| # taz.de -- Friedensverhandlungen in Afghanistan: Nach uns die Sintflut | |
| > Auch in Afghanistan hat Trump seinen Nachfolgern verbrannte politische | |
| > Erde hinterlassen. Den löchrigen Taliban-Deal nachzubessern wird | |
| > schwierig. | |
| Bild: Flugzeuge der US Airforce über Afghanistan setzten Zielfeuer | |
| Als am 29. Februar 2020 die USA, noch unter Trump, und die afghanischen | |
| Taliban in Doha (Katar) ein Dokument mit dem wohlklingenden Namen | |
| „Abkommen, um [1][Frieden nach Afghanistan] zu bringen“ besiegelten, | |
| breitete sich in Afghanistan Hoffnung aus. Kein Wunder, dauert der Krieg | |
| dort doch schon vier Jahrzehnte, in wechselnden Konstellationen und | |
| Kontexten. Weihnachten 1979 waren sowjetischen Truppen einmarschiert, um | |
| eine verbündete Regierung zu retten, und internationalisierten so einen | |
| innenpolitischen Konflikt. In Afghanistan wurde die letzte heiße Schlacht | |
| des Kalten Krieges ausgetragen – und die dauert nach dessen Ende an. | |
| Es gab aber auch verbreitete Skepsis. Das lag daran, dass die USA zusagten, | |
| zügig einen Großteil ihrer Truppen – zu diesem Zeitpunkt etwa 8.000, dazu | |
| kamen 8.550 aus verbündeten Ländern wie Deutschland – und bis Ende April | |
| den Rest abzuziehen. Würde die afghanische Regierung, die nicht einmal | |
| genug Eigeneinnahmen hat, um ihre 300.000 Soldaten und Polizisten zu | |
| bezahlen, den Abzug überleben? Würden die Taliban weiterverhandeln oder | |
| einfach in Kabul einmarschieren? | |
| Im Gegenzug sollten die Taliban Friedensverhandlungen mit der afghanischen | |
| Regierung beginnen. US-Chefverhandler Zalmay Khalilzad, selbst afghanischer | |
| Herkunft, vertagte die Friedensfrage also in die Zukunft. Dass die | |
| westlichen Truppen erst das Land verlassen würden, wenn die Afghanen | |
| Frieden geschlossen haben, steht aber nicht im [2][Doha-Deal]. Schon seit | |
| Dezember stocken diese sogenannten innerafghanischen Verhandlungen, die | |
| seit September ebenfalls in Katar stattfinden. Denn angesichts fast | |
| präzedenzloser Gewalt in Afghanistan steht der Doha-Deal in Washington auf | |
| dem Prüfstand. Die neue Biden/Harris-Administration will die Taliban zu | |
| einer Verlängerung der Abzugsfrist drängen. | |
| Die Chancen dafür stehen schlecht. Eine Verpflichtung zur Verringerung der | |
| Gewalt steht ebenfalls nicht im Abkommen, von einer Waffenruhe ganz zu | |
| schweigen. Warum also sollten die Taliban zustimmen? Laut Khalilzad habe es | |
| mündliche Absprachen gegeben. Stimmt, sagen die Taliban: Man habe aber nur | |
| zugesagt, keine US- und verbündeten Truppen und nicht mehr die Städte | |
| anzugreifen – und das auch eingehalten. Formal gesehen verletzen sie also | |
| mit Angriffen auf die afghanischen Regierungstruppen in ländlichen Gebieten | |
| das Abkommen nicht. | |
| Die jüngst erheblich eskalierte Welle von gezielten Mordanschlägen hingegen | |
| wäre eine Verletzung des Abkommens. Die Zahl der zivilen Opfer dabei | |
| verdreifachte sich 2020 gegenüber dem Jahr davor, und dabei sind Polizisten | |
| und Soldaten außerhalb von Kampfhandlungen noch nicht mitgezählt. Aber es | |
| ist schwer, den Taliban eine Beteiligung daran nachzuweisen, auch wenn die | |
| Logik dies nahelegt: Die Taliban sind die am besten organisierte und | |
| einzige landesweit operierende bewaffnete Aufstandsbewegung. Sie haben ein | |
| Interesse daran, Andersdenkende vor ihrer zu erwartenden Rückkehr an die | |
| Macht einzuschüchtern und haben das verschiedentlich auch offen gesagt. Das | |
| gilt auch, wenn einige dieser Anschläge auf das Konto des „Islamischen | |
| Staates“ oder „schwarzer Operationen“ des CIA-geförderten afghanischen | |
| Geheimdienstes gehen dürften. | |
| Völlig vage bleibt das Abkommen bei Maßnahmen, mit denen überprüft werden | |
| soll, ob die Taliban international agierende dschihadistische Terrorgruppen | |
| vom Schlage al-Qaidas oder des IS daran hindern, von ihrem Territorium aus | |
| erneut Anschläge gegen die „USA und ihre Alliierten“ auszuhecken. Auch hier | |
| fallen Afghanistan und Afghan:innen nicht unter „Alliierte“. Al-Qaida – | |
| eine Allianz verschiedener Gruppen – hat laut UNO noch 200 bis 500 Kämpfer | |
| in Afghanistan. Die Hälfte davon gehört zu Gruppen, die die Taliban schon | |
| jetzt von eigenmächtigen Aktionen abhalten. Niemand weiß genau, ob al-Qaida | |
| noch eigene Kampfeinheiten und eine konsistente Führung besitzt. Zwar | |
| behaupten afghanische und US-Geheimdienste immer wieder, | |
| Al-Qaida-Spezialisten brächten den Taliban das Bombenbauen bei. Ob die | |
| kampferprobten Afghanen dies nötig haben, ist jedoch zweifelhaft. Zudem | |
| sind die Quellen direkte Parteien in einem Krieg, der auch mit | |
| Desinformation geführt wird. | |
| Zwar liegt auf der Hand, dass die Taliban Verantwortung tragen für die von | |
| ihnen verursachten Toten und Verletzten, dabei immer wieder Unbeteiligte, | |
| und Zerstörungen von Infrastruktur und Lebensgrundlagen vieler Menschen. | |
| Bei der derzeitigen Debatte um Truppenabzug oder nicht geht es aber nur um | |
| den Inhalt des [3][Doha-Abkommens], an dem die Taliban als einzige | |
| afghanische Partei beteiligt waren und von dem die afghanische Regierung | |
| ausgeschlossen blieb. Und dieses Abkommen ist ein Paradebeispiel | |
| Trump’scher America-First-Politik. Es geht nur um US-Interessen: Soldaten | |
| abziehen, Milliarden sparen, nach mir die Sintflut. Biden/Harris bewegen | |
| sich auf politisch verbranntem Terrain und müssen jetzt sehen, was sie in | |
| Afghanistan noch retten können. | |
| Dafür bietet das Abkommen ein einziges Mittel: Die Zusage, dass die USA | |
| sich nach den innerafghanischen Verhandlungen um „wirtschaftliche | |
| Kooperation für den Wiederaufbau mit der neuen, islamischen Regierung“ | |
| bemühen werde. Dies haben die Taliban in den Text schreiben lassen, denn | |
| sie wissen, dass auch eine Regierung mit ihrer Beteiligung nicht über die | |
| Mittel verfügen wird, wenigstens die Grundbedürfnisse einer zu 80 Prozent | |
| in Armut und zu zwei Dritteln nahe dem Hunger lebenden Bevölkerung zu | |
| garantieren. | |
| Und die Bundeswehr? Ohne US-Logistik ist sie in Afghanistan nicht | |
| manövrierfähig. Sie wird abziehen, wenn das US-Militär abzieht. Daran | |
| ändert kein Mandatsentscheid im Bundestag oder beim | |
| Nato-Verteidigungsministertreffen etwas. Laut FAZ hat das Kommando | |
| Spezialkräfte schon vor Weihnachten sein Training afghanischen | |
| Sondereinheiten abgebrochen. | |
| 25 Feb 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Thomas Ruttig | |
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