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# taz.de -- Mutter zu Schulkind mit Behinderung: „Zehn Minuten Unterricht am …
> Eltern von Kindern mit Behinderung brauchen Entlastung, fordert Gudelia
> Stenzel. In der Pandemie fühlten sich viele Familien vergessen.
Bild: Auf die Bedürfnisse von Kindern mit Behinderung wurde in der Pandemie la…
taz: Frau Stenzel, Sie kümmern sich gerade um den Schulunterricht Ihrer
siebenjährigen Tochter Lily. Können Sie uns Lily vorstellen?
Gudelia Stenzel: Lily ist ein sehr lebhaftes Mädchen. Sie ist
unternehmungslustig und liebt es, unter Menschen zu sein. Sie mag Musik und
tanzt, klettert und schaukelt gerne. Überhaupt will sie immer in Bewegung
sein.
Wie sieht Lilys Alltag in der Pandemie aus?
Lily geht in die zweite Klasse einer inklusiven Grundschule. Theoretisch
hätte sie dort zur Zeit auch einen Platz in der Notbetreuung. Aber wegen
ihres Downsyndroms hat sie ein schwaches Immunsystem. Deswegen haben wir
uns entschieden, sie erstmal nicht in die Schule zu geben. Es war uns zu
riskant, wir hatten Angst, dass sie sich ansteckt.
Was hält Lily davon, zu Hause zu bleiben?
Die Schule fehlt ihr sehr! Sie fragt nach ihrer Schulbegleiterin, nennt die
Namen der anderen Kinder, möchte, dass sie zu uns nach Hause kommen. Warum
das jetzt nicht geht und was Corona ist, versteht sie nicht. Sie ist in der
kognitiven Entwicklung geschätzt drei Jahre alt.
Klappt das Homeschooling?
Lily hat überhaupt keine Lust. Ich bin ja nicht die Lehrerin oder die
Schulbegleiterin, sondern ich bin die Mama. So sieht sie mich auch. Sie
weigert sich mitzumachen, schmeißt sich auf den Boden. Wir schaffen mit Müh
und Not 10 Minuten Unterricht am Tag. Ich weiß, dass das in der Schule ganz
anders funktioniert: Da ist sie motiviert und hat Spaß am Lernen. Sie
sieht, dass die anderen konzentriert arbeiten, und will das auch. Und sie
hat eine Eins-zu-Eins-Betreuung durch eine Schulbegleiterin. Gute zwei
Stunden kann sie die Konzentration dort halten. Aber hier ist es
unerträglich.
Werden Sie von der Schule unterstützt?
Einmal in der Woche kommt die Sonderpädagogin für eine Dreiviertel Stunde
nach Hause – aber das ist so wenig. Und natürlich leidet die Beziehung
zwischen Lily und mir unter der Situation.
Wie geht es Ihnen damit?
Ich bin in der Gastronomie beschäftigt und dachte am Anfang des Lockdowns,
ich habe momentan eh keine Arbeit, dann kann ich mich auch um Lily kümmern.
Aber jetzt verlängert sich die Zeit immer mehr. In den Weihnachtsferien war
es noch erträglich, aber jetzt habe ich keine Kraft mehr. Wenn ich morgens
aufstehe, bin ich müde und denke, oh Gott, ich muss jetzt bis 21, 22 Uhr
durchhalten, bis Lily einschläft.
Und ich habe ja nicht nur Lily. Die ganze Familie muss weiter
funktionieren. Mein Mann arbeitet in Vollzeit in einer Führungsposition. Er
kümmert sich um das Homeschooling für unsere 13- und 16-jährigen Söhne,
aber viel mehr kann er mir unter der Woche nicht abnehmen.
Fühlen Sie sich von Politiker*innen allein gelassen?
Ich bin ja froh, dass die Förderschulen im zweiten Lockdown überhaupt
erwähnt wurden! Im ersten Lockdown sind die und Familien von Kindern mit
Behinderung [1][vollkommen untergegangen]. Ich bin hier in Bonn in einer
Initiative von Eltern für Kinder mit Downsyndrom aktiv. Viele fühlen sich
vergessen, vernachlässigt. Wenn der Lockdown schon von Familien mit
gesunden Kindern als eine große Herausforderung empfunden wird, um wie viel
schwerer ist er dann für Familien mit Kindern mit Behinderungen!
Manche Kinder mit Beeinträchtigung müssen ja auch gepflegt werden…
Gerade wenn Kinder körperliche und geistige Beeinträchtigungen haben, ist
das für die Eltern eine enorme Überforderung. Da nebenbei Homeoffice zu
machen – wie soll das überhaupt gehen?
Was würde Familien von Kindern mit Beeinträchtigung jetzt weiterhelfen?
Es braucht dringend Entlastung. Denn wenn es den Eltern nicht gut geht,
dann kann es den Kindern auch nicht gut gehen. Und dann zerbricht alles.
Wie soll das konkret aussehen?
Gut wäre es, wenn die Schulbegleiter täglich für mindestens eine Stunde
nach Hause kommen würden. Unsere Kinder brauchen ganz besonders diese
Konstanz, dass man am Ball bleibt.
Inwiefern?
Bei einem Kind mit normaler Intelligenz wird neu Erlerntes im Gehirn
gespeichert, aber bei Kindern mit kognitiver Behinderung ist diese
Speicherkapazität sehr klein. Deswegen muss das Gelernte tagtäglich in
Erinnerung gerufen werden. Uns als Eltern von Kindern mit Behinderung macht
Sorge, dass die Kinder nach dem Lockdown wieder von 0 anfangen müssen.
Außerdem ist es für Menschen mit geistiger Behinderung extrem wichtig, dass
man Rituale hat und die auch beibehält. Das gibt Sicherheit, und die hat
Lily gerade nicht.
In Nordrhein-Westfalen werden die Grundschulen [2][ab dem 22. Februar
wieder geöffnet]. Was ändert sich für Sie dadurch?
Die Kinder werden vermutlich in kleinen Gruppen in die Schule gehen, damit
ist auch das Gesundheitsrisiko überschaubar. Ich freue mich schon sehr
drauf. Und auch Lily: Wir haben einen Kalender für sie gekauft und den 22.
Februar ganz groß markiert. Sie ist total happy und zählt schon die Tage.
16 Feb 2021
## LINKS
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## AUTOREN
Franziska Schindler
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