Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Hunger und Krieg in Jemen: Krise in der Krise in der Krise
> Geberstaaten haben 1,7 Milliarden US-Dollar zugesagt, um die Not im Jemen
> zu lindern. Was es aber eigentlich braucht, ist eine politische Lösung.
Bild: Eine Frau mit ihren Kindern vor den Toren Sanaas am 1. März 2021
Berlin taz | Die gute Nachricht: Tiefrot ist noch kein Gebiet auf der
UN-Karte zur [1][Hungerkrise im Jemen]. Die schlechte: Sehr viele
Landesteile, vor allem die dicht bevölkerten im Westen und an der
Rotmeerküste, sind rot. Hier herrscht „Notstand“: Millionen Menschen stehen
also kurz vor einer echten Hungersnot – ein klar definiertes Phänomen, das
es im arabischen Raum nirgends gibt und das die Vereinten Nationen weltweit
nur äußerst selten ausrufen.
Was der derzeitige Notstand im Jemen konkret bedeutet, berichtet Bernadette
Schober am Telefon. Immer mehr unterernährte Menschen, Kinder und
Schwangere inklusive, kämen in ihre Einrichtungen, erzählt die
Österreicherin. Schober lebt in der von den Huthi-Rebellen kontrollierten
Hauptstadt Sanaa, von wo aus sie die Aktivitäten von Ärzte ohne Grenzen im
Jemen koordiniert. „Sechs Jahre Konflikt“, sagt sie, „haben das Land in
eine tiefe Krise gestürzt.“
Welche der vielen vorhandenen Zahlen diese Krise am besten veranschaulicht,
ist schwer zu sagen. Vielleicht diese: Für 2021 erwarten die UN, dass
deutlich mehr als zwei Millionen Babys und Kleinkinder unter fünf Jahren
unter akuter Mangelernährung leiden werden. „Kindheit im Jemen“, sagte
UN-Generalsekretär António Guterres am Montag auf der diesjährigen
internationalen Geberkonferenz für das Land, „ist eine besondere Art der
Hölle“.
Hunger ist im Jemen aber nur eines von vielen Problemen, die am Ende alle
zusammenhängen und sich gegenseitig verstärken. Schober berichtet von einer
Mutter und ihrer Tochter: Die Zweijährige hatte Durchfall, doch der Weg ins
Krankenhaus war zu weit, die Kosten für den Nahverkehr zu hoch. Erst als
das Mädchen einen kritischen Zustand erreichte, machte sich die Mutter auf
einen stundenlangen Fußmarsch und erreichte eine Klinik der
Hilfsorganisation, wo das völlig dehydrierte Kind wieder genesen konnte.
## Cholera, Diphtherie, Masern
Es sind Herausforderungen wie zu hohe Transportkosten, zu wenig
medizinisches Personal auf dem Land, lange Wege in die Städte und
Sicherheitsprobleme an den Checkpoints, die den Jemenit*innen zu
schaffen machen. Besonders in den ländlichen Gebieten haben
Gesundheitseinrichtungen geschlossen oder sind im Krieg zwischen
Huthi-Rebellen auf der einen und jemenitischen Regierungstruppen und
saudischen Kampfjets auf der anderen Seite zerbombt worden.
Im Zusammenspiel mit der Hungerkrise ist das kollabierte Gesundheitssystem
die perfekte Voraussetzung dafür, dass Krankheiten, die in den meisten
Ländern der Welt keine Rolle mehr spielen, wieder ausbrechen: Cholera,
Diphtherie, Masern, zählt Schober auf. Die Coronapandemie –
Jemenit*innen fürchten aktuell eine weitere Welle – sei in dieser
Situation einfach noch eine „extreme Zusatzbelastung“, sagt Schober erst
auf Nachfrage.
Um das Allerschlimmste zu verhindern, hat die Staatengemeinschaft auf der
Geberkonferenz am Montag erneut eine Milliardensumme an Spenden zugesagt.
Insgesamt kamen 1,7 Milliarden US-Dollar zusammen. Auch wenn das viel Geld
ist, bleibt die Summe sowohl hinter den Forderungen der Uno in Höhe von
rund 3,85 Milliarden als auch hinter der vom letzten Jahr (1,9 Milliarden)
zurück. Das Ergebnis sei „enttäuschend“, teilte Guterres noch am Abend mi…
Deutschland hat in diesem Jahr 200 Millionen Euro an Hilfen zugesagt, die
Europäische Kommission 95 Millionen. Saudi-Arabien, eine der
Kriegsparteien, sagte 430 Millionen US-Dollar zu, die Vereinigten
Arabischen Emirate, Riads wichtigster Verbündeter, 230 Millionen Dollar.
## Machtposition der Huthis
Doch humanitäre Hilfe allein wird den Konflikt nicht beenden. „In den
Medien gilt der Jemen ja entweder als humanitäre Krise oder als
Stellvertreterkrieg“, sagt Mareike Transfeld vom Yemen Policy Center. „Ich
finde es wichtig zu unterstreichen, dass es sich nicht nur um eine
humanitäre, sondern auch um eine politische Krise handelt, die auch
diplomatisches Engagement erfordert.“
Denn momentan spitzt sich der Konflikt wieder zu. Versuche des
UN-Sonderbeauftragten Martin Griffiths, einen landesweiten Waffenstillstand
zu erreichen, waren bislang nicht erfolgreich. Transfeld zufolge hatte
zudem die Ankündigung der neuen US-Regierung, die Saudis im Krieg gegen die
Huthis nicht mehr zu unterstützen, nicht nur positive Folgen. So habe Joe
Bidens Ansage, „relevante“ Waffenverkäufe an Riad zu beenden, die Huthis
ermutigt, ihre [2][Offensive auf Marib] fortzusetzen. Die Region östlich
von Sanaa steht aktuell im Mittelpunkt der Kampfhandlungen.
„Die Huthis sind mittlerweile so stark, dass der bisherige UN-Ansatz nicht
ausreicht“, sagt Transfeld. „Es gibt absolut keine Anreize für die Huthis,
in Verhandlungen zu gehen, besonders nicht, wenn die Möglichkeit besteht,
Marib einzunehmen.“ Von mehreren Fronten rücken Huthi-Kämpfer derzeit auf
die Region und die gleichnamige Stadt vor. Eine Katastrophe sei
vorprogrammiert: „Marib ist nicht nur eine Hochburg der Regierung, sondern
auch Zuhause von circa einer Million Binnenflüchtlingen.“
Hoffnung macht indes, dass die USA dem Jemenkonflikt wieder mehr
Aufmerksamkeit zukommen lassen. „Dieser Krieg muss enden“, sagte Joe Biden
in seiner [3][außenpolitischen Grundsatzrede] im Februar. Auch dass die USA
im Atomstreit mit Iran nach neuen Wegen suchen, könnte Folgen haben für den
Jemen. Durch Druck auf die Huthis könnte Teheran Kooperationswillen
demonstrieren und den USA entgegenkommen. „Die Huthis“, sagt Transfeld,
„sind in einer absoluten Machtposition.“ Der einzige Weg, auf sie Einfluss
zu nehmen, gehe über Teheran.
Unter Donald Trump hatte die US-Regierung den Kampf gegen die Huthis als
Teil ihrer Anti-Iran-Politik verbucht, die Saudis mit Rüstung eingedeckt
und die Huthis als Terrororganisation eingestuft, was von
Beobachter*innen als Hindernis für Friedensverhandlungen kritisiert
wurde. Dass Biden nun bereits in seinen ersten Amtswochen mit Timothy
Lenderking einen Jemen-Sondergesandten benannt hat, zeigt, dass sich die
USA im Jemen offenbar wieder konstruktiv engagieren wollen.
Um wirklich etwas zu bewegen und sowohl die politische als auch die
humanitäre Krise zu beenden, brauche es einen Ansatz, der den regionalen
und lokalen Konflikt mitdenkt, sagt Transfeld. Dabei müssten Regionalmächte
wie Saudi-Arabien, die Emirate und Iran einbezogen und dazu gebracht
werden, ihre Interessen am Verhandlungstisch vorzubringen.
2 Mar 2021
## LINKS
[1] /Humanitaere-Lage-in-Jemen/!5754166
[2] /Humanitaere-Lage-in-Jemen/!5754166
[3] /US-Praesident-Joe-Biden-zur-Aussenpolitik/!5749270
## AUTOREN
Jannis Hagmann
## TAGS
Jemen Bürgerkrieg
Jemen
Huthi-Rebellen
Hunger
Humanitäre Hilfe
Vereinte Nationen
Vereinte Nationen
Jemen Bürgerkrieg
Jemen Bürgerkrieg
Jemen Bürgerkrieg
Jemen
Jemen Bürgerkrieg
Jemen Bürgerkrieg
Jemen
Zehn Jahre Arabischer Frühling
## ARTIKEL ZUM THEMA
Mehr Geld benötigt für UN-Hilfen: Zu wenige Spenden für den Jemen
Die UN warnt: Ihre Mitgliedsstaaten sind zu knausrig, wichtige
Hilfsprojekte sind unterfinanziert. Vor allem die Ernährungslage ist
kritisch.
Krieg im Jemen: Vom Zufluchtsort zur Riesenstadt
Im Jemen sind Millionen Menschen innerhalb des Landes auf der Flucht. Vor
allem die Stadt Marib ist derzeit umkämpft.
Krieg im Jemen: Die stillen Kriege der Jemenitinnen
Für ein besseres Leben flohen Fatima, Dalilia, Yusra und ihre Familien nach
Jordanien. Doch auch hier geht der Kampf weiter.
Krieg im Jemen: Hoffnung auf einen Deal
250.000 Jemenit*innen sind durch den Krieg oder dessen Folgen gestorben.
Der Konflikt spitzt sich zu, doch es gibt Aussichten auf eine Lösung.
Brand in Flüchtlingslager in Jemen: Mehr als 80 Tote
Huthi-Rebellen haben offenbar Informationen zum Feuer in Flüchtlingslager
in Jemen vor einigen Tagen zurückgehalten. Viele schweben in Lebensgefahr.
Krieg im Jemen: Unappetitlich und widerlich
Der Krieg im Jemen muss endlich aufhören. Und er kann es. Was es braucht,
ist Druck auf die Hauptverantwortlichen in Riad und Teheran.
Humanitäre Lage in Jemen: Die Not wird immer größer
Fast vier Milliarden US-Dollar an humanitärer Hilfe braucht der Jemen laut
UNO allein im Jahr 2021. Nun beginnt eine internationale Geberkonferenz.
Huthi-Miliz im Jemen: Pompeos Jemenvorstoß in der Kritik
Entgegen scharfen Warnungen wollen die USA die Huthis als
Terrororganisation einstufen. Hilfsorganisationen sehen „diplomatischen
Vandalismus“.
Arabische Revolution der Frauen im Jemen: Kampf an zwei Fronten
Aktivistinnen stoßen im Jemen auch in ihren eigenen Familien auf
Widerstand. Doch ihr Wille weiterzumachen, ist ungebrochen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.