# taz.de -- Neuköllner Anschlagsserie: Das Vertrauen ist dahin | |
> Die Opfer glauben nicht an den Aufklärungswillen der Behörden: Das wissen | |
> jetzt auch die Sonderbeauftragten. Zwischenbericht vorgelegt. | |
Bild: Kundgebung in Neukölln. „Solidarität mit den Betroffenen der rechtsex… | |
Man könne nicht alles „zum dritten oder vierten Mal überprüfen“, sagt | |
[1][Herbert Diemer]. „Wir haben uns deshalb auf eine ganzheitliche | |
Betrachtung konzentriert und eigene Schwerpunkte gesetzt.“ Diemer, früher | |
Generalbundesanwalt, und [2][Uta Leichsenring], einst Polizeipräsidentin in | |
Eberswalde, untersuchen derzeit als unabhängige Sonderbeauftragte, ob es | |
bei den Ermittlungen zur rechtsextremen Anschlagsserie in Neukölln | |
Versäumnisse gab. Am Montag stellten sie im Innenausschuss des | |
Abgeordnetenhauses ihren Zwischenbericht vor. Fazit: Die Betroffenen haben | |
das Vertrauen in die Sicherheitsbehörden verloren. Tiefgreifende | |
Versäumnisse seien der Polizei aber nicht vorzuwerfen. | |
Die beiden prüfen s[3][eit vergangenem Oktober] die Ermittlungsvorgänge um | |
die mindestens 72 Taten wie Brandstiftungen – begangen in der Mehrheit | |
zwischen 2016 und 2018. Die Namen der mutmaßlichen Täter aus der Neuköllner | |
Neonazi-Szene sind der Polizei seit Jahren bekannt, überführt werden | |
konnten sie bisher nicht. | |
Dabei ist die Untersuchung von Diemer und Leichensring nicht die erste: | |
Vorher hatte bereits die beim Staatsschutz angesiedelte | |
[4][Untersuchungsgruppe „Fokus“] den Komplex nach Schwachstellen | |
durchforstet, danach die Terrorabteilung bei der Generalstaatsanwaltschaft. | |
Letztere hatte im Dezember gegen die beiden [5][Hauptverdächtigen | |
Haftbefehle] erwirkt, die aber außer Vollzug gesetzt wurden. Dagegen ist | |
eine Beschwerde der Staatsanwaltschaft anhängig. | |
Die mit sechs Unterstützungskräften ausgestattete | |
Sonderbeauftragtenkommission hat laut Diemer 6.700 Aktenseiten von der | |
Staatsanwaltschaft, 42 Gigabyte Daten von der Polizei und 10.000 Seiten vom | |
Verfassungsschutz zur Verfügung gestellt bekommen. Von vornherein sei klar | |
gewesen, dass man auch mit den Betroffenen das Gespräch suchen werde, sagte | |
Leichsenring. Fünf Gespräche mit Geschädigten seien bereits erfolgt, drei | |
weitere geplant. Den Kontakt habe man über die Mobile Beratungsstelle gegen | |
Rechtsextremismus (MBR) hergestellt. | |
Bei den Betroffenen sei ein großer Vertrauensverlust spürbar. Massive | |
Zweifel an der Glaubwürdigkeit und Integrität von Polizeibeamten seien | |
geäußert worden. | |
Wiederholt sei bei den Gesprächen der Verdacht geäußert worden, dass es | |
innerhalb der Ermittlungsbehörden, insbesondere der Polizei, | |
rechtsextremistische Netzwerke gebe und die Aufklärung der Straftatenserie | |
so verhindert worden sei. Die Kommission habe aber keine Anhaltspunkte für | |
den Verrat von Dienstgeheimnissen aus dem polizeilichen Informationssystem | |
feststellen können, so die Sonderbeauftragten. | |
Was das angeht, stützt sich der Zwischenbericht auf den Abschlussbericht | |
der Sonderermittlungsgruppe „Fokus“: Diesem zufolge war mit der Bearbeitung | |
des Neukölln-Komplexes keiner jener Polizisten betraut, gegen die im | |
Zusammenhang mit rechtsextremistisch motivierten Verhaltensweisen | |
Disziplinarverfahren anhängig sind. | |
Im zweiten Teil ihrer Tätigkeit wollen die Kommissionsmitglieder | |
überprüfen, ob der Verfassungsschutz alle Möglichkeiten zur Übermittlung | |
von Erkenntnissen an die Ermittlungsbehörden ausgeschöpft hat. Das gilt | |
auch mit Blick auf das aktuelle Verfahren gegen die Hauptverdächtigen. Die | |
vorhandenen Unterlagen sollten noch einmal zeitnah auf Relevanz überprüft | |
werden, um gegebenenfalls weitere Behördenzeugnisse zu erstellen. | |
Des Weiteren regen die Sonderbeauftragten an, die Kommunikation zwischen | |
den Strafverfolgungsbehörden, den örtlichen Akteuren der Zivilgesellschaft | |
und Behörden wie dem Bezirksamt Neukölln zu verbessern. Das gegenseitige | |
Verständnis und Vertrauen könne so gestärkt werden mit dem Ziel, gemeinsam | |
gegen die der Anschlagsserie zugrundeliegenden rechtsextremistischen | |
Strukturen vorgehen zu können. | |
Scharfe Kritik an dem Zwischenbericht äußerte der innenpolitische Sprecher | |
der Linken, Niklas Schrader. Sein Eindruck sei, die Kommission versuche | |
eine Art Vermittlungsrolle einzunehmen. Der Verdacht, aus der Polizei seien | |
keine Dienstgeheimnisse weitergegeben worden, sei für ihn nicht ausgeräumt. | |
Jahrelang habe es Pannen und Ermittlungsfehler gegeben, das spreche eher | |
für ein Netzwerk als für Einzelfälle. | |
Er fürchte, dass ein Untersuchungsausschuss weiterhin notwendig sei, sagte | |
Schrader. „Es waren zu viele Fälle“, bekräftigte der innenpolitische | |
Sprecher der Grünen, Benedikt Lux. Die Betroffenen haben ihre Forderung | |
nach einem [6][parlamentarischen Untersuchungsausschuss] bereits im | |
November 2019 mit einer Petition untermauert, die 25.000 Unterschriften | |
trägt. | |
Polizeipräsidentin Barbara Slowik kündigte im Ausschuss an, beim | |
Landeskriminalamt werde ab dem 1. April eine neue Ermittlungsgruppe | |
Verbindungen von Polizisten zu rechtsextremistischen Kreisen und Straftaten | |
untersuchen. | |
22 Feb 2021 | |
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## AUTOREN | |
Plutonia Plarre | |
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