikael Krogerus: Selbstkritik. Denn das Hauptproblem bei Entscheidungen:
Wir bilden uns zu schnell intuitiv eine Meinung und deuten anschließend
alle neuen Informationen so, dass sie unsere bereits bestehende Annahme
bestätigen. Niemand googelt nach Gegenargumenten. Aber genau das müssten
wir machen! Also die Intuition verschieben, stattdessen erst mal Daten
sammeln und die eigenen Überzeugungen hinterfragen – und sich dann intuitiv
entscheiden.
Und wie entscheidet man intuitiv?
Wissenschaftlich überprüft ist folgender recht simpler
Autosuggestionsprozess, um das Hirn abzulenken und das Unterbewusstsein zu
aktivieren: Denken Sie an die Entscheidung, die Sie treffen wollen. Rechnen
Sie dann von 50 in Dreierschritten rückwärts. Sobald Sie bei null sind,
schreiben Sie sofort auf, wie Sie sich entscheiden wollen.
Kann man entscheiden lernen, oder gibt es da Naturtalente, die das einfach
können?
Man unterscheidet in der Forschung zwischen zwei Typen: dem
[1][Satisficer], der sich entscheidet, sobald eine Option seine Bedürfnisse
halbwegs erfüllt, und der dann nicht weiter nach besseren Alternativen
sucht, und dem [2][Maximizer], der einen eher perfektionistischen Zugang
hat und objektiv gesehen auch bessere Entscheidungen fällt als der
Satisficer, aber der sich auch nach den allerbesten Beschlüssen noch fragt,
ob es nicht eine noch bessere Option gegeben hätte. Alle Menschen tendieren
entweder zu dem einen oder dem anderen Typus.
Wie lange sollte man alle Für und Wider abwägen? Sind Pausen wichtig, auch
wenn es mit der Entscheidung dann etwas länger dauert?
Sie sollten sich, wie gesagt, Zeit lassen, um genügend Information zu
sammeln. Aber es gibt einen Tipping-Point der Informationsaufnahme, man
kann auch „zu viel“ wissen. Das ist der Moment, ab dem wir anfangen unser
Wissen wieder in Frage zu stellen und am Ende genauso verwirrt sind wie am
Anfang des Rechercheprozesses. Weil langes Abwägen sehr quälend sein kann,
empfiehlt es sich von vornherein, Grenzen zu setzen. Angenommen, wir wollen
uns ein Auto kaufen: zwei Stunden Internetrecherche, drei Freunde fragen,
zwei Autohändler aufsuchen, fertig.
Wann braucht man Experten?
Manchmal, vor allem im beruflichen Kontext oder wenn die Entscheidung
andere betrifft, ist das unbedingt ratsam. Aber ich sage immer: Viele
Entscheidungen brauchen keine umfangreiche Recherche. Statt sich den Kopf
darüber zu zerbrechen, welches das richtige Auto wäre, fragen Sie einfach
Ihre Freunde, ob die mit ihrem Auto zufrieden sind. Wenn das so ist, wird
es auch für Sie gut genug sein. Die meisten Entscheidungen sind auch
weniger wichtig, als wir im jeweiligen Augenblick meinen. Man kann zum
Beispiel die 10-10-10-Methode anwenden: Fragen Sie sich, welche
Auswirkungen hat meine Entscheidung in 10 Tagen? Welche Auswirkungen hat
sie in 10 Monaten? Welche in 10 Jahren? Klingt banal, hilft aber, den Blick
auf die langfristigen Konsequenzen einer Wahl zu schärfen.
Wäre es wichtig, ein Ziel zu formulieren, bevor man eine Entscheidung
trifft?
Es hilft, wenn man sich im Klaren darüber ist, was man sich eigentlich von
der Entscheidung erhofft. Drei gute Fragen: Was passiert, wenn ich mich
falsch entscheide? Was, wenn ich mich richtig entscheide? Und was, wenn ich
mich nicht entscheide?
Sollte man immer einberechnen, dass sich die Lage ändern könnte und man die
Entscheidung wieder zurücknehmen muss?
Ich glaube, das machen wir automatisch: Wenn wir sagen: „Ich will dich
lieben, in guten wie in schlechten Zeiten“, dann ist ja allen Beteiligten
klar, dass der Subtext lautet: „Ich werde dich bis zu dem Zeitpunkt lieben,
an dem ich dich nicht mehr liebe.“ Auch bei den Lockdown-Entscheidungen ist
ja allen klar, dass man das laufend anpassen wird.
Wirklich? Manche Kritiker:innen wirken schon, als hätten sie die einzig
mögliche und ewig gültige Antwort gefunden …
Ich glaube, niemand erwartet ernsthaft bei den Lockdown-Runden ewig gültige
Beschlüsse. Es wäre umgekehrt ein Riesenfehler, neue Informationen nicht zu
berücksichtigen und die Entscheidungen nicht daraufhin anzupassen. Zweifel
ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von Wachheit.
Wie wichtig ist die Atmosphäre, in der die Entscheidungen getroffen werden
sollen?
Es gibt eine sehr interessante Forschung der Psychologieprofessorin Sonja
Lyubomirsky und anderer, die herausfanden, dass Menschen, die sich
glücklich und entspannt fühlten, nachweislich klügere Entscheidungen trafen
– in ihrem Privatleben, indem sie zum Beispiel weniger Alkohol tranken oder
weniger rauchten. Aber auch in ihrem Berufsleben. Zum Beispiel waren sie
weniger nachtragend gegenüber Kollegen. Wir können daraus lernen, dass es
sich offenbar nicht lohnt, aus wütenden, geladenen Momenten heraus
Entscheidungen zu fällen. Lieber durchatmen, die Situation verlassen, sich
beruhigen, drüber schlafen und dann entscheiden.
Wie geht man mit zu wenigen oder fehlenden Informationen um, wenn man
trotzdem dringend eine Entscheidung treffen muss?
Wenn man zu wenige Informationen hat, kann man sich an dem
Entscheidungsprozess von Barack Obama orientieren: Er betrachtete die – oft
nur unvollständigen – Fakten, die er zur Hand hatte, vergewisserte sich
noch einmal, was genau das Ziel war, und wog all das gegen seine Prinzipien
ab. Egal, wie die Dinge dann ausgingen, wusste er so zumindest, dass er mit
den ihm vorliegenden Informationen sein Bestes getan hatte. Man nennt das
[3][value-based decisionmaking]. Es lohnt sich, sowohl als Unternehmen,
aber auch als Privatperson mal in einer ruhigen Minute zu fragen: Was sind
eigentlich meine Prinzipien?
Und was macht man, wenn zu viele Leute mitreden wollen?
Es ist durchaus möglich, viele Personen in den Prozess zu involvieren, aber
es muss allen immer klar sein, bei wem die Entscheidungsmacht liegt.
Kommunizieren Sie das deutlich. Wenn übrigens mehr als sieben Personen
gemeinsam entscheiden sollen, steigt erwiesenermaßen die Gefahr für
sogenanntes Gruppendenken – das Phänomen, dass wir in der Gruppe
Fehlentscheidungen treffen, weil alle ihre Meinung an die Gruppenmeinung
anpassen und sich nicht trauen, Zweifel zu äußern.
Wenn man schon weiß, dass in Zukunft viele die Entscheidung als schlecht
beurteilen könnten, sollte man sie dann überhaupt fällen?
Wenn Sie etwas verändern wollen, stoßen Sie in der Regel immer auf
Widerstand. Denn die meisten Menschen erleben Veränderung als Bedrohung.
Aber deswegen nur populistische Beschlüsse zu fällen ist auch nicht
richtig. Es ist in solchen Fällen wichtig, sich zu fragen, was Sie mit
dieser Entscheidung anstreben, was Ihre, pardon, Vision ist. „Bessere
Quartalszahlen“ oder „Sparmaßnahmen“ sind keine Vision, das sind Vorgabe…
Eine Vision ist glaubwürdig, konkret, sinnvoll – für Sie und andere.
Wie wichtig ist es, dass Entscheidungen für jene nachvollziehbar sind, die
von ihnen betroffen sind?
Brutal wichtig. Sie müssen erklären können, warum die Entscheidung
notwendig ist. Nicht nur, warum die Entscheidung für das Unternehmen oder
für Sie persönlich notwendig ist, sondern auch, warum für die Angestellten.
Der Change-Management-Experte John Kotter schrieb als Faustregel, dass 75
Prozent des Personals den Prozess mittragen müssen, damit eine Veränderung
Erfolg haben kann.
Wie erkennt man, dass eine Entscheidung falsch war? Und was macht man dann
– Augen zu und durch?
Wann immer Sie eine wichtige Entscheidung fällen, schreiben Sie im Vorfeld
auf, welches Ergebnis Sie erwarten. Nach etwa einem Jahr vergleichen Sie
Ihre Erwartung mit dem tatsächlichen Ergebnis. Wenn Sie danebenlagen:
Stehen Sie dazu. Es ist die einzige Art, daraus zu lernen.
31 Mar 2021
## LINKS
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Satisficing
[2] https://en.wikipedia.org/wiki/Maximization_(psychology)
[3] https://www.cbs.mpg.de/210826/value-based
## AUTOREN
Jörn Kabisch
Jan Pfaff
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Psychologie
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