# taz.de -- Vor den Wahlen in Ecuador: Krise, Corona und viele Kandidaten | |
> Ecuadors Präsident Moreno tritt bei der Wahl am Sonntag nicht wieder an. | |
> Er hinterlässt ein politisch gespaltenes Land in schwerer ökonomischer | |
> Krise. | |
Bild: Yaku Perez, indigener Anwalt und Umweltaktivist, kandidiert für Pachakut… | |
BUENOS AIRES taz | So viel Andrang auf den Präsidentenpalast war noch nie: | |
Wenn am Sonntag in Ecuador ein neues Staatsoberhaupt gewählt, müssen sich | |
die 13 Millionen Stimmberechtigten zwischen 15 Männern und einer Frau | |
entscheiden. Amtsinhaber [1][Lenín Moreno] ist nicht unter den Kandidaten. | |
Ein Wiederwahlversuch des 67-Jährigen wäre hoffnungslos. Morenos | |
Sympathiewerte liegen schon lange im einstelligen Prozentbereich. | |
Glaubt man den Umfragen, liegt der linksprogressive Andrés Arauz mit 30 | |
Prozent vorne. Der 35-Jährige wird vom früheren Präsidenten Rafael Correa | |
unterstützt, der Ecuador zwischen 2007 und 2017 in eine Allianz mit Hugo | |
Chavez’ Venezuela und Evo Morales’ Bolivien geführt hatte. Sozialem | |
Fortschritt stand ein autoritärer Regierungsstil gegenüber, etwa die | |
Kriminalisierung jeden Protests gegen die [2][Erdölförderung im | |
Yasuni-Nationalpark]. | |
Auf dem zweiten Platz folgt mit 20 Prozent der rechtsliberale Guillermo | |
Lasso. Der millionenschwere Bankier kandidiert bereits zum dritten Mal in | |
Folge und bisher erfolglos. Auf Rang drei kommt Yaku Pérez von der | |
indigenen Bewegung Pachakutik. | |
Ob am Sonntag die Entscheidung fällt oder es zu einer Stichwahl kommt, | |
hängt von den zahlreichen Unentschlossenen ab. Das sind über 30 Prozent der | |
Wahlberechtigten – die Anstrengungen des Alltags unter Coronabedingungen | |
überlagern alles. Die Pandemie hat Ecuador hart und mehrfach getroffen. | |
Horrorbilder von Leichen und Särgen in den Straßen der zweitwichtigsten | |
Stadt [3][Guayaquil] sorgten im April vergangenen Jahres weltweit für | |
Schlagzeilen. | |
## Andere legen Milliardenprogramme auf, Moreno kürzt | |
Dabei hatte die Regierung den ersten Infektionsfall schon am 29. Februar | |
2020 gemeldet und bereits zwei Wochen später den Ausnahmezustand verhängt. | |
Doch nur wenige Tage danach trat Gesundheitsministerin Catalina Andramuño | |
unter Protest zurück. Der Präsident und seine Regierung würden sich taub | |
und die notwendigen Ressourcen nicht zur Verfügung stellen, so ihre heftige | |
Kritik. Zu diesem Zeitpunkt waren 532 Infektions- und sieben Todesfälle | |
registriert. | |
Und während andernorts über Milliardenhilfsprogramme debattiert wurde, | |
kündigte Präsident Moreno Haushaltseinsparungen in Höhe von 4 Milliarden | |
Dollar an. Als Schuldiger galt der internationale Ölpreis. Der war zu | |
Beginn der Pandemie ins bodenlose abgestürzt und zwischenzeitlich auf unter | |
null Dollar gerutscht. Erdöl ist Ecuadors wichtigste Devisenquelle und der | |
von der Regierung prognostizierte Ölpreis die tragende Säule im | |
alljährlichen Haushaltsentwurf. | |
Für 2020 hatte die Regierung einen Ölpreis von 51,30 Dollar pro Fass | |
veranschlagt. Doch das Finanzministerium musste einräumen, dass nur 20 | |
Prozent der ursprünglich eingeplanten 2,6 Milliarden Dollar in die | |
Staatskasse fließen werden. | |
Dazu kam der Wirtschaftseinbruch. Das Bruttoinlandsprodukt schrumpfte um | |
9 Prozent. Stattdessen wuchs die Armut. Lebte 2019 bereits jede vierte | |
Person in Armut, war es Ende 2020 jede dritte, gab die | |
UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (Cepal) bekannt. | |
## Massive Kritik von Links und Rechts | |
Knapp die Hälfte der etwa acht Millionen erwerbsfähigen Personen muss sich | |
inzwischen im informellen Sektor verdingen. Wer einen Anstellungsvertrag | |
mit Sozialleistungen hat, verdient oft nicht mehr als den gesetzlichen | |
Mindestlohn von 400 Dollar im Monat. Die Angaben stammen von der | |
staatlichen Statistikbehörde INEC. Ihre aktuelle Arbeitslosenzahl von gut | |
500.000 ist jedoch kaum aussagekräftig. Jobverluste im informellen Sektor | |
werden statistisch nicht erfasst. | |
Dass die Regierung zur Finanzierung von Hilfsprogrammen nicht – [4][wie | |
etwa in Argentinien] – die Notenpresse rotieren lässt, liegt daran, dass | |
der US-Dollar die nationale Währung ist. Der wird nicht in Quito gedruckt. | |
Sinkende Einnahmen der Staatskasse müssen durch Einsparungen oder über | |
Kredite ausgeglichen werden. | |
Morenos Politik aus Sparen und Verschulden machte der politischen | |
Opposition das Kritisieren leicht. Von links wurde er als Neoliberaler | |
abgestempelt und von rechts als einer, der sich durch Schuldenmachen vor | |
einer gesunden Haushaltssanierung drückt. | |
Anfang 2019 hatte Moreno beim Internationalen Währungsfonds (IWF) um einen | |
Milliardenkredit nachgesucht. Als Gegenleistung versprach er | |
Haushaltskürzungen und verkündete Anfang Oktober ein weiteres | |
milliardenschweres Sparprogramm. Die angekündigte Streichung der | |
Treibstoffsubventionen brachte das Fass zum Überlaufen. | |
Schnell war ausgerechnet worden, dass vom Wegfall der Beihilfen für | |
Dieselkraftstoff die Ärmsten am heftigsten betroffen waren. Zwei Wochen | |
tobte der [5][Straßenkampf]. Moreno verhängte den [6][Ausnahmezustand], | |
schickte Militär und Polizei und flüchtete mit seiner Regierung | |
zwischenzeitlich von Quito nach Guayaquil. Es gab Tote und Verletzte. Erst | |
als er die Streichungen zurücknahm, flauten die Proteste ab. | |
Politischer Nutznießer ist vor allem Expräsident Rafael Correa. Seit seinem | |
Ausscheiden aus dem Amt zieht er von Belgien aus die Strippen, dem | |
Heimatland seiner Frau. In Ecuador würde er sofort verhaftet, nachdem er | |
letzten April in Abwesenheit wegen Korruption zu acht Jahren Gefängnis | |
verurteilt wurde. | |
Weil ihm zugleich das passive Wahlrecht aberkannt wurde, musste er sein | |
Vorhaben aufgeben, für die Vizepräsidentschaft zu kandidieren. Ob er mit | |
Andrés Arauz den Richtigen ins Rennen geschickt hat, wird sich am Sonntag | |
zeigen. | |
7 Feb 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Ecuadors-neuer-Praesident-Lenin-Moreno/!5393992 | |
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## AUTOREN | |
Jürgen Vogt | |
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