| # taz.de -- Krieg im Jemen: Die stillen Kriege der Jemenitinnen | |
| > Für ein besseres Leben flohen Fatima, Dalilia, Yusra und ihre Familien | |
| > nach Jordanien. Doch auch hier geht der Kampf weiter. | |
| Bild: Warten auf bessere Zeiten: Dalila mit ihrem Neffen in einer Flüchtlingsu… | |
| Amman taz | Die Sonne steht hoch zwischen den Wolken, als Fatima* in den | |
| Garten hinausgeht. Eigentlich will sie nur einige kleine Arbeiten | |
| verrichten. In ihrer Brust wächst gerade ein Krebstumor, der jede | |
| Anstrengung noch schwieriger macht. Fatima, in ihrem langen Kleid, hat sich | |
| gerade über die Pflanzen gebeugt, als der Donner sich nähernder Flugzeuge | |
| sie aufhorchen lässt. | |
| Als der erste Kampfjet über ihr Haus in Sanaa hinwegfliegt, steht die Welt | |
| für den Bruchteil einer Sekunde still. Fatima rennt nicht weg, als die | |
| erste Bombe einschlägt. Stattdessen läuft sie in dieselbe Richtung, die die | |
| Rakete angesteuert hat. Zurück zu dem Haus, in dem jetzt ein Feuer | |
| auflodert. Sie versucht, sich einen Weg zwischen den Flammen und dem Rauch | |
| zu erkämpfen – zu dem Zimmer, in dem sie ihre dreijährige Tochter | |
| alleingelassen hatte. „Ich versuchte, zurück ins Haus zu gelangen, um sie | |
| zu retten, aber die Flammen waren zu hoch. Ich habe es nicht geschafft. Sie | |
| starb dort“, erzählt Fatima heute, fast vier Jahre später. Die junge Frau | |
| hebt den Ärmel ihrer schwarzen Abaya und zeigt die Brandnarben an ihrem | |
| Unterarm. „Ich habe noch mehr davon auf dem ganzen Körper“, sagt sie. | |
| Heute lebt Fatima in relativer Sicherheit im jordanischen Amman. Der Krieg | |
| im Jemen tobt schon seit 2015 mit internationaler Beteiligung. „Der | |
| vergessene Krieg“, nennen ihn westliche Medien. Ein stiller Krieg, dem | |
| keine knallenden Schlagzeilen gewidmet werden. | |
| Die Narben auf Fatimas Körper aber sind ein sichtbares Zeichen für die | |
| Opfer, die dieser Konflikt die jemenitischen Bevölkerung gekostet hat. Im | |
| Jahr 2017, als Fatimas Haus nach ihren Angaben bombardiert wurde, erlebte | |
| der Jemen eine drastische Zunahme an Luftangriffen. Bilder aus dieser Zeit | |
| zeigen zerstörte Häuser, in den Himmel ragende Trümmer sowie verstreut | |
| umherliegende Kleidung und Möbelteile. Nach Angaben des Netzwerks Global | |
| Protection Cluster im Jemen gab es damals allein in den ersten sechs | |
| Monaten circa 5.600 Luftangriffe, die für etwa 42 Prozent der getöteten | |
| Zivilisten verantwortlich gewesen seien. | |
| ## Blockaden behindern die Arbeit der Hilfsorganisationen | |
| Jedoch bedarf es nicht unbedingt der Bomben oder Granaten, um Menschen zu | |
| töten. Deutlich geräuschloser ist der Tod durch Unterernährung und | |
| vermeidbare Krankheiten. UN-Agenturen zufolge könnten im Jemen dieses Jahr | |
| [1][mindestens 400.000 Kinder unter fünf Jahren verhungern], Unicef | |
| beschreibt die Lage als „größte humanitäre Katastrophe weltweit“. Das | |
| Gesundheitswesen und die wichtigsten Infrastrukturen sind nach Jahren des | |
| Konflikts stark beschädigt, Blockaden und Korruption behindern die Arbeit | |
| der Hilfsorganisationen. Etwa 80 Prozent der Bevölkerung im Jemen sind | |
| derzeit auf fremde Hilfe angewiesen. | |
| Fatima spricht ruhig und wenig emotional, wenn sie von der Zeit nach dem | |
| Tod ihres Kindes spricht. „Danach sind wir umgezogen, weil unser Haus nach | |
| dem Angriff nicht mehr bewohnbar war. Die finanzielle Lage war schlecht: | |
| Mein Ehemann war ein Tagelöhner, ich arbeitete nicht. Einige Monate später | |
| haben die Huthis ihn verhaftet. Sie wollten ihn rekrutieren, aber er hat es | |
| abgelehnt. Und so war die einzige Person in der Familie, die gearbeitet | |
| hat, im Gefängnis. Ich war krank und meine Tochter war tot.“ | |
| In Jemen kämpfen Huthi-Rebellen gegen eine Koalition arabischer Staaten | |
| unter Führung Saudi-Arabiens. UN-Experten gehen davon aus, dass beide | |
| Seiten Kriegsverbrechen begangen haben könnten. Und diese mutmaßlichen | |
| Verbrechen werden auch durch Waffen aus Europa befeuert. | |
| Der Jemen liegt an der südlichen Spitze der Arabischen Halbinsel. | |
| Jemenitische Geflüchtete erreichen Europa seltener als die Opfer anderer | |
| Konflikte, denn ihre Fluchtrouten verlaufen entweder über die Wüste quer | |
| durch Saudi-Arabien oder übers Meer nach Dschibuti. Beide Wege sind extrem | |
| gefährlich, und wer es wagt, bleibt oft Tausende Kilometer vor Europas | |
| Toren hängen. | |
| Knapp 5.000 jemenitische Geflüchtete lebten 2019 in Dschibuti, einem Land | |
| mit weniger als einer Million Einwohner. In Deutschland wohnten nach | |
| Auskunft des Statistischen Bundesamts Ende 2019 etwa 3.000 Schutzsuchende | |
| aus dem Jemen, 2020 sind laut Bundesamt für Migration 480 weitere | |
| Asylanträge gestellt worden. Gleichzeitig wurden laut UNHCR mehr als 3,6 | |
| Millionen Jemeniten seit Beginn des Konflikts bis März 2020 aus ihren | |
| Häusern vertrieben, mittlerweile ist ihre Zahl auf 4 Millionen gestiegen. | |
| ## Viele Jemeniten müssen schwarz arbeiten | |
| Aber auch für die, die es in ein anderes Land geschafft haben, sind die | |
| Probleme nicht zu Ende. Fatima ist mit einem medizinischen Visum nach | |
| Jordanien gekommen. „Eine Person hat mir damals geholfen, meinen Mann aus | |
| dem Gefängnis zu holen und nach Jordanien zu fliehen“, erzählt sie. Noch | |
| sei ihre Krebserkrankung nicht ganz weg, sagt sie und holt einen Blister | |
| mit Tabletten aus der Tasche; Novaldex, ein Medikament, das bei der | |
| Krebsbehandlung eingesetzt wird. „Aber Chemo und OP habe ich schon hinter | |
| mir.“ | |
| Doch es ist nicht nur die Krankheit, die sie plagt: „Momentan arbeitet | |
| niemand in unserem Haus. In den vergangenen Monaten konnten wir die Miete | |
| nicht bezahlen. Einige Bekannte helfen uns. Aber mein Mann hat langsam | |
| genug von dieser Situation. Er wollte eine Arbeitserlaubnis beantragen, | |
| doch die Behörde stellte ihn vor die Wahl: entweder die Arbeitserlaubnis | |
| oder den Geflüchtetenstatus. Also hat er aufs Arbeiten verzichtet.“ Der | |
| Geflüchtetenstatus schützt in der Regel vor Abschiebung und erleichtert den | |
| Zugang zu humanitärer Hilfe. | |
| Fatima ist eine von vielen jemenitischen Geflüchteten, die diese Erfahrung | |
| sammelten. Weder das jordanische Arbeits- noch das Innenministerium haben | |
| die Anfrage nach einer Stellungnahme dazu bislang beantwortet. Lilly | |
| Carlisle, UNHCR-Sprecherin in Jordanien, bestätigt, dass jemenitische | |
| Geflüchtete in Jordanien so wie auch nichtsyrische (und | |
| nichtpalästinensische) Geflüchtete keine Arbeitserlaubnis erhalten würden. | |
| Viele Menschen müssen ihr Geld deshalb in der sogenannten | |
| Schattenwirtschaft verdienen – ohne sozialrechtlichen Schutz oder | |
| finanzielle Sicherheit. | |
| Jordanien hat etwa 10 Millionen Einwohner und eine Arbeitslosenquote von | |
| knapp 24 Prozent. Jemeniten bilden laut UNHCR mit etwa 14.500 Menschen die | |
| drittstärkste anerkannte [2][Flüchtlingsgruppe in Jordanien] – | |
| Palästinenser ausgenommen. Diese kommen zwar laut Hilfswerk der Vereinten | |
| Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten auf über 2 Millionen | |
| Menschen, allerdings besitzen die meisten inzwischen die jordanische | |
| Staatsbürgerschaft. | |
| ## Konflikte entwickeln sich hinter den Hauswänden | |
| Fatima sitzt in einem Raum des Zentrums vom Danish Refugee Council (DRC) in | |
| Ost-Amman. Der DRC in Jordanien kümmert sich hauptsächlich um geflüchtete | |
| Syrer und bedürftige Jordanier, hat aber den Raum für das Interview zur | |
| Verfügung gestellt. Draußen am Straßenrand liegen Mülltüten und leere | |
| Plastikflaschen, ein fauler Geruch steigt aus den Rinnsalen verschmutzten | |
| Wassers auf. Drinnen aber strahlen die Wände in hellen Farben, Kinder | |
| schwätzen, während sie zum Fiebermessen Schlange stehen, und | |
| Hula-Hoop-Reifen liegen wie vergessen auf dem Boden. Während Fatima ihre | |
| Geschichte über Tod und Verzweiflung erzählt, erklingen im Hintergrund | |
| unbeschwerte Kinderstimmen. | |
| Fatima trägt eine schwarze Robe, ihr Gesicht ist durch den schwarzen Nikab | |
| bedeckt, der lediglich ihre braunen Augen zeigt. Die junge Frau wollte das | |
| Interview nicht zu Hause führen und hat jegliche Aufzeichnung des Gesprächs | |
| abgelehnt. „Unsere Kultur ist sehr konservativ“, sagt sie. | |
| Nicht selten kämpfen Frauen im Jemen an mehreren Fronten und in mehreren | |
| Kriegen. Einige dieser Konflikte entwickeln sich geräuschlos, hinter den | |
| Hauswänden. So erzählt Fatima, dass ihre 17-jährige Schwester, die | |
| ebenfalls in Amman lebt, kürzlich von ihren Eltern mit einem 55-jährigen, | |
| schon mehrfach verheirateten Mann verlobt wurde. „Sie will das nicht, aber | |
| sie hat keine Wahl“, sagt sie. | |
| „Mir tut es leid, dass wir ihr keine Ausbildung ermöglichen konnten. Sie | |
| ist nur vier Jahre lang im Jemen zur Schule gegangen. Und gerade muss sie | |
| sich um mich kümmern. Jemand wollte uns helfen und sie bei einer privaten | |
| Schule anmelden, aber unsere Familie in Jemen hat das nicht akzeptiert“, | |
| sagt Fatima. Der Einfluss der Familie – er reicht bis in die neue Heimat. | |
| Ob sie je daran gedacht hat, sich an einen Frauenverein hier in Jordanien | |
| zu wenden? „Ich kann mich nicht mit meiner Familie streiten oder an eine | |
| NGO wenden“, antwortet sie. Es ist für uns eine Schande, sich über die | |
| eigenen Eltern oder die Familie zu beschweren.“ | |
| ## Geflüchtete Familien befinden sich in finanzieller Not | |
| Fatima ist nicht die Einzige, die den Bomben in Jemen entkam, aber nun | |
| einen anderen, stillen Krieg kämpft. In einem Haus aus weißem Kalkstein in | |
| einem alten Viertel Ammans sitzt Yusra* auf einem roten Sofa mit schwarzem | |
| Blumenmuster und stillt ihre zehn Monate alte Tochter. Draußen auf dem | |
| Gehweg sitzen zwei Teenager mit hochgezogenen Kapuzen, Pop-Musik schallt | |
| aus einem geparkten Auto, an den Hauswänden, zwischen dem abgebröckelten | |
| Putz, steht ein Graffito. | |
| Im Haus unterhalten sich fünf Frauen, während ihre Kinder miteinander | |
| spielen. Yusras Baby trägt sternförmige, glitzernde Haarspangen in den | |
| dunklen Haaren, lächelt seine Mutter an und kichert. Yusra, 21 Jahre alt, | |
| zierliche Figur und sanfter Blick, hat eigentlich einen anderen Namen, doch | |
| sie möchte nicht, dass dieser bekannt wird. Sie sitzt unter dem Neonlicht | |
| vor einer kahlen Wand und erzählt, dass sie 2018 nach Jordanien gekommen | |
| ist. Allerdings nicht als Geflüchtete, sondern als Braut eines Mannes, dem | |
| sie zuvor nie begegnet war. | |
| „Mein älterer Bruder wollte, dass ich einen viel älteren Mann heirate, aber | |
| mein jüngerer Bruder zwang mich, einen jüngeren Jemeniten zu heiraten, der | |
| damals in Jordanien lebte. Dann kam ich nach Jordanien und musste etwa ein | |
| Jahr lang nach ihm suchen, bevor ich ihn finden konnte. Und nach einem | |
| Monat zusammen hat er mich und das Land verlassen. Ich war schwanger.“ | |
| Yusra konnte sich einige Monate später als Asylsuchende anerkennen lassen. | |
| Momentan arbeitet sie nicht, die Schule hat sie lediglich neun Jahre lang | |
| besucht. Anders als Fatima bekommt sie jedoch Bargeldhilfe vom UNHCR – 110 | |
| Dinar im Monat, fast 130 Euro, für sie und ihr Baby. Zu den Gründen, | |
| weshalb einige Geflüchtete finanzielle Hilfen bekommen und andere nicht, | |
| sagt UNHCR-Sprecherin Lilly Carlisle, dass das UN-Flüchtlingswerk nach dem | |
| Bedürftigkeitsniveau der Menschen entscheide. Sie weiß, dass es noch mehr | |
| Familien im Land gibt, die sich in finanzieller Not befinden – gerade | |
| während der Coronaviruspandemie. Das Budget sei aber beschränkt. „Am Ende | |
| des Jahres waren wir nur zu 54 Prozent finanziert“, sagt Carlisle. | |
| Das Geld, das Yusra bekommt, sichert ihr Überleben und das ihres Kindes, | |
| reicht jedoch nicht aus, um die Miete für die Wohnung zu bezahlen. 200 | |
| Dinar für zwei Schlaf- und ein Wohnzimmer zusätzlich zu Bad und Küche, die | |
| sie sich mit anderen 12 Frauen und Kindern teilt. | |
| ## Wählen zwischen Arbeitserlaubnis oder Geflüchtetenstatus | |
| Eine von ihnen ist Dalila*, die vor fast sechs Jahren aus dem Jemen floh. | |
| Als sie in Jordanien ankam, dachte sie, das Schlimmste hinter sich gelassen | |
| zu haben. Die damals 25-Jährige aus Ibb hatte ihre Heimatstadt verlassen, | |
| um in Sanaa, der Hauptstadt des Jemen, zu arbeiten: zuerst als | |
| Sozialarbeiterin für die UNO, dann als Supervisorin in einer Bank. Ein | |
| guter Job, erinnert sie sich, in einer Bank mit mehr als einem Dutzend | |
| Filialen. Doch dann brach der Krieg aus und nahm ihren Vater. | |
| „Die Huthis kamen zum Haus meines Vaters und wollten die Frauen mitnehmen | |
| [als Rekrutinnen, Anm. d. Red.], aber mein Vater wollte es nicht. So | |
| entführten sie ihn. Zehn Tage lang war er weg. Am elften Tag kam ein Freund | |
| zu unserem Haus und sagte, dass er ermordet worden war. Am selben Tag bin | |
| ich aus dem Land geflohen.“ | |
| Dalila trägt bei unserem ersten Treffen ein rotes Samtkleid und die Haare | |
| zu einem Knoten gebunden, ihr Blick ist entschlossen. Im Jemen war sie es | |
| gewohnt, ihr eigenes Geld zu verdienen, selbstbestimmt zu sein. In dem | |
| neuen Land hat sie es ebenfalls versucht, wie sie erzählt, aber auch ihr | |
| soll gesagt worden sein, dass sie zwischen dem Geflüchtetenstatus und einer | |
| Arbeitserlaubnis wählen müsse. „Und selbst wenn du auf den Status | |
| verzichtest, ist es nicht sicher, dass du die Erlaubnis bekommst. | |
| Vielleicht ja, vielleicht auch nicht“, sollen die Beamten sie gewarnt | |
| haben. | |
| Dalila begann, auf Tagesbasis schwarz zu arbeiten: Putzen, Babysitting. | |
| Doch dann kam das Coronavirus. Und mit ihm, mit dem harten Lockdown und den | |
| Abstandsregeln, verschwanden auf einmal die Jobmöglichkeiten. „Alles ist | |
| mittlerweile zur Herausforderung geworden: das Gesetz, die Gebühren, die | |
| finanzielle Lage“, sagt sie. Jemenitische Geflüchtete müssen 1,5 Dinar pro | |
| Tag, etwa 1,75 Euro, bezahlen, wenn ihre Aufenthaltsgenehmigung abgelaufen | |
| ist, wie sie erzählt. „Syrer müssen das nicht“, fügt sie hinzu. | |
| ## Eine Privatsphäre gibt es hier nicht | |
| Syrische Geflüchtete haben in Jordanien teilweise einen anderen Zugang zu | |
| Dienstleistungen als die anderen Gruppen, das bestätigen | |
| Hilfsorganisationen. Was offenbar dazu beiträgt, dass sich Jemeniten wie | |
| Dalila manchmal schlechter behandelt fühlen. Francesco Bert, UNHCR-Sprecher | |
| in Jordanien, erzählt, dass einige schulische Einrichtungen zögerten, die | |
| UNHCR-Bescheinigung für nichtsyrische Geflüchtete als Dokument für die | |
| Anmeldung zu akzeptieren. Auch sei es einfacher, Vereine und Hilfsprogramme | |
| zu finden, die Syrer oder Palästinenser zu ihrer Zielgruppe zählen. | |
| Eine junge Frau tritt nun in den Raum. Sie hat ein Tablett in der Hand und | |
| stellt es auf den Tisch, darauf sind zwei Gläser Wasser und Orangenlimonade | |
| für die Gäste. Zwei Kinder rennen kreischend durch den Raum. „Vor der | |
| Pandemie war es noch okay, aber mittlerweile können wir mit der Situation | |
| kaum umgehen“, sagt Dalila. Ihre einzige Beschäftigung sei inzwischen, | |
| zweimal in der Woche an einem Englischkurs teilzunehmen, der von einer NGO | |
| angeboten wird. Online, wie die meisten Veranstaltungen in der Coronazeit. | |
| Alle zwei Wochen treffe sie sich mit ihrem Ehemann, ebenfalls aus dem | |
| Jemen, mit dem sie seit 2017 verheiratet ist. „Er wohnt in einem nördlichen | |
| Stadtteil Ammans zusammen mit anderen männlichen Mitbewohnern. Hier darf er | |
| nicht wohnen, in diesem Haus sind nur Frauen erlaubt“, sagt Dalila. Doch | |
| selbst wenn er dürfte, wäre dies kaum praktikabel, wie ein Blick in die | |
| Wohnung zeigt. In den zwei Schlafzimmern wird der knappe Platz fast | |
| komplett von zwei Doppelbetten eingenommen. In einem Raum liegen Teddybären | |
| und Plüschtiere auf dem Boden in einer Ecke. In der kleinen Küche haben | |
| sich im Spülbecken Geschirr und benutzte Teegläser der vielen | |
| Hausbewohnerinnen angesammelt. Privatsphäre für ein junges Paar, die gibt | |
| es hier nicht. | |
| Eine Situation, die schwer auf Dalila lastet. „Wir sind verheiratet, können | |
| aber nicht zusammenleben“, sagt sie. In ihrer Stimme schwingt Verbitterung | |
| mit. Beide seien arbeitslos. Ein neues Zuhause zu finden, komme also nicht | |
| infrage. Auch in der jordanischen Gesellschaft seien Dalila und ihre | |
| Mitbewohnerinnen kaum integriert, wie sie erzählt. „In der Straße, wo wir | |
| früher gewohnt haben, haben uns manche jungen Männer beleidigt, nachtsüber | |
| bei uns an der Tür geklopft. Meistens bleiben wir jetzt unter uns.“ | |
| ## Ob USA oder Kanada – die Frauen wollen weiterziehen | |
| Die Flucht nach Jordanien, sie ist für Fatima, Yusra oder Dalila wohl noch | |
| nicht abgeschlossen. Denn alle Jemenitinnen eint der Wunsch, | |
| weiterzufahren. Fatima sagt, sie wolle in die USA. Ein fernes Land, in dem | |
| der Einfluss des eigenen Familienclans nicht mehr so stark sein wird. „Ich | |
| möchte meine Schwester mitnehmen, sodass sie ihr Leben leben kann, reisen, | |
| arbeiten. Dort werden sie uns nicht erreichen können.“ | |
| Dalila sagt, sie möchte mit dem Resettlement-Programm der Vereinten | |
| Nationen umgesiedelt werden. Allerdings stehen die Chancen auf einen Platz | |
| im Coronajahr nicht sonderlich gut: 2020 sind laut UNHCR so wenig Menschen | |
| umgesiedelt worden wie noch nie in den vergangenen 17 Jahren. Knapp 23.000 | |
| weltweit. UNHCR-Sprecher Francesco Bert erläutert, dass nicht nur die | |
| Pandemie daran schuld ist: „Die USA sind das Hauptzielland, aber unter der | |
| Trump-Regierung hatte die Anzahl verfügbarer Plätze stark abgenommen.“ | |
| Dalila sagt, dass sie nach der Pandemie auf jeden Fall nach Kanada will. | |
| Ihre dunklen Augen glänzen. „Legal oder illegal“, fügt sie hinzu und lach… | |
| Yusra schließt sich an. „Ich möchte auch nach Kanada mit ihr“, sagt sie u… | |
| lächelt ihr Kind an. | |
| *Namen geändert | |
| 26 Mar 2021 | |
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