# taz.de -- St. Pauli, das Paulihaus und die Bäume: Ein Paradox | |
> Auf St. Pauli gibt es Proteste gegen das geplante Paulihaus. Dabei sind | |
> die Leute hinter dem Paulihaus doch gar nicht die Bösen. Oder etwa doch? | |
Bild: Gegenwind im Stadtteil: Demonstration gegen das Neubauprojekt Paulihaus a… | |
Ich fühl mich nicht. Ich habe Schnupfen und Kopfschmerzen und bleibe lieber | |
im Bett. Du musst zum Arzt gehen, sagt meine Schwester am Telefon, du musst | |
einen Coronatest machen. | |
Ach hör doch auf, sage ich. Ich schmecke gut und habe weder Husten noch | |
Fieber. Ich fühl mich nur nicht. Und das schon länger. Man muss sich | |
bewegen und die Sonne sehen. | |
Das tue ich. Ich ging am Samstag vierzehn Kilometer die Elbe entlang. Ich | |
war nur nicht allein. Ich wusste es vorher, aber wenn man derzeit am | |
Wochenende spazieren geht, egal in welchem Naturschutzgebiet, Moor, Park | |
oder Wald in Hamburg, dann sind da überall Menschen, Menschen, Menschen. | |
Ich gehe schon viele Jahre wandern, und früher waren die Menschen gar nicht | |
da. Aber jetzt sind sie da, diese vielen Menschen der Stadt, die raus | |
wollen, wie ich, Sonne, Vitamin D, Bewegung, auf andere Gedanken kommen. | |
Noch nie ist mir so klar geworden, wie eng es in der Stadt ist, wie wenig | |
Platz wir auf diesen Grünflächen haben, wie jetzt. Und es wird enger. | |
Montagmorgen standen ein paar Menschen am Neuen Pferdemarkt, um das | |
Abholzen der Bäume dort zu verhindern. Und sie verhinderten es. Am | |
Montagmorgen um fünf Uhr – es sind Helden! Seit Längerem starre ich diesem | |
Unheil an diesem Platz ins Auge. | |
Na und?, denke ich, auch schon seit Längerem. Auch nur eine dieser | |
Stadtentwicklungen, die sich nicht aufhalten lassen. Noch ein paar Bäume | |
weniger, noch ein Bürohaus mehr, noch mehr Autos, mehr Verkehr, mehr Hitze | |
im Sommer, mehr hoch- und zugebaut. | |
Müde schaue ich mir die [1][Website dieses „Paulihauses“] an. Dort finde | |
ich Antworten auf alle Fragen, eine saubere Rechtfertigung für das | |
Bauvorhaben. Sie sind gar nicht die Bösen. Sie sind eine Baugemeinschaft, | |
das ist doch fast so etwas wie eine WG oder eine Genossenschaft, ein | |
Bauwagenplatz, ein Zeltlager, ein Camp? Das passt doch super in diese | |
irgendwie immer noch alternative Gegend? | |
Und dann beschäftigen sie auch noch so viele Menschen, die „im Viertel“ | |
wohnen, sagen sie, auf ihrer Website. Alles St.-Paulianer*innen, | |
Einheimische, welche von uns/euch, „darunter Mütter und Väter, die in | |
Teilzeit arbeiten, die „mittags zum Essen mit den Kindern nach Hause (…) | |
gehen, nachmittags wieder bei der Arbeit (…) sein“ wollen. | |
Wer könnte von solchen Eltern, die mittags mit den Kindern zum Mittagessen | |
nach Hause gehen, was es seit den 50er-Jahren ja nicht mehr gegeben hat, | |
verlangen, in ein Büro in die City Nord zum Arbeiten zu fahren? Oder nach | |
Hasselbrook, nach Harburg oder wo die ganzen Büros alle sind, die gerade | |
leer stehen? | |
Familien! Darum geht es also. Ich habe mir jeden einzelnen Punkt | |
durchgelesen und ich glaube, diese vier Firmen sind einfach – gut. Na ja, | |
vielleicht sind sie auch nur – Firmen. Die Firma „Pahnke Markenmacherei“ | |
zum Beispiel, das ist eine „Full Service Agentur mit den Bereichen | |
Campaigning, Consulting, Social Media, Packaging und Innovation“ (das habe | |
ich von ihrer Website kopiert). | |
Ich weiß wirklich nicht, was das ist, aber es ist sicher wichtig. Und die | |
anderen Firmen, die zu dieser WG gehören, sind eben auch nur – Firmen. Die | |
Steg-Hamburg („Wir verstehen die Stadt“), Argus und Hamburg-Team („Mit dem | |
Blick für’s Ganze“). Irgendwo müssen die halt arbeiten, und sie wollen’s | |
halt nun da. Und wissen auch, dass es schwierig ist, und wollen’s halt | |
trotzdem. | |
Und nun also, die Bäume müssen weg, die der Baustelle im Wege sind, da geht | |
auch schon der Ärger los. Einige Leute sind dagegen, einige, die auch „im | |
Viertel“ wohnen, aber natürlich nicht die, die in diesen Firmen arbeiten | |
und mit ihren Kindern zum Mittagessen nach Hause gehen wollen. | |
Und alles, was ich dazu sagen kann, ist: Ich fühl mich einfach nicht. | |
(Oder, ich meine, die Sache ist einfach die, dass Firmen irgendwo arbeiten | |
wollen, wo sie es geil finden, aus genau dem gleichen Grund, aus dem sie da | |
eigentlich nicht besonders erwünscht sind. In Vierteln, in denen viele | |
Leute wohnen, die andere Werte haben als diese Firmen, und denen | |
„Campaigning, Consulting, Social Media, Packaging und Innovation“ am A… | |
vorbeigehen“. Es ist ein Paradox.) | |
19 Feb 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://paulihaus.de/ | |
## AUTOREN | |
Katrin Seddig | |
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