# taz.de -- Unerträgliches Nichtstun: Ein Plädoyer für Langeweile | |
> Langeweile ist ein unangenehmes Gefühl, dem wir entkommen wollen. Dabei | |
> kann Nichtstun auch kreative Prozesse in Gang setzen. | |
Bild: Als es noch Langeweile gab: kurz vor der Verbreitung des Smartphones, Ber… | |
Die Uhr tickt. Sehr langsam. Jeder Schritt des Minutenzeigers scheint eine | |
Ewigkeit zu dauern. Es gibt nichts zu tun, außer wie hypnotisiert den | |
Zeiger zu beobachten … | |
Es ist ein Phänomen der [1][Langeweile,] dass die Zeit stillzustehen | |
scheint. Je mehr wir darüber nachdenken, desto intensiver wird das Gefühl. | |
Kein Wunder, dass wir einen Ausweg suchen – irgendetwas, womit wir uns | |
beschäftigen können. Instinktiv blicken wir uns nach Ablenkung um, manchmal | |
finden wir sie sogar. | |
Doch dabei übersehen wir, dass die Langeweile auch hilfreich sein kann. | |
Etwa als Signal und als Motivation, etwas an unserer Situation zu ändern. | |
Sind wir mit unserer Arbeit andauernd gelangweilt, sollten wir uns | |
vielleicht neue Herausforderungen suchen. Das muss nicht gleich ein neuer | |
Arbeitsplatz oder ein ganz neuer Beruf sein. Möglicherweise genügt es | |
schon, mit dem Chef neue Ziele zu setzen oder zusätzliche Verantwortung zu | |
übernehmen. Aber: Um den Antrieb zu einer Veränderung zu finden, sollten | |
wir auf unsere Langeweile hören. | |
Dass das nicht leicht ist, zeigt auch eine Studie, die von einem | |
Forscherteam um den Sozialpsychologen Timothy D. Wilson von der University | |
of Virginia, Charlottesville, durchgeführt wurde. Testpersonen mussten 15 | |
Minuten lang in einem leeren Raum aushalten. Sie sollten ihren Gedanken | |
nachgehen und sonst nichts tun. Das klingt eigentlich gar nicht so schlimm, | |
immerhin ist es eine vergleichsweise kurze Zeit. | |
Doch offenbar war das schon zu lange für einige der Testpersonen. Denn in | |
einem zweiten Durchgang hatten sie die Möglichkeit, sich per Knopfdruck | |
einen elektrischen Schock zuzufügen. Und tatsächlich machten viele davon | |
Gebrauch: Etwa zwei Drittel der Männer und immerhin ein Viertel der Frauen | |
verabreichten sich lieber einen schmerzhaften Schock, als ohne | |
Beschäftigung herumzusitzen. Noch beeindruckender war, dass alle | |
Teilnehmenden der zweiten Runde zuvor angegeben hatten, sie würden sogar | |
Geld bezahlen, um einen Schock zu vermeiden. Wie unangenehm dieses Gefühl | |
der Langeweile doch sein musste! | |
## Reales Leben vs. Laborsituation | |
Das Ergebnis dieser Studie sollte man allerdings relativ sehen, sagt | |
Sabrina Krauss, Professorin für Psychologie an der SRH Hochschule Hamm. „In | |
reizarmen Räumen zu sitzen, ist nicht unsere Normalität. Solche Situationen | |
mögen wir nicht.“ Zu Hause im Garten zu sitzen sei eine vollkommen andere | |
Sache. Wie so oft ist es schwierig, die recht sterilen Laborergebnisse auf | |
das reale Leben zu übertragen. | |
Schaffen wir es, in unserem Alltag ab und zu Langeweile zuzulassen, kann | |
uns das helfen, zur Ruhe zu kommen, so Sabrina Krauss. „Wir brauchen | |
Momente, in denen sich unsere Gedanken sortieren. Das kommt aber zu kurz, | |
wenn wir uns bei der kleinsten Langeweile sofort ablenken.“ | |
Ein allgemein gültiges Konzept, das für jede*n passt, gibt es freilich | |
nicht. Manche Menschen können besser mit Langeweile umgehen und sie | |
sinnvoller umsetzen als andere. Was für eine Person unerträglich scheint, | |
führt andere auf den Weg zu einem kreativen Denkprozess. | |
Die Langeweile selbst ist jedoch nicht kreativ, betont John Eastwood, | |
Associate Professor im Department of Psychology der York University in | |
Toronto, Kanada. Für ihn ist es „das unangenehme Gefühl, eine | |
zufriedenstellende Aktivität ausführen zu wollen, aber nicht zu können.“ | |
Anders gesagt: Wir möchten eigentlich etwas tun, doch uns steht nichts zur | |
Verfügung, was uns in diesem Moment erfüllen würde. | |
Eastwoods Definition schließt einen kreativen Prozess also aus, denn wenn | |
wir in unseren Gedanken aufgehen, sind wir konzentriert und interessiert. | |
„Sobald unser Gehirn im richtigen Maß angeregt ist, endet die Langeweile“, | |
sagt John Eastwood. Was uns wieder zur Motivation bringt: Das | |
unbefriedigende Nichtstun sorgt in diesem Fall dafür, dass das Gehirn nach | |
alternativen Beschäftigungen sucht, und bringt es dadurch in die Lage, | |
kreativ zu denken. | |
Während ein wenig Langeweile uns also sogar helfen kann, sollte es nicht | |
zum Dauerzustand werden. Denn das kann zu allen möglichen negativen | |
Verhalten führen. So essen wir beispielsweise mehr und ungesünder, wenn wir | |
uns langweilen. Selbst mit depressiven Symptomen gibt es einen Zusammenhang | |
– ob die Langeweile jedoch eine depressive Stimmung auslöst oder Menschen | |
mit Depressionen schneller gelangweilt sind, ist bisher nicht bekannt. | |
Sicher ist, dass manche Menschen öfter unter dem Gefühl leiden als andere. | |
Das hängt von der Persönlichkeit ab, von der Umwelt und auch davon, wie gut | |
Jede*r mit Langeweile umgeht. Zumindest einige dieser Aspekte können wir | |
beeinflussen. Etwa, indem wir an einen Ort gehen, der uns geistig anregt, | |
oder uns mit Menschen treffen, mit denen wir interessante Gespräche führen | |
können. Den Umgang mit der Langeweile können wir sogar üben, sagt Sabrina | |
Krauss: „Sich einfach mal ein paar Minuten allein hinzusetzen und nichts zu | |
tun, ist ein guter Anfang.“ Dabei sollte man es langsam angehen, eine | |
Minute genüge vorerst. Von dort aus könne man sich steigern und dadurch | |
lernen, das Gefühl auszuhalten. | |
Manchmal sind wir auch gezwungen, monotone Aufgaben zu erledigen. Da gibt | |
es kein Entkommen, weil die Arbeit nun einmal getan werden muss. | |
Möglicherweise hilft es, in Tagträumen über den nächsten Urlaub zu | |
versinken – doch was, wenn auch das nicht geht? | |
## Monotone Arbeiten | |
Nehmen wir an, wir müssen bei der Arbeit Zahlen vom Blatt in den Computer | |
übertragen. Das fordert genug Hirnkapazität, um ein Abschweifen ans Meer zu | |
verhindern, ist aber dennoch monoton. John Eastwood findet, dass wir auch | |
solche Situationen in wertvolle Momente verwandeln können. „Wir sollten | |
dazu die Aufmerksamkeit auf die kleinen Dinge richten. Je mehr wir | |
bemerken, desto interessierter werden wir.“ | |
Auf das Beispiel mit den Zahlen übertragen, könnten wir zum Beispiel in den | |
nichtssagenden Nummern nach Primzahlen suchen, kleine Rechenaufgaben im | |
Kopf machen oder für uns wichtige Daten entdecken. | |
So wird eine Art Spiel daraus, das sogar unsere geistigen Fähigkeiten | |
schult. Was uns zu dem nächsten Punkt bringt: Wenn wir überzeugt davon | |
sind, dass eine Tätigkeit gut für uns und unsere Gesundheit ist, führen wir | |
sie freiwilliger und besser aus. | |
Dieses Wissen können wir nutzen, um entweder das Positive in unseren | |
Aufgaben zu finden oder um das Nichtstun besser zu ertragen. Gehen wir doch | |
zum nächsten Arzttermin gleich mit der Einstellung, dass uns [2][die | |
Wartezeit] eine gute Möglichkeit zur nützlichen Langeweile bietet. | |
Vielleicht schaffen wir es dann, die Monotonie auszuhalten, den Frust zu | |
vergessen und stattdessen unsere Gedanken in Ruhe zu sortieren. | |
Hoffentlich erwischen wir nicht ausgerechnet einen Tag, an dem es in der | |
Praxis richtig schnell geht. Denn zu Hause erwarten uns möglicherweise | |
schon die nächsten Ablenkungen. | |
25 Feb 2021 | |
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## AUTOREN | |
Stefanie Uhrig | |
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