# taz.de -- Stressige Emotionsarbeit: Du musst nicht immer freundlich sein | |
> Die Arbeitsbelastungen sind nicht gewachsen, sagen neue Daten. Aber | |
> bestimmte Dienstleistungsberufe schaffen ein hohes Risiko für Burn-out | |
Bild: Callcenter MitarbeiterInnen haben besonders viele Arbeitsunfähigkeitstage | |
Die Kellnerin im voll bepackten Restaurant bemüht sich erst gar nicht um | |
ein Lächeln. Sachlich und kurz nimmt sie die Bestellung auf und | |
entschwindet wieder Richtung Tresen. Hey, du könntest etwas freundlicher | |
sein, denkt man als Gast. Dabei betreibt die Servicekraft reine | |
Selbstfürsorge. Wer sich im Superstress nicht um ein gekünsteltes Lächeln | |
bemüht, kein „Surface Acting“ betreibt, vermeidet „emotionale Dissonanze… | |
und das Burn-out im Job. | |
Das sagt die Stressforschung, die sich mit Präventionsmaßnahmen | |
beschäftigt, die den Gefühlshaushalt regulieren. Denn der Anteil der | |
Arbeitsunfähigkeitstage wegen psychischer Erkrankungen steigt. Es gibt | |
Anzeichen, dass sich die Jobwelt aufspaltet: in gute oder erträgliche | |
Arbeit und in Jobs, in denen man um die eigene psychische Stabilität | |
kämpfen muss. | |
Die Aussage: „Mehr Erwerbstätige werden seelisch krank, weil die Arbeit | |
immer stressiger wird“, stimmt aber in dieser Allgemeinheit nicht. Dies | |
ergeben Daten aus dem unlängst erschienenen „[1][Faktenblatt“] der | |
Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) zum Thema: | |
„Zeitdruck und Co – Wird Arbeiten immer intensiver und belastender?“ | |
Die Bundesanstalt wertete eine Befragung unter 17.000 abhängig | |
Beschäftigten aus und verglich die Ergebnisse aus dem Jahr 2018 mit den | |
Ergebnissen ähnlicher Befragungen aus den Jahren 2012 und 2006. Dabei | |
zeigte sich, das 2018 nur noch 48 Prozent der Befragten angaben, häufig | |
unter „starkem Termin und Leistungsdruck“ zu arbeiten. 2006 waren dies noch | |
54 Prozent gewesen. 2018 gaben 16 Prozent der Befragten an, häufig „an der | |
Grenze der Leistungsfähigkeit“ zu arbeiten, zwölf Jahre zuvor erklärten | |
dies noch 17 Prozent. | |
## Bestimmte Berufe sind besonders belastend | |
Das klingt zwar erst einmal gut, in einer zweiten Stufe der Befragung aber | |
wurden diejenigen, die potenziell schwierigen Arbeitsbedingungen | |
ausgesetzt sind, danach gefragt, inwieweit sie sich dadurch wirklich | |
belastet fühlen. Von denjenigen, die angaben, häufig unter starkem Termin- | |
und Leistungsdruck zu arbeiten, fühlten sich 67 Prozent dadurch stark | |
belastet. Zwölf Jahre zuvor war dieser Anteil deutlich niedriger. Ähnlich | |
sah es bei den Menschen aus, die angaben, häufig an der Grenze zur | |
Leistungsfähigkeit zu arbeiten. Dadurch fühlten sich 79 Prozent wirklich | |
belastet, zwölf Jahre zuvor waren es nur 71 Prozent. | |
Es gibt einige Berufe, in denen Stress und nervlicher Verschleiß ein | |
Riesenthema sind. Welche Berufe dies sind, dazu gibt das unlängst online | |
gegangene Fehlzeiten-Tool [2][der Techniker Krankenkasse] Hinweise. | |
Besonders viele Arbeitsunfähigkeitstage wegen psychischer Erkrankungen | |
fallen danach in bestimmten Dienstleistungsberufen an, darunter | |
AltenpflegerInnen, Callcenter-MitarbeiterInnen, Beschäftigte in Erziehungs- | |
und in sozialen Berufen. | |
Dabei gibt es bestimmte [3][Risikofaktoren,] die ein Burn-out und | |
Depressionen befördern können, wie Forscher der Bundesanstalt für | |
Arbeitsschutz feststellten. Zu diesen Risiken gehören eine hohe | |
quantitative Arbeitsbelastung. „Zeitdruck ist ein großes Problem“, sagt | |
Jörg Feldmann, Sprecher der Bundesanstalt. | |
Das klingt erst mal banal, hat aber schwerwiegende Folgen für die | |
Beschäftigten: Ist die Arbeitsmenge zu groß, die Zahl der PatientInnen, der | |
KundInnen zu hoch, dann schlägt der Stress um in etwas Destruktives. Man | |
fühlt sich der Arbeit ausgeliefert – und kann den eigenen Ansprüchen nicht | |
mehr gerecht werden. Der Verlust der eigenen Gestaltungsmacht ist laut der | |
Sozialforscher der Bundesanstalt ein starker Risikofaktor für Burn-out. | |
## Emotionsarbeit führt zu Burn-out | |
„Die Personalbemessung entscheidet mit über die Arbeitsbelastung“, erklärt | |
auch Rolf Schmucker, Leiter des Instituts DGB-Index „Gute Arbeit“, der eine | |
Befragung von mehreren tausend Erwerbstätigen durchführte. Von den | |
Beschäftigten in Pflegeberufen gab fast die Hälfte an, dass sie häufig | |
Abstriche bei der Qualität ihrer Arbeit machen müssen, um das Arbeitspensum | |
zu schaffen. | |
Im Durchschnitt aller Berufe erlebt dies nur ein knappes Viertel der | |
Befragten. So entsteht der Konflikt, PatientInnen im Heim etwa lange in | |
ihren vollen Windeln liegen lassen und damit Standards von Menschenwürde | |
verletzen zu müssen, nur weil nicht genug Personal da ist. Die PflegerInnen | |
stürzen damit in einen starken inneren Widerspruch zu den eigenen Standards | |
einer normalen bürgerlichen Sozialisation – ein wichtiger Faktor für | |
Burn-out. | |
Zwei Drittel aller Beschäftigten leisten heute „Interaktionsarbeit“ in | |
Callcentern, Schulen, Pflegeeinrichtungen, Arztpraxen. Bei diesen | |
Tätigkeiten erwarten KlientInnen Freundlichkeit, Zuwendung, Empathie, also | |
emotionale Dienstleistungen, was auch als „Emotionsarbeit“ bezeichnet wird | |
und eine gewisse Kontrolle der eigenen Gefühle erfordert, die ja vielleicht | |
ganz anders sein können. | |
Forscher der Bundesanstalt für Arbeitsschutz stellten fest, dass in der | |
[4][Emotionsarbeit] häufiges „Surface Acting“, also das Vortäuschen von | |
Gefühlen mit einem „stärkeren Burn-out und geringerer Arbeitszufriedenheit�… | |
einhergehen, wie es in der Studie dazu hieß. | |
## Dienstkleidung hilft Abstand zu wahren | |
„Wichtig ist, im Einklang mit den eigenen Gefühlen zu stehen“, sagt auch | |
Mazda Adli, Psychiater, Stressforscher und Leiter der Fliedner Klinik | |
Berlin. Er behandelt viele Patienten aus dem öffentlichen Dienst. In | |
Rollenspielen üben sie, wie man in beruflichen Interaktionen den eigenen | |
Emotionen einen adäquaten Ausdruck verleiht, sich schützt vor | |
Überforderung, sich aber gleichzeitig professionell verhält. „In der Regel | |
ist es das Ziel, wieder in den Beruf zurückzukehren“, sagt Adli. | |
Wer sich dann etwa als Mitarbeiterin im Callcenter klarmachen kann, dass | |
man dem Anrufer oder der Anruferin gegenüber in einem professionellen | |
Verhältnis steht, dass er oder sie nur ein Problem hat, bei dem man helfen | |
kann, dass jede Aggression des Kunden oder der Kundin nicht persönlich | |
gemeint ist – wer diese Distanzierung beherrscht, der kann womöglich im | |
sogenannten Deep Acting eine professionelle, aber nicht übertriebene | |
Freundlichkeit an den Tag legen. Dies aber ist schwerste Emotionsarbeit. In | |
vielen Callcentern tragen die Angestellten Dienstkleidung, obwohl die | |
KundInnen sie am Telefon gar nicht sehen können. Die Dienstkleidung hilft, | |
genau diesen inneren Abstand aufzubauen. | |
Man kann Techniken für die Interaktionsarbeit verbessern, aber das Burn-out | |
bleibt auch ein Politikum: In einer Gesellschaft, in der von | |
DienstleisterInnen immer mehr „Care-Arbeit“, Empathie und Zuwendung | |
verlangt wird, ist es ein Skandal, wenn dazu nicht auch die erforderlichen | |
Arbeitsbedingungen und Personalausstattungen geschaffen werden. | |
29 Apr 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.baua.de/DE/Angebote/Publikationen/Fakten/BIBB-BAuA-26.html | |
[2] https://www.tk.de/firmenkunden/gesund-arbeiten/betriebliche-gesundheitsfoer… | |
[3] https://www.baua.de/DE/Angebote/Publikationen/Berichte/F2318-1.html | |
[4] https://www.baua.de/DE/Angebote/Publikationen/Berichte/F2353-1f.html | |
## AUTOREN | |
Barbara Dribbusch | |
## TAGS | |
Stress | |
Burnout | |
Arbeit | |
Burnout | |
Stress | |
Psychotherapie | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Studie über Berufsunfähigkeit: Burnout und Depression | |
Wegen psychischer Probleme krank geschrieben: Das kommt immer häufiger vor. | |
Besonders Frauen sind gefährdet, deshalb berufsunfähig zu werden. | |
Therapeutin gibt Tipps für Entspannung: „Im Stress geht die Intuition verlor… | |
Wer an emotionalem Stress leidet, kann ihn beruhigen, wenn er die innere | |
Einstellung ändert, sagt Michaele Kundermann. Dumm nur, dass wir oft am | |
Drama hängen. | |
Psychologin über Online-Selbsthilfe: „Depression ist ein Massenthema“ | |
Jeder zweite Psychotherapie-Patient bekommt keine Behandlung. Nora Blum hat | |
ein Online-Portal zur Selbsthilfe aufgebaut. |