Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Juristin über Atomausstieg-Entschädigung: „Die Drohkulisse stan…
> Rechtswissenschaftlerin Rhea Hoffmann vermutet, Vattenfall bekommt mehr
> Entschädigung für den Atomausstieg, weil der Konzern geklagt hatte.
Bild: Vattenfall erhält 1,4 Milliarden Euro für Krümmel und Brunsbüttel
taz: Frau Hoffmann, die Bundesregierung und die Energiekonzerne haben einen
Vergleich geschlossen. Der Bund muss als Entschädigung für den Atomausstieg
2,4 Milliarden Euro an die Energie-Unternehmen Vattenfall, Eon, RWE und
EnBW bezahlen. Musste das sein oder wird hier Steuergeld verschleudert?
Rhea Hoffmann: Das [1][Bundesverfassungsgericht hat 2016 entschieden], dass
der nach Fukushima beschleunigte Atomausstieg als politische Entscheidung
grundsätzlich entschädigungsfrei möglich war. Dabei bleibt es auch. Der
jetzt vereinbarte Ausgleich bezieht sich nur auf drei begrenzte
Konstellationen, die schon das Bundesverfassungsgericht 2016 als
ausgleichspflichtig eingestuft hat.
Um welche drei Fälle geht es genau?
Erstens geht es um die früh abgeschalteten AKWs Krümmel und Brunsbüttel,
die ihre Reststrommengen nicht mehr voll verbrauchen konnten. Auch die
Reststrommenge, die einst für das bereits stillgelegte AKW Mülheim-Kärlich
gewährt worden war, konnte wegen des beschleunigten Atomausstiegs nicht
mehr aufgebraucht werden. Und schließlich bekommen die Unternehmen Ersatz
für Investitionen, die sie 2010/2011 mit Blick auf die zwischenzeitliche
Laufzeitverlängerung getätigt haben.
Wofür fließt am meisten Geld?
Von den jetzt vereinbarten 2,4 Milliarden Euro soll Vattenfall 1,4
Milliarden Euro erhalten. Hierbei geht es um die nicht mehr nutzbaren
Strommengen der AKWs Krümmel und Brunsbüttel.
Bisher ging die Bundesregierung eher von einer Summe für Vattenfall im
dreistelligen Millionen-Bereich aus.
Dass Vattenfall nun deutlich mehr bekommt als bisher erwartet, könnte ein
Indiz dafür sein, dass die Summe auch eine politische Komponente hat.
Immerhin hat Vattenfall [2][auf Basis des Energiecharta-Vertrags auch vor
einem internationalen Schiedsgericht geklagt]. Als Entschädigung für den
Atomausstieg verlangte Vattenfall 2013 dort von Deutschland 4,7 Milliarden
Euro – plus Zinsen. Zuletzt ging es um eine Summe von insgesamt bis zu 7
Milliarden Euro. Diese Klage zieht Vattenfall im Zuge der Einigung nun
zurück.
Könnte also die Klage bei diesem Schiedsgericht dazu geführt haben, dass
Vattenfall nun mehr Entschädigung bekommt, als wenn es diese Klage nicht
erhoben hätte?
Beweisen lässt sich das nicht, aber es spricht viel dafür. Die Drohkulisse
eines internationalen Schiedsspruchs stand jedenfalls all die Jahre im
Raum. Für dieses Frühjahr war die bereits mehrfach verzögerte Entscheidung
erwartet worden. Dem sollte die Einigung zwischen Bundesregierung und
Energieunternehmen nun offensichtlich zuvorkommen.
Wie kann es sein, dass es bei einem Schiedsgericht um höhere Summen geht
als beim Bundesverfassungsgericht?
Das Grundgesetz sieht bei einer Enteignung im öffentlichen Interesse eine
„angemessene“ Entschädigung vor. Völkerrechtliche Investorenschutz-Vertr�…
wie die hier relevante Energiecharta verlangen dagegen die volle
Kompensation. Außerdem kann der Gesetzgeber laut Grundgesetz den Inhalt
des Eigentums bestimmen, etwa durch Umweltgesetze. Solche Regelungen sind
grundsätzlich entschädigungslos. Sie bedürfen nur ausnahmsweise einer
Ausgleichszahlung, um dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gerecht zu
werden. Im Investorenschutz ist das Verhältnis umgekehrt. Wenn der Staat
den Investoren Vorschriften macht, die ihre Gewinne schmälern, dann gilt
das in der Regel als indirekte Enteignung. Dabei werden
Gemeinwohlinteressen nicht immer ausreichend berücksichtigt.
Wäre es nicht interessant gewesen, wie das Schiedsgericht über die
Vattenfall-Klage entscheidet?
Doch. Die ganze Fachwelt hat auf diesen Schiedsspruch gewartet. Je nach
Ausgang hätte er auch ganz unterschiedliche Folgen haben können. Wenn das
Schiedsgericht Vattenfall tatsächlich 7 Milliarden Euro zugesprochen hätte,
wären die Proteste gegen solche Investorenschutzverträge enorm befeuert
worden. Vielleicht wollte die Bundesregierung, die ja Investorenschutz gut
findet, gerade das verhindern.
Vielleicht hätte das Schiedsgericht den Vattenfall-Anspruch ja auch
abgelehnt?
Auch dafür sprach manches. Immerhin hat das Bundesverfassungsgericht ja
bereits zugunsten von Vattenfall entschieden. Das Schiedsgericht hätte also
mit einem vernünftigen Schiedsspruch indirekt auch ein Signal für Mäßigung
beim Investorenschutz aussenden können. Auch das ist nun nicht möglich.
Wie sieht es mit dem Investorenschutz aus, wenn Staaten in den nächsten
Jahren endlich eine entschlossene Klimapolitik umsetzen müssen?
Das ist ein ganz großes Problem. Auch hier steht die Drohkulisse von
Investorenklagen im Raum, die sich auf den Energiecharta-Vertrag berufen
könnten. Europaweit werden deshalb im Moment Unterschriften für [3][eine
Petition] gesammelt, die die Regierungen aufruft, den Energiecharta-Vertrag
sofort zu kündigen. Inzwischen haben schon mehr als eine Million Menschen
unterzeichnet.
10 Mar 2021
## LINKS
[1] /!5359995/
[2] /Vattenfall-vs-Deutschland/!5487743
[3] https://corporateeurope.org/en/take-action-end-climate-killing-energy-chart…
## AUTOREN
Christian Rath
## TAGS
Atomausstieg
Vattenfall
Entschädigung
Atomausstieg
Schwerpunkt Atomkraft
Schwerpunkt Atomkraft
Atomausstieg
## ARTIKEL ZUM THEMA
Umweltstaatssekretär über Ausstieg: „Das Atomthema ist durch“
Die Milliarden-Entschädigung für die AKW-Betreiber ist unvermeidlich, meint
Jochen Flasbarth. Den Energiecharta-Vertrag will er stark verändern.
Entschädigung für den Atomausstieg: Kritik an die falsche Adresse
Die Laufzeitverlängerung spielt bei der Entschädigung fast keine Rolle.
Faktisch war der schwarz-gelbe Atomausstieg verbindlicher als der
rot-grüne.
Entschädigung für AKW-Abschaltung: 2,4 Milliarden für Atom-Aus
Regierung und Konzerne einigen sich auf Entschädigung für den Atomausstieg.
Eine „Irrsinnssumme“ für die Unternehmen, kritisieren die Grünen.
Gerichtsurteil zum Atomausstieg: Vattenfall darf Geld fordern
Das Bundesverfassungsgericht verlangt eine faire Entschädigung für den
Atomkonzern – auch weil der Bundestag zuvor gepatzt hat.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.