# taz.de -- Umweltstaatssekretär über Ausstieg: „Das Atomthema ist durch“ | |
> Die Milliarden-Entschädigung für die AKW-Betreiber ist unvermeidlich, | |
> meint Jochen Flasbarth. Den Energiecharta-Vertrag will er stark | |
> verändern. | |
Bild: Unter anderem für seine Abschaltung wollte Vattenfall Geld: Das AKW Krü… | |
taz: Herr Flasbarth, die Bundesregierung hat sich mit den Atom-Betreibern | |
auf eine [1][Entschädigung von 2,4 Milliarden] Euro für den Ausstieg | |
geeinigt. Das Umweltministerium war ursprünglich nur von [2][etwa 1 | |
Milliarde ausgegangen]. Warum wird es jetzt so viel teurer? | |
Jochen Flasbarth: Diese Schätzung hatten wir gemacht, bevor das | |
Bundesverfassungsgericht im November 2020 ein neues Urteil gesprochen | |
hatte, wonach die geplante Regelung unzureichend war. Aber im Vergleich zu | |
den 7 Milliarden Euro, die allein Vattenfall vor dem [3][Schiedsgericht in | |
Washington] gefordert hat, ist die Summe dann doch moderat ausgefallen. Und | |
einen Teil des Geldes bekommt die öffentliche Hand zurück, weil die | |
Unternehmen die Zahlung versteuern müssen. | |
Bisher hatte die Bundesregierung die Berechtigung des Schiedsverfahrens | |
komplett bestritten. Nun hat man sich auch dort geeinigt. Ein bisschen | |
Angst, zahlen zu müssen, hatten Sie also doch? | |
Natürlich. Wir haben zwar gute Argumente angeführt, warum Vattenfalls | |
Forderungen unbegründet waren, aber sicher sein konnten wir natürlich | |
nicht. Ausgangspunkt der Verhandlungen war allerdings nicht dieses | |
Verfahren, sondern die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Es hat | |
sich dann lediglich ergeben, dass wir dabei auch das Schiedsverfahren für | |
erledigt erklären konnten. Es ist deutlich geworden, dass auch die | |
Unternehmen diese Streitigkeiten hinter sich lassen wollen. Ihr | |
Geschäftsumfeld in Deutschland ist jetzt geprägt von den Erneuerbaren. Da | |
wollen sie mit dem Atomthema öffentlich möglichst wenig in Verbindung | |
gebracht werden. | |
Vattenfalls Klage beruhte auf der Energiecharta. Wäre das nicht ein guter | |
Anlass, diesem umstrittenen Vertrag zu kündigen, wie es viele Umweltgruppen | |
fordern? | |
Nein, ich bin dagegen, aus dem Vertrag auszusteigen; schließlich profitiert | |
Deutschland auch davon, wenn Rechtssicherheit für Unternehmen herrscht. | |
Aber er muss grundlegend reformiert werden. Wir sind jetzt auf dem Weg in | |
eine neue Energiewelt, auch international. Darum muss auch der | |
Energiecharta-Vertrag Paris-kompatibel werden, er muss sich am Ziel der | |
Klimaneutralität orientieren. | |
Was heißt das konkret? | |
Wir möchten, dass fossile Investitionen dadurch nicht mehr geschützt | |
werden. Für Erneuerbare brauchen wir dagegen mehr Rechtssicherheit. | |
Und wenn es dafür keine Mehrheit gibt? | |
Das wird nicht von heute auf morgen zu erreichen sein. Aber für uns ist | |
klar: Wenn er sich nicht an den Zielen des Pariser Klimaabkommens | |
orientiert, hat der Energiecharta-Vertrag keine Zukunft. | |
Teilweise wird behauptet, die schwarz-gelbe Laufzeitverlängerung von 2010 | |
sei der Hauptgrund für die hohe Entschädigung. Ist dieser Vorwurf aus Ihrer | |
Sicht berechtigt? | |
Nein. Union und FDP verantworten nur einen kleinen Teil der Zahlung: Einen | |
Ausgleich von 142 Millionen Euro für Investitionen, die die Betreiber | |
zwischen der Laufzeitverlängerung und der erneuten Verkürzung 2011 getätigt | |
haben. Der allergrößte Teil der Zahlung, die wir jetzt leisten – 2,3 | |
Milliarden Euro – wird dafür gezahlt, dass die Katastrophe in Fukushima die | |
gesellschaftliche Stimmung verändert hat: Es gab einen sehr lauten Ruf, | |
dass Deutschland schneller aus der Atomkraft aussteigt, als im Jahr 2000 | |
von Rot-Grün festgelegt worden war. | |
Und wer hat ihn erhört? | |
Das war ein parteiübergreifender Konsens, an dem neben Union und FDP auch | |
meine Partei und die Grünen mitgewirkt haben. Und die Linke, die sich | |
enthalten hat, wollte einen noch schnelleren Ausstieg, der noch höhere | |
Zahlungen zur Folge gehabt hätte. Alle diese Parteien sind gemeinsam dafür | |
verantwortlich, dass diese Ausgleichszahlungen jetzt stattfinden müssen. | |
Und für mich gehört es zum guten demokratischen Umgang miteinander, dass | |
man das nicht verunklart, sondern genau so sagt. | |
2016 hat der Staat den Konzernen die [4][Verantwortung für den Atommüll | |
abgenommen]. Hätte man damals nicht einen Verzicht auf die Klagen | |
durchsetzen können? | |
Ich hätte mir das gewünscht. Aber die überparteiliche | |
Kernenergie-Finanzierungskommission KfK hatte das damals leider nicht so | |
klar gefordert, das war nicht durchsetzbar. Wenn wir damals gewusst hätten | |
wie die Unternehmen heute wirtschaftlich dastehen, wären sie aber | |
vermutlich nicht so günstig davongekommen. | |
Ist das Thema Atomkraft in Deutschland damit jetzt endgültig erledigt – | |
oder wird es auch hierzulande angesichts der Klimakrise eine neue Debatte | |
geben? | |
Für den Staat ist das Kapitel noch nicht abgeschlossen, denn der Atommüll | |
wird uns noch viele Jahrzehnte beschäftigen. Aber davon abgesehen ist das | |
Thema in Deutschland durch. Keine seriöse politische Kraft fordert eine | |
Rückkehr zur Atomkraft. Und die Kostenvorteile der Energiewende sind | |
gegenüber nuklearen Phantasien inzwischen so groß, dass die Atomkraft schon | |
deshalb keine Chance mehr hat. | |
Das sieht Joe Biden anders. | |
Jeder hat ein Recht auf Fehleinschätzungen. Tatsache ist: Während die | |
Erneuerbaren weltweit dynamisch wachsen und immer billiger werden, dauern | |
Atomplanungen immer länger und werden immer teurer. Ich bin sicher, dass | |
wir auf den wettbewerbsfähigsten Weg gesetzt haben und dass Atomkraft schon | |
wegen ihres minimalen Anteils am Gesamtenergiemix weltweit keine Chance | |
hat. | |
11 Mar 2021 | |
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## AUTOREN | |
Malte Kreutzfeldt | |
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