# taz.de -- Afghanistan nach US-Truppenreduzierung: Enttäuschte Hoffnungen | |
> Fast ein Jahr ist vergangen, seit die US-Regierung ein Abkommen mit den | |
> Taliban schloss. In Afghanistans Hauptstadt herrscht heute Chaos und | |
> Gewalt. | |
Bild: Dschalil Amiri, Sodaba Adina und Hila Aschna (l-r) überlebten einen schw… | |
Kabul taz | Zubair Hakim, 24, lebt in einem kleinen Appartement im | |
Südwesten Kabuls. Die Miete ist etwas teuer, doch hier fühlt er sich | |
sicher. Im Eingangsbereich sind stets bewaffnete Wachen präsent, die Fremde | |
gegebenenfalls ausfragen und kontrollieren. „Das gibt einem das Gefühl von | |
Sicherheit, vor allem in diesen Zeiten“, sagt der junge Ingenieur. | |
Afghanistans Hauptstadt gehört in diesen Tagen zu den unsichersten Flecken | |
des Landes. Während die Regierung von Präsident Ashraf Ghani weiterhin | |
nicht Herr der Lage wird, wächst die Kritik seitens der Bevölkerung. Hakim | |
erzählt von No-go-Areas und Diebesbanden, die für Handys und ein wenig | |
Kleingeld morden. Hinzu kommen gezielte Attentate auf Personen des | |
öffentlichen Lebens, darunter [1][Journalisten] und [2][Aktivisten]. | |
Kurz vor Ende seiner Amtszeit hat US-Präsident Donald Trump die im | |
vergangenen November angeordnete Truppenreduzierung in Irak und Afghanistan | |
durchgezogen. In beiden Ländern wurde die Anzahl stationierter Soldaten auf | |
jeweils 2.500 reduziert. Der Abzug der Truppen ist [3][mit jenem Deal | |
verbunden, den die USA im vergangenen Frühling mit den Taliban im | |
Golfemirat Katar abgeschlossen hatten]: Die USA sagten damals einen | |
vollständigen Truppenabzug bis Mitte 2021 zu. Im Gegenzug gaben die Taliban | |
Sicherheitsgarantien ab. | |
Die Biden-Administration hat bereits verdeutlicht, den US-Taliban-Deal | |
überprüfen zu wollen. Kritiker warfen Trump einen voreiligen Abzug vor, der | |
hauptsächlich auf die persönliche Selbstinszenierung abzielt. Krieg, Terror | |
und eine hohe Kriminalitätsrate sind weiterhin fester Bestandteil des | |
afghanischen Alltags. Mit dem verstärkten Abzug der US-Truppen wird die | |
schlechte Sicherheitslage allerdings selten in Verbindung gebracht. „Wir | |
brauchen keine ausländischen Soldaten, die uns schützen sollen. Dies sollte | |
nämlich die Aufgabe unseres eigenen Sicherheitsapparats sein, doch dieser | |
hat versagt“, so Hakim. | |
## Brutal gehen auch staatliche Akteure vor | |
Als die Friedensgespräche mit den Taliban begannen, hegte Hakim wie viele | |
seiner Landsleute Hoffnungen. Doch nun ist fast ein Jahr seit der | |
Unterzeichnung des Deals vergangen. Und während amerikanische Soldaten | |
nicht mehr zum Ziel der Taliban gehören, werden Afghanen weiterhin | |
angegriffen. Brutal gehen allerdings auch staatliche Akteure, etwa die | |
afghanische Armee, vor, die weiterhin zivile Ziele in ländlichen Gebieten | |
rücksichtslos bombardieren. Der Krieg wurde, ähnlich wie in den 1990er | |
Jahren nach dem Abzug der sowjetischen Truppen, vollständig „afghanisiert“. | |
Viele junge Afghanen haben den damaligen Bürgerkrieg nur vage in | |
Erinnerung. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs fiel Kabul 1992 in die | |
Hände der Mudschaheddin-Rebellen, die über ein Jahrzehnt lang die UdSSR und | |
ihre afghanischen Verbündeten bekämpften. Kurz darauf entfachte sich ein | |
weiterer Bürgerkrieg und die meisten Mudschaheddin bekämpften einander, | |
während sie plünderten, mordeten und die Hauptstadt in Schutt und Asche | |
legten. Es gibt nicht wenige Afghanen, die das damalige Chaos mit dem | |
gegenwärtigen vergleichen. Es waren jene Umstände, die Mitte der Neunziger | |
den Aufstieg der reaktionären Taliban überhaupt erst ermöglichten. | |
„Es wurde schon lange ein Punkt erreicht, an dem es vielen Menschen egal | |
ist, wer hier regiert. Die Situation ist untragbar“, meint Mohammad Idrees | |
Akbari, 30, der als Pflegekraft in einem Krankenhaus tätig ist. Er ist | |
froh, dass er in diesen Zeiten einen Job hat. Die Arbeitslosenquote | |
innerhalb der überdurchschnittlich jungen afghanischen Gesellschaft ist | |
hoch. Viele Afghanen wie Akbari denken über Auswanderung und Flucht nach. | |
Zeitgleich sorgen jene Jungspunde für Unmut, die sich um Präsident Ashraf | |
Ghani geschart haben. Die meisten von ihnen stammen aus dem westlichen | |
Ausland und haben mittels Vetternwirtschaft hochrangige Regierungsposten | |
erhalten. Sie leben in ihrer eigenen Blase, hinter verbarrikadierten Toren | |
und dicken Betonmauern. Während Ghani von der Expertise seiner | |
Auslandsafghanen schwärmt, haben viele von ihnen auch die Korruption im | |
Land vorangetrieben. | |
## „Befördert wird man nur mittels Beziehungen“ | |
„Man kommt sich einfach dumm und ungerecht behandelt vor. Viele junge | |
Afghanen haben enorme Risiken in Kauf genommen, um in ihrer Heimat zu | |
bleiben. Sie wollen ihr Land aufbauen und keine Hilfsgelder einstecken“, | |
meint Hakim, der selbst für die Regierung arbeitet. Die Korruption hat er | |
gesehen und zu spüren bekommen. „Befördert wird man nur mittels | |
Beziehungen“, sagt er. Hakim geht davon aus, dass Ghanis Leute sich | |
absetzen werden, falls der Krieg sich verschlimmert: „Die haben doch | |
westliche Pässe und sind dann ganz schnell wieder weg.“ | |
Umso mehr ist es den Menschen wichtig, dass ein Frieden mit den Taliban | |
trotz aller Anstrengungen zustande kommt. „Der Frieden, auf den wir | |
hofften, ist noch nicht da“, sagt die Studentin Soraya Muradi, 24, aus | |
Kabul. „Sobald die Taliban Teil der Regierung werden, besteht allerdings | |
die Möglichkeit, dass viele von ihnen die Waffen niederlegen. Ich wünsche | |
mir sehr, dass dies geschieht“, so Muradi. Sie ist sich darüber im Klaren, | |
dass die Extremisten ihre Interessen als Frau kaum vertreten. „Doch | |
selbiges gilt auch für die Regierung und vermeintliche Frauenrechtlerinnen, | |
die sich lediglich inszenieren und in den letzten Jahren persönlich | |
bereichert haben“, betont sie. | |
28 Jan 2021 | |
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## AUTOREN | |
Emran Feroz | |
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