# taz.de -- Gerichtsurteil zum Atomausstieg: Vattenfall darf Geld fordern | |
> Das Bundesverfassungsgericht verlangt eine faire Entschädigung für den | |
> Atomkonzern – auch weil der Bundestag zuvor gepatzt hat. | |
Bild: Hier ist noch Geld für Vattenfall drinnen: Atomkraftwerk Krümmel | |
Karlsruhe taz | Das Bundesverfassungsgericht hat sich bei geforderten | |
Entschädigungszahlungen nach dem Atomausstieg hinter den Stromkonzern | |
Vattenfall gestellt. Der Bundestag müsse entsprechende Regelungen | |
nachbessern, urteilten die Richter am Donnerstag in Karlsruhe. Das | |
bestehende Gesetz sei für Vattenfall „unzumutbar“ und wegen handwerklicher | |
Mängel nicht einmal in Kraft getreten. | |
[1][Nach dem Reaktorunfall im japanischen Fukushima 2011] machte die | |
damalige schwarz-gelbe Koalition eine Kehrtwende in ihrer Atompolitik. Die | |
eben noch beschlossene Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke wurde | |
zurückgenommen und stattdessen feste Stilllegungsdaten für die Meiler | |
bestimmt. | |
Dagegen hatten mehrere Atomkonzerne geklagt und argumentiert, dass die | |
deutschen Kernkraftwerke auch nach Fukushima sicher seien. Das | |
Bundesverfassungsgericht lehnte ihre Klagen 2016 im Wesentlichen ab. Der | |
Atomausstieg sei eine zulässige politische Entscheidung über eine | |
„Hochrisikotechnologie“ mit „extremen Schadensfallrisiken“ und „bisher | |
noch nicht geklärten Endlagerproblemen“. | |
Nur in Randbereichen hatten die Konzerne damals Erfolg. Unter anderem | |
stellten die Richter fest, dass Vattenfalls Eigentumsrechte am | |
Atomkraftwerk (AKW) Krümmel verletzt wurden, weil es wegen mehrerer Pannen | |
2011 sofort stillgelegt wurde und dessen Reststrommenge im | |
Vattenfall-Konzern nicht mehr nutzbar war. | |
Die Richter zeigten damals dem Bundestag drei Möglichkeiten auf, die | |
Grundrechtsverletzung von Vattenfall zu kompensieren: Erstens eine | |
Laufzeitverlängerung für die AKW, zweitens Schadenersatzzahlung in Geld, | |
und drittens könne der Gesetzgeber die Konzerne Eon und EnBW verpflichten, | |
die nicht verwertbaren Reststrommengen von Vattenfall zu fairen Preisen | |
aufzukaufen. | |
Das alte Gesetz ist offiziell gar nicht in Kraft getreten | |
[2][Der Bundestag hat in einem Gesetz von 2018] die zweite und dritte | |
Option verknüpft: Vattenfall bekommt Schadensersatz in Geld, wenn es nicht | |
gelingt, bis Ende 2022 die Reststrommengen an Eon oder EnBW zu verkaufen. | |
Summen nannte das entsprechende Gesetz nicht, vermutlich geht es jedoch um | |
einen zwei- oder dreistelligen Millionenbetrag. | |
Gegen diese Regelung hat Vattenfall nun erfolgreich Verfassungsbeschwerde | |
erhoben. Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts stellte fest, dass | |
die Ausgleichsregelung für Vattenfall so ungünstig ist, dass die | |
Grundrechtsverletzung fortbestehe. | |
Zentraler Kritikpunkt der Richter: Vattenfall sei beim Verkauf der | |
Reststrommengen letztlich in der Hand von Eon, weil nur Eon noch relevante | |
Verwendungsmöglichkeiten für solche AKW-Strommengen hat. Es bestehe also | |
die Gefahr, dass Vattenfall zu einem sehr ungünstigen Preis an Eon | |
verkaufen muss, denn wenn sich Vattenfall nicht um einen Verkauf „bemühe“, | |
verliere es laut Gesetz jeden Ausgleichsanspruch. Dies sei „unzumutbar“, so | |
die Richter. | |
Außerdem, so das Verfassungsgericht, sei die Gesetzesänderung von 2018 | |
überhaupt nicht in Kraft getreten. Laut Gesetz war als Voraussetzung eine | |
verbindliche Erklärung der EU-Kommission vorgesehen, dass die Regelung | |
nicht gegen EU-Beihilferecht verstößt. Tatsächlich lag aber nur eine | |
unverbindliche Erklärung der EU-Kommission vor. | |
Der Bundestag muss die Entschädigung für Vattenfall nun „alsbald“ neu | |
regeln. Eine Frist nannten die Richter nicht. Umweltminister Svenja Schulze | |
(SPD) kündigte an, sie werde „zügig“ einen Gesetzentwurf auf den Weg | |
bringen. [3][(Az.: 1 BvR 1550/19)] | |
12 Nov 2020 | |
## LINKS | |
[1] http://!5285953 | |
[2] http://!5510438 | |
[3] https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2020/0… | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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