# taz.de -- Atomenergie und Klimakatastrophe: Keine strahlende Zukunft | |
> Zum Fukushima-Jubiläum heißt es wieder: Kann die Atomenergie das Klima | |
> retten? Die Zahlen sprechen dagegen. Die Politik scheut das Thema. | |
Bild: Alle Zahlen sprechen dagegen: das AKW hat fürs Klima keine Zukunft | |
Für Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) sind es schlicht „Märchen�… | |
Derzeit würden „kleine Reaktoren propagiert, die Atommüll fressen und | |
ungefährlich sein sollen“, erklärte sie zum 10 Jahrestag der | |
Nuklearkatastrophe von Fukushima am 11. März der Neuen Osnabrücker Zeitung. | |
Aber auch diese Ideen lösten die alten Probleme der Atomkraft nicht, meinte | |
Schulze – und auch nicht die Klimakrise. Das nämlich hatte die Zeitung | |
gefragt: [1][„Braucht es ein Atomkraft-Revival für den Klimaschutz?“] | |
Nein, ist die deutliche Antwort, und zwar aus vielen Richtungen: Zumindest | |
für Deutschland und auch für den europäischen Strommarkt ist die Atomkraft | |
keine Abkürzung auf dem Weg zum Klimaschutz. Zwar hatte Schulze in der | |
vergangenen Woche 12 Forderungen vorgestellt, um „den Atomausstieg zu | |
vollenden“, beispielsweise durch die [2][Schließung der Atomfabriken in | |
Lingen und Gronau, mehr Erneuerbare und den Kampf gegen längere Laufzeiten | |
und Subventionen in der EU.] Aber mit Bedacht erhebt die Ministerin diese | |
Forderungen zum Ende ihrer Amtszeit und schiebt sie so an die nächste | |
Bundesregierung weiter. Bisher waren diese Ideen mit der CDU/CSU nicht | |
durchsetzbar. | |
Umso mehr gilt das für eine Rückkehr zum Atom für den Klimaschutz. Die | |
Politik scheut das umstrittene Thema, Energiekonzerne winken ab, Behörden | |
widerlegen mit neuen Gutachten die Träume von einer Renaissance der | |
Nukleartechnik. Und ExpertInnen sprechen von einer „Geisterdebatte“. | |
Angestoßen hat die pünktlich zum Fukushima-Jahrestag ein neues Buch des | |
US-Milliardärs und Microsoft-Gründers Bill Gates. In seinem Werk „Wie wir | |
die Klimakatastrophe verhindern“ propagiert Gates neben vielen anderen | |
konventionellen Ideen (Effizienz, neue Techniken, CO2-Preis) auch die | |
„einzige CO2-freie Energiequelle, die zuverlässig und rund um die Uhr | |
elektrischen Strom liefern kann“: Ein von seiner Firma Terrapower | |
ausgedachter „Laufwellenreaktor“ (TWR) könne automatisch laufen, | |
unterirdisch arbeiten und sogar mit Atommüll betrieben werden und habe | |
„alle wichtigen Probleme gelöst“, schreibt Gates. | |
## „Comeback einer gefährlichen Idee“ | |
US-Präsident Joe Biden erklärte, das Land werde bei seinem Klimaplan auch | |
diese Planungen für kleine modulare Reaktoren (SMR) betrachten. Die | |
Internationale Energieagentur IAEA sieht die Nukleartechnik ohnehin als | |
Retter in der Klimakrise. Medien wie die Zeit schreiben von einem „Comeback | |
einer gefährlichen Idee“, der Spiegel warnte, der „Kampf gegen den | |
Klimawandel macht die Nuklearenergie erneut attraktiv“. Und auch Teile der | |
Umweltbewegung sind aufgeschreckt von einer möglichen Rückkehr der | |
Kernspaltung. | |
Allerdings widerspricht der wichtigste Player: die Atomindustrie. „[3][Eine | |
Laufzeitverlängerung ist für uns keine Option“, sagte Guido Knott, Chef der | |
PreussenElektra im Herbst 2020 dem Handelsblatt.] „Wir akzeptieren diese | |
politische Entscheidung, die von einer breiten Mehrheit getragen wurde“, | |
erklärte der Chef der Eon-Tochter, die deren Atomkraftwerke betreibt und | |
abwickelt. | |
Derzeit sei man voll mit dem Rückbau der Anlagen beschäftigt. Und einen | |
Neubau von Atomkraftwerken in Deutschland verweisen auch die anderen | |
Energiekonzerne ins Reich der Fantasie. Das sei nur machbar mit staatlichen | |
Firmen oder mit massiver staatlicher Hilfe. In einem liberalisierten | |
Energiemarkt wie in der EU seien neue AKWs die absolute Ausnahme. | |
## Kosten und Risiken auf freien Märkten zu hoch | |
Für Mycle Schneider, den renommierten internationalen Atomexperten und | |
Träger des alternativen Nobelpreises, kommen Meldungen über die | |
Wiederauferstehung der Atomkraft „aus dem LaLa-Land der Desinformation“. Es | |
gebe auch international keine Renaissance, sondern „einen organischen | |
Ausstieg“, wenn die Reaktoren ihr Lebensalter erreichten. Denn die Kosten | |
und Risiken auf freien Märkten seien zu hoch für Neubauten und Erneuerbare | |
so viel günstiger geworden. | |
„In den letzten zehn Jahren sind 63 Reaktoren ans Netz gegangen, aber es | |
wurden auch 59 abgeschaltet“, sagt Schneider, der mit [4][seinem jährlichen | |
„World Nuclear Industry Status Report“] die Branche seit Jahrzehnten im | |
Blick hat. „56 der 63 neuen AKWs befinden sich oder stammen aus Ländern mit | |
Atomwaffen, darunter allein 37 in China. Für den Bau von Atomkraftwerken | |
gibt es geopolitische, strategische, militärische und sonstige Beweggründe, | |
aber nicht den Klimaschutz“, so Schneider. | |
## Solarstrom inzwischen günstig | |
Der lasse sich höchstens anführen, um Laufzeiten von AKWs zu verlängern. | |
[5][So hatte auch der CDU-Vorsitzende Armin Laschet argumentiert, | |
eigentlich hätte aus Klimaschutzgründen der Kohleausstieg vor dem | |
Atomausstieg] kommen müssen. Allerdings hat Laschet als Ministerpräsident | |
von NRW immer für die Kohle gekämpft. Und selbst wenn abgeschriebene AKWs | |
billigen CO2-armen Strom produzieren, erinnert Schneider, seien manche | |
Projekte wie Solarstrom in Portugal und Spanien inzwischen so günstig, dass | |
sie sogar abgeschriebenen Atomanlagen Konkurrenz machten. | |
Mit der Idee für Reaktoren, die ein neues Konzept („Partitionierung und | |
Transmutation“, P&T) haben oder klein sind (SMR), [6][haben sich auch zwei | |
Gutachten befasst, die in der vergangenen Woche das „Bundesamt für die | |
Sicherheit der nuklearen Entsorgung“ (BASE)] präsentiert hat. Das | |
vernichtende Fazit: „In absehbarer Zeit können möglicherweise zur Verfügung | |
stehende Atom-Technologien weder die Altlasten der Atomenergie-Nutzung | |
beseitigen noch die jetzt anstehenden Zukunftsfragen des Klimawandels | |
beantworten“, sagte BASE-Präsident Wolfram König. | |
## Gutachten warnt vor neuen Reaktortypen | |
Die Befürworter der P&T-Technik, zu der [7][neben der AfD auch der | |
CDU-Wirtschaftspolitiker Friedrich Merz gehören,] hoffen darauf, dass neue | |
Reaktortypen mit dem jetzigen Atommüll laufen könnten. Das aber sei | |
unbewiesen, brauche eine Verlängerung der Atomkraftnutzung für Jahrzehnte, | |
verzögere die Endlagerung und verringere selbst im besten Fall den hoch | |
strahlenden Müll nur teilweise, warnt das Gutachten. | |
Auch bei der SMR-Technik gebe es große Fragezeichen, schreiben die | |
Gutachter: Zwar falle an den einzelnen kleinen Standorten weniger Müll an. | |
Aber das strahlende Material werde bei dezentralen Anlagen, die statt einem | |
Gigawatt Leistung, wie bei großen AKWs, vielleicht nur 50 Megawatt für die | |
Versorgung kleiner Städte lieferten, auch über viele Gegenden verteilt, es | |
gebe Risiken beim Transport, bei der Entsorgung und beim Zugriff auf | |
waffenfähige Stoffe. Vor allem „müssten weltweit tausend bis zehntausend | |
dieser SMR-Anlagen gebaut werden“, um den jetzigen Strombedarf zu decken. | |
Denn heute machen die weltweit etwa 440 Atommeiler nur gut 10 Prozent der | |
weltweiten Stromproduktion aus. | |
## Keine der Techniken ist schnell genug einsetzbar | |
Das deutlichste Argument gegen den Klimaretter Atomkraft aber ist die | |
Dringlichkeit der Klimakrise. Denn keine der angeblichen Zukunftstechniken | |
ist so weit entwickelt, dass sie im größeren Maßstab bald einsetzbar wäre. | |
„Die beiden schwimmenden russischen Kleinreaktoren auf dem Schiff,Akademik | |
Lomonossow' haben fast 13 Jahre Bauzeit gebraucht und die Kosten sind | |
explodiert. Das ist kein Vorbild“, sagt Mycle Schneider. „Und in den USA | |
rechnet das,NuScale'-Projekt, das einzige genehmigte neue Design, mit einem | |
Prototyp für 2030.“ | |
Aber genau dieses Jahrzehnt bis 2030 wird für den Klimaschutz entscheidend | |
sein. Nach den [8][Berechnungen des UN-Klimarats IPCC müssen in den | |
nächsten zehn Jahren die weltweiten CO2-Emissionen etwa halbiert] werden, | |
damit die Welt ihre Chance wahrt, den Klimawandel bei 2 oder 1,5 Grad zu | |
begrenzen. Um sofort mit den CO2-Reduktionen zu beginnen, kommen aber | |
selbst im günstigsten Fall alle die neuen Nuklearideen mindestens ein | |
Jahrzehnt zu spät. | |
Das gesteht auch Bill Gates ein. „Wir sind noch etliche Jahre entfernt von | |
der Grundsteinlegung für ein TWR-Kraftwerk“, schreibt der Microsoft-Gründer | |
in seinem Buch. Noch gebe es nicht einmal einen Prototypen für diese | |
Energiequelle, die angeblich alle Probleme lösen soll. „Bis jetzt existiert | |
die Terra-Power-Konstruktion nur in unseren Supercomputern.“ | |
14 Mar 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.noz.de/deutschland-welt/politik/artikel/2253054/braucht-es-ein-… | |
[2] https://www.bmu.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Nukleare_Sicherheit/12_… | |
[3] https://www.capital.de/wirtschaft-politik/warum-der-ausstieg-aus-dem-atomau… | |
[4] https://www.worldnuclearreport.org/ | |
[5] https://www.rnd.de/politik/laschet-beklagt-falsche-reihenfolge-bei-atom-und… | |
[6] https://www.base.bund.de/DE/themen/kt/kta-deutschland/p_und_t/partitionieru… | |
[7] /CDU-Vorsitz-Kandidat-Friedrich-Merz/!5671180 | |
[8] https://www.ipcc.ch/site/assets/uploads/sites/2/2019/06/SR15_Headline-state… | |
## AUTOREN | |
Bernhard Pötter | |
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