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# taz.de -- Die Wahrheit: Mister Ortsumfahrung
> Heute feiert einer der wichtigsten Männer der Bundesregierung seinen
> Geburtstag: der Straßeneinweiher und Banddurchschneider Steffen Bilger.
Bild: Ein Meister des Sandwerfens: Staatssekretär Steffen Bilger (rechts)
Seine ausgewiesene Expertise als CDU-Politiker pflegt Steffen Bilger auf
seiner Facebook-Seite umfassend zu dokumentieren; was man eben so drauf
haben muss als Parlamentarischer Staatssekretär im
Bundesverkehrsministerium. Ein Amt, das der heute seinen Geburtstag
feiernde 42-jährige Bundestagsabgeordnete seit fast drei Jahren bekleidet.
Und zu dessen vornehmster Aufgabe die Eröffnung neuer Straßen gehört. Das
gelang dem Ludwigsburger Ausnahmepolitiker selbst im Coronajahr 2020 mit
Bravour.
„Nach coronabedingter Pause konnte ich heute endlich wieder eine Straße
freigeben“, freute sich Bilger aufrichtig über seine im Juni 2020
vollzogene Freigabe „der Ortsumfahrung von Tüttleben im Landkreis Gotha“.
Mehrere Fotos zeigen den feierlichen Akt. Darunter auch eins vom
berückendsten Moment jeder Straßenöffnung: dem des feierlichen
Bändchendurchschneidens. Mit einem strahlenden Steffen Bilger an der
Schere.
Das heißt, noch hat sie der asphaltschwarz gewandete Ministerielle gar
nicht angesetzt. Noch hält er das in der Sonne blitzende Schneidwerkzeug
bloß lässig in der rechten Hand, während seine linke bereits entschlossen
ans Bändchen greift, das er folglich – alles deutet darauf hin! – sogleich
durchschneiden wird. Sodass da, wo er und „die zahlreich erschienenen
Bürger“ jetzt noch auf der frisch geteerten Fahrbahn herumstehen, Tüttleben
endlich auch umfahren werden kann.
## Kompetenz im Neueröffnen
„Vor einigen Tagen konnte ich … die Ortsumgehung B38 Impflingen für den
Verkehr freigeben“, informierte Bilger dann am 25. August 2020 die
Weltöffentlichkeit. Auch dazu wurden Fotos hochgeladen, die seine Kompetenz
im Neueröffnen von Straßen beweisen – aber warum eigentlich immer nur von
solchen, die um die Orte herumführen?
Eine Merkwürdigkeit, die aber aus Zeitgründen nicht weiter zu vertiefen
war. Denn bereits im September eröffnete Bilger schon wieder: „Im Elztal …
konnte ich am vergangenen Montag … den ersten Bauabschnitt der Ortsumgehung
Winden im Zuge der B 294 für den Verkehr freigeben.“ Und erneut war’s eine
Ortsumfahrung beziehungsweise Ortsumgehung, wie dieser Straßentyp ja
seltsamerweise auch bezeichnet wird. Hier allerdings war mal kein Bändchen
zu durchschneiden, sondern ausnahmsweise eine Sperrbake von der Fahrbahn zu
räumen. Aber auch dabei machte der talentierte Staatssekretär – gestützt
zudem vom geistlichen Beistand eines Autobahnpfarrers – bellissima figura.
Selbst wenn mal gerade keine Eröffnung anstand, schaffte es Mister
Ortsumfahrung, sein Thema zu platzieren. So etwa Anfang August, als er zu
einem verkehrspolitischen Stelldichein nach Bretten ins westliche Kraichgau
reiste; angeblich, um mit den örtlichen Spitzenkräften „über die
Möglichkeit eines Minikreisels an der Jöhlinger Straße“ und „den Bau ein…
dritten Spur“ sowie die Optimierung einer Zufahrt „mit einem weiteren
sogenannten ‚Ohr‘“ zu beraten. Dabei dürfte es ihm aber auch bei diesem
Ortstermin vor allem um die noch zu eröffnende „B 293-Umfahrung von
Jöhlingen“ und die ebenfalls erst noch in Betrieb zu nehmende „B
294-Umfahrung von Bretten“ gegangen sein.
## Zelebrieren von Baubeginnen
Noch gewiefter verfuhr der alerte Parlamentarier bei seinem Besuch des
Ostalbkreises, wo er erst wie beiläufig an die längst erfolgte
„Verkehrsfreigabe der Ortsumfahrung Mögglingen“ erinnerte. Um dann aber um
so vehementer auf die schon lange geplante Umgehungsstraße von Aalen-Ebnat
zu sprechen zu kommen: Ein Projekt, bei dem nun endlich die Baufreigabe
bewilligt worden sei, wie er ohne Umweg ausführte. Und: „Den Spaten für den
Spatenstich … durfte ich gleich mit nach Hause nehmen.“ Ganz nebenbei ließ
er so durchblicken, dass ja nicht nur die Verkehrsfreigaben von
Ortsumfahrungen, sondern auch ihre Baubeginne zelebriert werden.
Die dabei übliche Zeremonie ist bekanntlich die des symbolischen
Erstspatenstichs. Den man als Staatssekretär selbstverständlich genauso
vollendet beherrschen muss. Am 28. Oktober („Letzte Woche war ich in
Thüringen zum feierlichen Baubeginn der B 243 Ortsumgehungen Holbach und
Günzerode“) zeigte Bilger in einer Fotoserie, woran man den einzig wahren
Stecher erkennt: an der aufrechten Körperhaltung natürlich. Und dass man
den Schutzhelm abnimmt, wenn man zum symbolischen Baubeginn schreitet. Und
dass man nach dem Erststich in den dafür vorbereiteten Haufen die Schippe
mit etwas Sand drauf zwar durchaus hoch nimmt, dann aber in der natürlichen
Schippbewegung so lange verharrt, bis alle anwesenden Reporter ihr Foto
sicher im Kasten haben. Erst dann wird der Sand mit Schwung und einem
verheißungsvollen Gesichtsausdruck nach vorne geworfen.
Genauso hat Steffen Bilger in Holbach und Günzerode symbolisch begonnen,
was auch hinter ihm auf einem Bauschild angekündigt wird: „B 243
Ortsumgehung. Wir bauen für Sie bis April 2026. Länge 9,8 Kilometer.“
Unter einem weiteren Foto („In Essingen war nun Spatenstich für den
weiteren Ausbau der B 29“) hat denn auch ein begeisterter Facebook-Freund
seiner Bewunderung so Ausdruck verliehen: „Vollendete Körperhaltung beim
Spatenstich, Herr Bilger. Sie können es einfach.“
Ja, er kann es und wird es auch 2021 wieder recht häufig können. In
Anbetracht der zahllosen deutschen Orte, die bislang nicht zu umfahren
sind, muss man sich da keine Sorgen machen.
16 Feb 2021
## AUTOREN
Fritz Tietz
## TAGS
Verkehrsministerium
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