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# taz.de -- Therapeutin gibt Tipps für Entspannung: „Im Stress geht die Intu…
> Wer an emotionalem Stress leidet, kann ihn beruhigen, wenn er die innere
> Einstellung ändert, sagt Michaele Kundermann. Dumm nur, dass wir oft am
> Drama hängen.
Bild: Viele eilen hektisch durch den Alltag – doch der Stress ist meist selbs…
taz: Frau Kundermann, dass Stress krank und unglücklich macht, ist bekannt.
Warum eilen die meisten von uns trotzdem hektisch durch den Alltag?
Michaele Kundermann: Der Stressmodus ist ein wichtiges Überlebenswerkzeug
mit sehr erfolgreichen Strategien: fliehen, kämpfen oder erstarren. Das
funktioniert auch wunderbar bei physischen Bedrohungen. Wenn ich Sie jetzt
aber frage, wie oft Sie im letzten Monat in Lebensgefahr waren …
In Lebensgefahr? Gar nicht.
Dann dürften Sie theoretisch nicht ein Mal im Stress gewesen sein. Aber
heutzutage entsteht Stress in den befriedeten und wohlhabenden Ländern zu
99 Prozent nicht durch physische, sondern durch emotionale Bedrohungen.
Vielleicht waren die in der Evolution gar nicht vorgesehen, jedenfalls
reagiert das Gehirn auf den nervigen Chef genauso wie auf den Angriff eines
Säbelzahntigers. Und das ist, als würde man mit einem Hammer eine Uhr
reparieren wollen.
Was ist denn das richtige Werkzeug bei emotionalen Bedrohungen?
Zunächst müssen wir uns bewusst machen, dass wir uns diese Bedrohungen
selbst schaffen – durch meist unbewusste Gedanken. Der Thalamus, unser
Wahrnehmungsfilter, entscheidet, welche Informationen so wichtig sind, dass
sie an das Bewusste weitergeleitet werden. Und woher weiß er, was mir
gerade wichtig ist? Er schaut sich an, was ich denke. Wenn ich mir morgens
sage: Oh Gott, das wird ein schlimmer Tag, dann denkt der Thalamus: Aha,
sie will also erfahren, dass heute ein schlimmer Tag ist. Und dann lässt er
alle Erfahrungen in mein Bewusstsein, die das bestätigen.
Das klingt, als wäre Stress in 99 Prozent der Fälle selbst gemacht. Aber
was ist, wenn ich einfach wahnsinnig viel zu tun habe?
Wir glauben zwar gern, dass uns bestimmte Situationen in Stress bringen,
aber es ist nicht die Situation. Es ist unsere Antwort auf die Situation.
Sobald wir etwas ablehnen, wertet unser Gehirn das als Bedrohung, und
Bedrohung ist das Signal, das so sicher wie die Schwerkraft Stress
aktiviert. Wenn Sie sich morgens zur Arbeit schleppen und sagen: Pfff,
schon wieder Montag, dann wird auf einmal Ihr ganzer Arbeitsplatz zu einer
Bedrohung.
Und wie kommt man da wieder raus?
Indem man seine Gedanken umdefiniert – den Widerstand in das Annehmen. Sich
sagt: Ich habe diese Arbeit gewählt, damit habe ich auch allen Widrigkeiten
zugestimmt, die mit dieser Tätigkeit verbunden sind. Wenn ich das nicht
mehr will, dann muss ich das eben ändern. Man sollte immer in der
Verantwortung bleiben. Wenn man sich in einen passiven Widerstand begibt,
setzt man sein Nervensystem einer permanenten Hintergrundbedrohung aus.
In Ihrem Buch zitieren Sie den US-Schriftsteller Napoleon Hill, der
empfahl, beim Auftauchen eines Fehlers unverzüglich zu behaupten: „Das ist
gut!“ Das wirkt einigermaßen absurd, wenn man gerade Mist gebaut hat.
Zunächst vielleicht schon, aber wenn wir unsere Gedanken ändern, dann
verändern sich auch die Neurotransmitter im Blut. Wir haben in unserem
Nervensystem zwei neuronale Bereiche, ich nenne sie Panikum- und
Heurekum-Autobahn. Panikum symbolisiert den Stress und alles, was damit
verbunden ist, Heurekum den sogenannten Flow, die Zuversicht, das kreative
Wohlbefinden. Wenn wir auf der neuronalen Panikum-Autobahn unterwegs sind,
werden frühere Erfahrungen getriggert, die Stress in uns ausgelöst haben.
Auf der Herurekum-Autobahn hingegen wird unser Selbstvertrauen bestätigt,
wir sehen plötzlich Möglichkeiten und Chancen, die wir vorher gar nicht
gesehen haben. Je nachdem, auf welcher Autobahn wir unterwegs sind,
verändern sich die Hirnströme. Die fließen tatsächlich in eine andere
Richtung.
Man muss also nur die innere Einstellung ändern? Das klingt einfach.
Ist es auch! Wir müssen eigentlich nur erkennen, wo wir den Fehler machen.
Wenn ich von Frankfurt nach Hamburg will, aber Richtung München fahre, wird
es sehr schwer sein, in Hamburg anzukommen. Wenn ich mich aber um 180 Grad
drehe, klappt es. Wir können nicht auf beiden Autobahnen gleichzeitig
unterwegs sein – wenn wir die Heurekum-Autobahn aktivieren, hemmt sie
unsere Panikum-Autobahn. Und andersherum. Dass das Umdenken oft eine
Herausforderung ist, liegt daran, dass wir am Zweifel festhalten. An
Schuldgefühlen, am Drama. Aber auch an alten, ungelösten emotionalen
Konflikten, die wir noch mit uns herumschleppen.
Was sind das für emotionale Altlasten?
Das wird schon in der frühen Kindheit geprägt. Etwa wenn wir hinfallen und
die Eltern schimpfen: „Du hast deine Hose schon wieder dreckig gemacht!“,
anstatt uns in den Arm zu nehmen und zu trösten. Das Kind in seinem
emotionalen Schreck scheint nicht so wichtig wie die Hose zu sein. Oder
wenn die Eltern emotionale Botschaften vermitteln, die sich widersprechen,
also uns im einen Moment zeigen, dass sie uns lieben, im anderen, dass sie
uns ablehnen. Das kann ein Kind überhaupt nicht verstehen. Es entstehen
massive Unsicherheiten über den eigenen Wert, die als Information im
Nervensystem stecken bleiben. Wenn diese ungelösten Konflikte im Alltag
getriggert werden, aktiviert unser gereiztes Nervensystem sehr schnell den
Stressmodus.
Wer von den Eltern bedingungslos geliebt wird, hat also später gute
Chancen, in stressigen Situationen entspannt zu bleiben?
Ja. Diese Menschen erhalten eine ganz andere Grundlage in ihrem
Nervensystem, sie gehen gelassener und resilienter durchs Leben, weil sie
wissen, dass jemand hinter ihnen steht. Und zwar eindeutig. Das bedeutet
nicht, dass Eltern ihren Kindern keine Grenzen setzen dürfen – im
Gegenteil, das ist enorm wichtig für deren Entwicklung. Aber entscheidend
ist, dass die Liebe dabei gewahrt wird und das Kind sich bedingungslos
angenommen fühlt, auch wenn es etwas angestellt hat.
Eine Umfrage unter meinen Kolleginnen und Kollegen ergab, dass ein großer
Stressfaktor die schlechte Laune der Mitmenschen ist. Wie kann man sich
davor schützen?
Schlechte Laune anderer hat die Tendenz, uns über Spiegelneuronen mit in
den Schlamassel hineinzuziehen. Hier geht es um die Entscheidung: Bin ich
dafür zuständig oder nicht? Grenze ich mich ab oder lasse ich das in mich
rein? Bereits als Kinder versuchen wir unbewusst, unsere Eltern
aufzumuntern, wenn es ihnen schlecht geht, dabei ist ein Kind nicht dafür
zuständig, für das Wohlbefinden der Eltern zu sorgen. Haben wir das als
Kind gelernt, glauben wir aber, dass wir alle Menschen aufheitern müssen.
Damit bürden wir uns eine Verantwortung auf, die viel zu hoch ist. Es ist
nicht meine Verantwortung, dafür zu sorgen, wie es jemand anderem geht. Es
ist einzig meine Verantwortung, dafür zu sorgen, wie es mir geht.
Das klingt fast ein bisschen egoistisch.
Wenn sich jemand neben mir in einer gefährlichen Notlage befindet, muss ich
natürlich für ihn sorgen. Aber viele benutzen ihre schlechte Laune auch als
manipulatives Instrument, um ihre Energielücken aufzufüllen und verlagern
ihre Verantwortung nach außen. Wenn das der Fall ist, sollte man sich
lieber schleunigst entfernen.
Und wenn das nicht geht?
Dann kann man sich immer noch abgrenzen und sagen: „Du, ich möchte jetzt
gar nicht über XY herziehen. Das tut mir nicht gut.“ Wenn die andere Person
unbedingt schlecht drauf sein will, dann muss ich ihr das zugestehen. Dann
braucht sie diese Erfahrung eben für irgendwas.
Ein weiterer Stressfaktor: Multitasking. Wenn ich unter großem Zeitdruck
stehe und drei Menschen gleichzeitig was von mir wollen, bekomme ich
manchmal sogar ein Blackout.
Ja, das ist dann die höchste Form des Stresses. Und das Blackout bekommen
Sie, weil das Blut aus dem Stirnhirn, wo Sie steuern, bewusste
Entscheidungen treffen und Lebensfreude und Selbstwirksamkeit aktivieren,
nach hinten in den Hirnstamm schießt. Dort soll es die Reflexe bedienen –
fliehen, kämpfen, erstarren – und dann können Sie nicht mehr klar denken.
So können die intelligentesten Leute bei einer Prüfung vollkommen
durchsausen, obwohl sie alles wissen, weil sie blutarm in der Stirn sind.
Das heißt, Stress macht dumm.
Könnte man sagen. Oder besser: Er entzieht der Intelligenz die Energie.
Denn er macht ja nicht dauerhaft dumm, sondern nur in diesem Moment. Da
gibt es einen kleinen Trick: Man kann die Hand auf die Stirn legen, dadurch
zieht man das Blut wieder nach vorne. Das ist übrigens auch ein unbewusster
Reflex, den viele von uns haben, wenn sie was vergessen haben. Tatsache ist
außerdem, dass im Stressmodus die Intuition verloren geht, dabei brauchen
wir die dringend.
Wofür?
Wir kommen permanent in neue Situationen, treffen auf neue Menschen, für
die wir keine Erfahrungen abgespeichert haben. Um die adäquat wahrzunehmen
und passend darauf zu reagieren, braucht es Intuition. Im Stressmodus
handelt unser Gehirn aber aus alten Mustern heraus, es setzt quasi eine
Schablone auf die äußere Situation. Man könnte sagen: Die Stressschleife
ist ein Gefängnis unseres Gehirns. Wir können neue Dinge weniger
wahrnehmen, sondern wiederholen permanent die Vergangenheit.
Ich habe einen Backenzahn, der immer dann anfängt zu schmerzen, wenn ich in
Stress gerate. Wie kann das denn sein?
Die Entzündung ist ja ein Kampf im Körper. Eigentlich soll ein Kampf nach
außen gerichtet stattfinden, wenn ich im Stressmodus bin. Aber wenn ich zum
Beispiel nicht Nein sagen kann, obwohl ich es fühle, dann muss das irgendwo
anders hin, und dann wendet es sich nach innen und kann sich in chronischen
Entzündungen äußern.
Kann man dem entgegenwirken, indem man den Kampf nach außen verlagert? Zum
Beispiel durch Sport?
Wenn man bereits in den Stress reingeraten ist, ja. Manchmal brauchen wir
zwei, drei Tage, bis die Stresshormone wieder abgebaut sind. Die eine
Möglichkeit ist Schlaf und Ruhen, die andere ist Sport. Aber auf jeden
Fall: Die Gedanken ändern und nicht dauernd noch weiteren Stress aufbauen.
Denn unsere Gedanken erzeugen die Emotionen, und die Emotionen bewegen den
Körper. Für diese Gedanken brauchen wir Disziplin. Das ist die
Verantwortung jedes Einzelnen, das kann niemand für uns tun, nur wir
selbst.
Klingt nach Arbeit.
Stellen Sie sich das Leben als Schiff vor. Es gibt ein Steuerrad und zwei
Matrosen. Der eine Matrose ist unser Verstand, der andere unser Gefühl. Wer
gehört jetzt ans Steuer? Bei den meisten Menschen ist der Verstand am
Steuer und die Emotionen liegen besoffen in der Ecke. Aber ans Steuer
gehöre doch ich! Die beiden Matrosen sind meine Ressourcen, denen muss ich
vernünftige Aufträge geben. Das ist mein Job. Wenn ich am Steuer stehe,
bedeutet das eben, Verantwortung zu übernehmen. Es scheint unheimlich
einfach, Situationen oder Menschen die Verantwortung für meine Gefühle zu
geben, aber damit übergebe ich ihnen auch die Macht.
Warum steht gerade der Verstand bei den meisten von uns am Steuer?
Weil wir viele emotional unangenehme Erfahrungen abgespeichert haben, die
meistens in der Kindheit entstanden sind. Irgendwann sagt der Verstand:
„Hör mal, das mit deinen Gefühlen ist viel zu schmerzhaft, wir schneiden
die einfach ab. Und wenn du deine Emotionen vermisst, dann simuliere ich
sie dir.“ Wenn ich in meinen Beratungen frage, was jemand fühlt, bekomme
ich oft die Antwort: „Ich denke, ich fühle …“ Aber man kann nicht denken,
wie man sich fühlt. Man kann es nur im Körper fühlen.
Sie schreiben in Ihrem Buch, dass es gerade in Deutschland sehr hoch
angesehen ist, die Gefühle unter Kontrolle zu haben – auch wegen der
Kriegsvergangenheit. Aber das führt uns eigentlich gar nicht weiter, oder?
Genau, das führt noch mehr ins Drama. Emotionen sind ja nur Botschaften,
und zwar antwortende Botschaften auf die Qualität meiner Gedanken. Wenn ich
ständig denke: Ich schaffe das nicht, dann antworten meine Emotionen mit
Energieverlust und vielleicht Bauchschmerzen. Mein Verstand denkt, die
Emotionen seien das Problem, und er versucht, diese zu kontrollieren. Dann
werden die aber nur noch wilder, denn sie müssen mir ja eine Botschaft
überbringen. Der Verstand kapiert dabei nicht, dass er die emotionale
Antwort selbst ausgelöst hat.
Wie geht man denn dann am besten mit unliebsamen Emotionen um?
Wenn sie schon da sind, ist es gut, sie einfach als Botschaft anzunehmen,
auch wenn man sie nicht immer sofort versteht. Aha, diese Wut will mir
etwas sagen, vielen Dank dafür. Wenn ich Ihnen eine Botschaft bringen
möchte, aber Sie hören mich nicht, dann werde ich ein bisschen lauter
reden. Wenn Sie mich immer noch nicht hören, werde ich schreien. Und wenn
Sie mich immer noch nicht hören, dann werde ich Sie rütteln und schütteln.
Aber in dem Moment, in dem Sie die Botschaft angenommen haben, werde ich
ruhig – so auch die Emotionen. Denn der Botschafter hält seinen Mund, wenn
er die Botschaft überbracht hat.
Das heißt, man kann es schaffen, sich nicht von seinen Gefühlen
überwältigen zu lassen, wenn man sie denn rechtzeitig bemerkt.
Ich nenne diese Gefühle „emotionale Welle“. Die geht durch den Körper und
möchte mich zu einer Handlung bewegen – vielleicht wegzurennen oder alles
kurz und klein zu hauen. Ich kann diese emotionale Welle aber auch einfach
beobachten, annehmen und hören, was sie zu sagen hat. Wenn ich etwa wütend
bin, ist dem vorher meistens ein Ohnmachtsgefühl vorausgegangen. Dann kann
ich Mitgefühl mit mir entwickeln, dass das so in mir entstanden ist. In dem
Moment habe ich einen Teil der Botschaft verstanden: Ich habe sie
empfangen, angenommen und sie kann abebben, wie eine Welle.
Also auch da wieder: Verantwortung übernehmen.
Ja, nur Sie können Ihr Leben in die Hand nehmen. Wir haben einen Körper mit
unglaublich vielen Möglichkeiten. Wir haben den Stressmodus, um unser
Überleben zu sichern, wir haben Emotionen, wir haben Verstand, wir haben
Herz – aber das sind alles Instrumente, und wir müssen lernen, sie zu
bedienen, anstatt uns unbewusst von ihnen bedienen zu lassen.
Selbstberuhigung ist ein wichtiger Schritt in die Bereitschaft, diese
Verantwortung zu übernehmen.
7 Apr 2019
## AUTOREN
Franziska Seyboldt
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