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# taz.de -- Protest gegen AKW-Laufzeit: Alter Meiler, rostige Rohre
> Umweltschützer fordern, dass das AKW Emsland abgeschaltet wird. Bei
> Revisionen wurden Rohrschäden entdeckt. Eine erneute Prüfung bleibt
> dennoch aus.
Bild: Gehört zu den letzten Atomkraftwerken, die in Deutschland abgeschaltet w…
Göttingen taz | Eigentlich soll das Atomkraftwerk Emsland bei Lingen erst
Ende 2022 abgeschaltet werden – als eines der drei letzten deutschen AKW.
Doch Umweltschützer drängen auf eine sofortige Stilllegung des Meilers, der
mit einer Brutto-Leistung von rund 1.400 Megawatt einer der größten in der
Bundesrepublik ist. Das AKW weise gefährliche Risse an den
Dampferzeugerrohren auf, die auf Korrosionsprozesse zurückzuführen seien,
begründet der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) den
Vorstoß.
Die Dampferzeugerheizrohre bilden die Schnittstelle zwischen dem
radioaktiven Primär- und dem Sekundärkreislauf eines Atomkraftwerks. In
ihnen herrschen sehr hohe Temperaturen und Druckunterschiede. Die Rohre
bestehen aus einer Metall-Legierung, die besonders beständig gegen
Korrosion ist.
Alterungs- und chemische Prozesse in dem mehr als 30 Jahre alten AKW haben
jedoch nach Angaben von Fachleuten in den vergangenen Jahren dazu geführt,
dass die Rohre trotzdem rosten. Ähnliche, teils sogar noch schwerer
wiegende Befunde, gibt es auch im AKW Neckarwestheim in Baden-Württemberg.
Im AKW Emsland waren während der Revisionen 2019 und 2020 mehrere Rohre
entdeckt worden, an denen Lochfraß und Spannungsrisskorrosion die Rohrwände
geschwächt haben. Bei der diesjährigen Revision habe der Betreiber, die RWE
Power AG, auf eine neuerliche Prüfung der Heizrohre verzichtet, bemängelt
der niedersächsische BUND-Landesvorsitzende Heiner Baumgarten. Das Werk war
laut RWE Ende April sechs Wochen lang für den letztmaligen Wechsel von 52
Brennelementen und Wartungsarbeiten heruntergefahren worden.
## Der BUND sieht Niedersachsen in der Pflicht
Das Niedersächsische Umweltministerium hat bestätigt, dass während der
Revision 2021 keine Dampferzeugerheizrohre geprüft wurden. Der
Bundestagsabgeordnete der Linken, Hubertus Zdebel, bezeichnete die
Antworten der Bundesregierung auf eine entsprechende Nachfrage zu nicht
erfolgten Prüfungen als „besorgniserregend“. RWE selbst ließ eine Anfrage
der taz zu den Vorgängen unbeantwortet.
Der BUND sieht neben dem Energiekonzern nun auch das Land Niedersachsen in
der Pflicht. Das Umweltministerium als zuständige Aufsichtsbehörde müsse
das Atomkraftwerk sofort vom Netz nehmen und alle Dampferzeugerheizrohre
umgehend auf Schäden überprüfen, verlangt Baumgarten. Er verweist darauf,
dass in Neckarwestheim die Behörden nach dem Auftreten von Rissen eine
jährliche Überprüfung aller Rohre angewiesen haben. Diese
Sicherheitsvorgaben müssten auch für Lingen gelten.
„Wenn sich im laufenden Betrieb ein Riss ausweitet und ein Rohr platzt und
abreißt, kann dies gravierende Folgen haben“, sagt Bernd Redecker vom BUND.
Im schlimmsten Fall könnten große Mengen an Radioaktivität freigesetzt
werden. Sogar eine Kernschmelze sei dann möglich: „Dieses Risiko
einzugehen, um Kosten für Wartungen einzusparen oder einen Betriebsausfall
zu verhindern, ist völlig inakzeptabel.“
Das AKW Emsland stellt indes nur einen Teil dessen dar, was örtliche
Bürgerinitiative als „Atomstadt Lingen“ bezeichnen und kritisieren. Das
Atomkraftwerk wurde als Ersatz für das 1977 stillgelegte AKW Lingen geplant
und Anfang der 1980er-Jahre gebaut. Der Reaktor wurde im April 1988 zum
ersten Mal kritisch und nahm am 20. Juni 1988 den kommerziellen Betrieb
auf. Für das alte AKW Lingen läuft zurzeit das Genehmigungsverfahren für
den Abriss.
Seit dem Dezember 2002 ist auf dem Gelände des AKW Emsland ein
Standortzwischenlager für hochradioaktiven Müll in Betrieb. Hier werden
abgebrannte Brennelemente in Castor-Behältern gebunkert. Das Zwischenlager
hat eine Kapazität für 130 Behälter. Wann die Castoren [1][in ein späteres
Endlager abtransportiert] werden, steht in den Sternen.
## Brennelemente von Lingen in die Welt
Eine unbefristete Betriebsgenehmigung – und damit ist sie ebenso vom
Atomausstieg ausgenommen wie die Urananreicherungsanlage im westfälischen
Gronau – [2][hat die Lingener Brennelementefabrik]. Sie verarbeitet
angereichertes Uran und beliefert AKWs im In- und Ausland mit frischem
„Brennstoff“. Auch skandalträchtige Pannen-Meiler in Belgien und
Frankreich, deren Stilllegung selbst die Bundesregierung fordert,
[3][erhielten oder erhalten Lieferungen] aus Lingen.
Ende des letzten Jahres hatte der hessische Verwaltungsgerichtshof
geurteilt, dass Brennelemente aus Lingen weiterhin auch in das wegen
zahlreicher Störfälle besonders umstrittene belgische AKW Doel gebracht
werden können. Die laufende Klage einer Privatperson aus Aachen habe keine
aufschiebende Wirkung auf eilige Atomgeschäfte.
Betreiber der Brennelementfabrik ist die Firma Advanced Nuclear Fuels, die
dem französischen Atomkonzern Framatome gehört. Im Februar kündigte
Framatome an, zusammen mit dem russischen Atomkonzern Rosatom ein Joint
Venture zur Brennelementeproduktion in Lingen zu gründen. Konkret möchte
Framatome 25 Prozent der Anteile an Rosatom verkaufen. Im März stimmte das
Bundeskartellamt dem Vorhaben zu.
Weil es sich um ein sicherheitsrelevantes Unternehmen handelt, braucht es
noch eine Genehmigung durch das Bundeswirtschaftsministerium. Diese steht
noch aus, eine Entscheidung vor der Bundestagswahl ist unwahrscheinlich.
Rund 80 Initiativen und Verbände aus mehreren europäischen Ländern
verlangen in einer internationalen Resolution, das Brennelementewerk
dauerhaft zu schließen.
6 Sep 2021
## LINKS
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[3] /Deutsche-Atomexporte/!5757395
## AUTOREN
Reimar Paul
## TAGS
Schwerpunkt Atomkraft
Atomausstieg
Lingen
Urananreicherungsanlage
Brennelementefabrik
Atommüllentsorgung
Schwerpunkt Atomkraft
Anti-Atom-Bewegung
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