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# taz.de -- Persönliche Propaganda: Die wandelnden Litfaßsäulen
> Der Kardashian-Clan hat mehr Follower als Europa Einwohner: „Influencer:
> Die Ideologie der Werbekörper“ von Ole Nymoen und Wolfgang M. Schmitt.
Bild: Kris Jenner, Kourtney, Khloe und Kim Kardashian sind Teil von „Keeping …
Influencer*innen erregen im Kosmos der sozialen Netzwerke oft die
Gemüter und sorgen für virale Posts oder Tänze, die um die Welt gehen. Weil
die wandelnden Litfaßsäulen unserer Zeit scheinbar spielerisch das
Marketing der letzten zehn Jahre revolutioniert haben, erscheint im
Suhrkamp Verlag nun ein Sachbuch über das Phänomen. „Influencer: Die
Ideologie der Werbekörper“ wurde vom Soziologen und
Wirtschaftswissenschaftler Ole Nymoen und dem Kulturwissenschaftler
Wolfgang M. Schmitt verfasst.
Der akademische Hintergrund beeinflusst die Influencer-Betrachtung: Marx
und sein Kapitalbegriff sind da ein Muss, schließlich ist „die Arbeit am
Selbst und am Körper“, wie die Autoren sagen, „ein wichtiges Neuland der
Kapitalakkumulation“.
Besonders interessant ist jedoch, dass die Autoren nicht nur aus Distanz
über Influencer*innen schreiben. Sie selbst besitzen Praxiserfahrungen
auf Youtube und im Podcast-Bereich, die allerdings – entscheidender
Unterschied – nicht auf Werbeeinnahmen abzielen, sondern nur ein breites
Following anstreben.
## Schmitt ist selbst unter die Youtuber gegangen
Schmitt ist 2011 mit [1][seinem Kanal „Die Filmanalyse“] unter die Youtuber
gegangen und dürfte den Wandel von Youtube und den Aufstieg des
Influencer-Konzepts auf der Video-Plattform deshalb genau beobachtet haben.
Sei es auf Youtube, Instagram oder Tiktok – durch ihre Recherchen zu
Influencer*innen haben die Autoren offensichtlich eine Abneigung gegen
dieses Werbeformat entwickelt. Dieses Gefühl vermittelt jedenfalls die
Lektüre und manchmal denkt man, die Autoren wollten Influencer*innen
in ihrem Handeln nicht analysieren, sondern entlarven.
Das wird besonders in den Einleitungen zu den verschiedenen Kapiteln
deutlich, in denen stets ein anonymes, klischeetypisches Bild beschrieben
wird. In „Einflussreiche Körperbilder“ schreiben sie über ein männliches
Calvin-Klein-Unterwäsche-Model: „Der kräftige Hals führt zu einem Körper,
der jeden Versuch, Naivität und Unschuld auszustrahlen, nicht bloß kokett,
sondern gänzlich albern erscheinen lässt.“ Der Verriss scheint jedoch
überflüssig, wäre doch die objektive Beschreibung stark genug, um das
„Alberne“ in der Darstellung zu erahnen.
## Schockierende Reichweite der Influencer*innen
Trotzdem lohnt die Lektüre. Die wissenschaftlichen Abschnitte heben
interessante Aspekte hervor, denen man sich als Außenstehende nicht bewusst
war. So schockiert zum Beispiel die unglaubliche Reichweite mancher
Influencer*innen, von denen Politiker*innen oder Aktivisten*innen
nur träumen können.
Die Followerzahl der [2][der Kardashian-Jenner-Familienmitglieder]– im Buch
Influencer-Avantgarde genannt – übersteigt beispielsweise zusammengerechnet
die Einwohnerzahl Europas. Dass Kylie Jenner beim Verfassen des Buchs knapp
200 Millionen, heute aber bereits 218 Millionen Personen auf Instagram
folgen, zeigt, dass Influencer*innen noch lange nicht ihre maximale
Reichweite erreicht haben.
Die Verantwortung, die damit einhergeht, wird oft unterschätzt. Besonders
unrealistische und bearbeitete Körperbilder sowie traditionelle
Rollenbilder, die viele Influencer*innen promoten und als
Selbstermächtigung verkaufen, sehen die Autoren zurecht kritisch.
Trotzdem ist zu bezweifeln, ob das Publikum wirklich so unaufgeklärt ist,
wie es die Autoren annehmen. Nymoen und Schmitt schreiben, dass die Werbung
als eine Bereicherung wahrgenommen wird und sich das Publikum mit den
Influencer*innen stark identifiziert. Sie sehen darin eine Gefahr.
Doch muss einem Influencer-Profil zu folgen bedeuten, dass man allem
zustimmt? Es ist ein schmaler Grad zwischen Sympathie und der
zeitgenössischen Intelligenz des „Sich-Verkaufens“, auf dem die
Influencer*innen sich bewegen. Genauso ihre Follower.
21 Mar 2021
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/user/Filmanalyse
[2] /Kim-Kardashians-Party-auf-Privatinsel/!5720987
## AUTOREN
Lorina Speder
## TAGS
Influencer
Social Media
Online-Werbung
Literatur
Kulturelle Aneignung
Influencer
Roman
Schwerpunkt Feministischer Kampftag
Medien
zeitgenössische Kunst
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