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# taz.de -- Landtagswahlen Rheinland-Pfalz: Im Bel Air von Oggersheim
> Das Haus von Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl in Ludwigshafen-Oggersheim sagt
> viel aus über den Wahlerfolg dieses Mannes.
Bild: Kanzlerdomizil: Der Bungalow der Familie Kohl in Oggersheim
Ludwigshafen taz | Zufällig kommt wohl niemand in diese Straße, wer in sie
hineinfährt, muss dort ein Ziel haben. Sie geht von der Weimarer Straße ab
und mündet auch wieder in diese hinein. Durchgangsverkehr? Null. Ein
Flecken in Ludwigshafen, er ist vom Namen her in gewisser Hinsicht
weltberühmter als der ansässige BASF-Konzern am nördlichen Rheinufer der
Stadt: Oggersheim.
Dort lebte Kanzler Helmut Kohl, zur Welt gekommen in einer Gegend, die auch
zu dieser Stadt gehört, Friesenheim. Doch Oggersheim, leichte Randlage am
Ort, nahe einem Autobahnanschluss, das ist die ortsnamengewordene Chiffre
für Biederkeit, für Saumagen und gedungene Gemütsamkeit.
Ach was! [1][Oggersheim selbst ist hübsch und wohlgepflegt.] Beschränkungen
wegen Corona mögen zu einer gewissen Leere dieses Fleckens beitragen, an
diesem grell sonnigen Tag, kalt an Temperatur, scheint es besonders
ausgestorben, doch eine gewisse Jovialität scheint der Flecken zu
verströmen, Traditionsbierhaus inklusive.
Der Charakter der Straße, in die die Kohls mit ihren Kindern 1971 zogen,
erschließt sich auf Anhieb. Hier, in der Marbacher Straße, ist alles
Bungalow. Nummer 11, da wohnte er, [2][da soll noch seine zweite Ehefrau
Maike leben.]
## Man grüßt sich hier
In Oggersheim, das ist auf dem Weg vom Bahnhof ins Kohl’sche Viertel zu
bemerken, wird intensiv gegrüßt. Wem auch immer man begegnet – man erhält
ein „Guten Tag“ oder ein gewogenes Kopfnicken wie nebenbei. Sozial
auffällig ist wohl, wer sich an diesen Comment nicht hält: Das ist für
Berliner natürlich schwer zu verstehen, da doch in der Hauptstadt als
kultureller Code gilt, einander in jeder Eile zu übersehen.
Leer ist es, nichts als leer – und wahnsinnig still. Kein Musikfetzen,
keine Stimmen aus den Häusern, kein Muckser anderer Art. Aber es muss
soziales Leben geben, sonst. Es gibt Erzählungen von Nachbarn des früheren
Kanzlers, die davon berichten, wie stolz sie darauf waren, neben ihm oder
wenigstens in seiner Straße zu wohnen.
Oh, da habe er geklopft, heißt es, komm doch mal rüber, und dann verschwand
man im Kohl’schen Haus und ließ sich vom Ministerpräsidenten von
Rheinland-Pfalz – später Oppositionsführer gegen Helmut Schmidt,
schließlich Kanzler, danach im politischen Halbruhestand – erklären, was
immer er erklären wollte.
Ein Mann der Leutseligkeit, heißt es, eine Familie, ruhig und unauffällig;
die Hannelore, die Gattin, die fuhr zum Einkaufen, heißt es, gern nach
Mannheim, wo es ja deutlich besser zum Shoppen ist.
## Eine Architektur der Diskretion
Eine gewisse Grundversiegeltheit scheint über dem Quartier zu liegen.
Buchstäblich alle Häuser sind architektonisch auf kommunikative Diskretion
angelegt. Amerikanische Häuser, selbst die prächtigsten, haben meist die
Frontseite so gestaltet, dass sie Platz für eine Porch bietet, eine Veranda
mit Blick zum Öffentlichen der Straße, schwatzbar, grüßfähig.
Aber das ist hier im Oggersheimer Viertel so wie fast überall in
Deutschland: Veranden, die Verschlossenheit signalisieren, sind eher das
Übliche. Zu dieser Zeit am frühen Nachmittag ist nur ein Moment konkret
lebendig, drei Mitarbeiter, ausweislich der Aufschrift eines Lieferautos
von einer Metzgerei und Cateringfirma.
Auf dem Schild des Hauses scheint alles wie früher. „H. Kohl“ steht dort.
Ein breiter Eingang führt zur halbetagig tiefer gelegenen Garage. Kein
Fenster zur Straßenfront, soweit ersichtlich. Keine Schnörkel, kein
misslicher Zierplunder, der Anstrich wie vermutlich seit Jahrzehnten in
neutralstem Weiß.
Einer wie Helmut Kohl mit Familie wurde dort an einem besseren Ortsrand mit
leichter Hügellage sesshaft, insgesamt eine Lage, die sich wie das Bel Air
von Oggersheim ausnimmt. Hier leben die, die es zu was gebracht haben oder
bringen werden, Anbau für Anbau an Häusern, öfters auch mit Carport. Man
erkennt beim längeren Weg zum Omnibus – es ist keine Gegend des
öffentlichen Nahverkehrs –, dass schon eine Straße weiter alles ja auch
noch proper aussieht, ebenfalls teuer auf den Immobilienmärkten, doch
ärmer.
## Modernisierung auf Kohls Art
Insofern wäre es ein Missverständnis, [3][Kohl und seine privatfamiliäre
Lebensform] als, gemessen an damaligen Mustern, hinterwäldlerisch
wahrzunehmen. Der modernisierte sich auch, emporgewachsen aus
Zweitweltkriegsverhältnissen, in Friesenheim groß geworden, zeigte mit dem
Oggersheimer Zuhause den Aufstieg an und ließ das „Habe ich
geschafft“-Moment ins Werk setzen.
Dass sein professionell gezeichnetes, durch allerlei konservative Medien
fleißig kolportiertes Bild von der heilen, intakten, braven, unauffälligen
Familie Kohl ein trügerisches war, das wollte damals niemand so genau
wissen. In der Marbacher Straße 11 schied später seine Frau Hannelore
selbstgewählt aus dem Leben.
Auch die Wohnstätten anderer Kanzler sind von starker Unauffälligkeit. Nur
der erste Kanzler Konrad Adenauer, der kam zu seinem Job nicht aus dem
Nichts, er war ja vor seiner bundesdeutschen Karriere Oberbürgermeister von
Köln und lebte in seinem gartenberühmten Spitzdachhaus in Rhöndorf. Aber
auch dessen Heim erinnert nicht an den kitschigen Pritziprotz Putins am
Schwarzen Meer.
## Auch Schmidt wohnte unauffällig
Zu Helmut Kohls Wohnvita am nächsten steht sein Vorgänger Helmut Schmidt,
der wie Kohl erst nach einigen Jahren Karriere zum eigenen Heim fand, in
Langenhorn, Hamburg, Neubergerweg, wie Kohls Haus eher in Verborgenheit
siedelnd. Der Unterschied ist nur: Schmidts Haus ist inzwischen ein Archiv
in dessen eigener Sache, gelegentlich sind sogar Führungen möglich, bei
denen man erkennt, wie luftig und also modern, antimiefig, dieser
Sozialdemokrat mit seiner Frau Hannelore sich einzurichten wusste.
Ein Museum für Helmut Kohl in dessen Haus ist nicht vorgesehen, kulturelles
oder behördliches Interesse? Keines. Und das ist wirklich schade, denn das
Haus an der Marbacher Straße 11 an der grünen Flanke Oggersheims erklärt
mehr vom Wahlerfolg dieses Mannes als so viele Analysen über die Jahre der
CDU unter und mit ihm. Es zeigt, womit in Rheinland-Pfalz nicht zu punkten
ist – mit Pomp und Protz. Hier ging es auch um Bimbes, um Geld, um Spenden,
ob ordentlich gebucht oder nicht, und hier ging es um das wahre Leben.
Kohls Haus ist so unauffällig, so antisakral beiläufig irgendwie in der
randständigen Landschaft des Städtchens, dass es schmerzt: So wenig Glamour
war selten. Er war ein Mann mit Nachkriegslebenslust. Er hatte mehr Gier
und Hunger nach dem prallen Leben als fast alle anderen zu seiner Zeit –
nur eben nicht: in Oggersheim. Da war er ein Nachbar, ein
rheinland-pfälzischer Traum, der Popularität erntete.
9 Mar 2021
## LINKS
[1] http://!5422719
[2] /Streit-um-Tonbaender-von-Ex-Kanzler/!5712218
[3] /Helmut-Kohls-Vermaechtnis/!5420350
## AUTOREN
Jan Feddersen
## TAGS
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