| # taz.de -- Kinderschutz in Deutschland: Kompromiss bei Kinderrechten | |
| > Union und SPD haben sich auf die Betonung der Kinderrechte im Grundgesetz | |
| > geeinigt. Die Zweidrittelmehrheit im Bundestag ist fraglich. | |
| Bild: Kind sein – das heißt auch mal Königin sein dürfen | |
| Sollen Schulen und Kitas wieder öffnen oder ist das für Kinder und | |
| Jugendliche viel zu gefährlich? Wenn es bald Kinderrechte im Grundgesetz | |
| gibt, würde die aktuelle Coronadiskussion wohl ganz anders verlaufen. Denn | |
| dann würden sich beide Seiten auch auf die Verfassung berufen. Die einen | |
| könnten sagen, dass das im Grundgesetz garantierte Kindeswohl für | |
| Präsenzunterricht spräche und die anderen könnten argumentieren, dass das | |
| Kindeswohl in Coronazeiten durch guten Digitalunterricht viel besser | |
| geschützt ist. In der Debatte hätten also beide Seiten neue Argumente – das | |
| Ergebnis aber bliebe dasselbe. | |
| Nach langer Diskussion haben sich SPD und CDU/CSU jetzt auf eine Ergänzung | |
| des Grundgesetzes geeinigt, die die Rechte von Kindern betont. In Artikel | |
| 6, der sich mit Ehe und Familie beschäftigt, sollen folgende vier Sätze | |
| angefügt werden: „Die verfassungsmäßigen Rechte der Kinder einschließlich | |
| ihres Rechts auf Entwicklung zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten sind | |
| zu achten und zu schützen. Das Wohl des Kindes ist angemessen zu | |
| berücksichtigen. Der verfassungsrechtliche Anspruch von Kindern auf | |
| rechtliches Gehör ist zu wahren. Die Erstverantwortung der Eltern bleibt | |
| unberührt.“ | |
| Mit diesen Formulierungen ist keinerlei Ausweitung der Rechte von Kindern | |
| verbunden. Denn die verfassungsrechtliche Position von Kindern war schon | |
| bisher gut. Alle Grundrechte – vom Recht auf Gesundheit bis zur freien | |
| Entfaltung der Persönlichkeit – gelten natürlich auch für Kinder. Das | |
| Kindeswohl wurde vom Bundesverfassungsgericht auch bisher als wichtige | |
| Verfassungsposition anerkannt. Thorsten Frei, der zuständige | |
| CDU/CSU-Fraktionsvize, betonte denn auch, die geplante Grundgesetzänderung | |
| mache die Kinderrechte „sichtbar“. | |
| Dass sich CDU/CSU und SPD einigen, kommt nicht völlig überraschend. | |
| Immerhin ist das Vorhaben im Koalitionsvertrag von Anfang 2018 | |
| festgeschrieben: „Wir werden Kinderrechte im Grundgesetz ausdrücklich | |
| verankern“, hieß es dort. Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe hatte dann drei | |
| Vorschläge erarbeitet, aus denen Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) | |
| schon Ende 2019 einen ersten Vorschlag bastelte. Die Union bremste aber und | |
| forderte bessere Sicherungen für die Rechte der Eltern. Im Herbst setzte | |
| dann der Koalitionsausschuss eine kleine Arbeitsgruppe ein, die jetzt den | |
| Kompromissvorschlag vorlegte. | |
| ## Massive Kritik kommt vom Aktionsbündnis Kinderrechte | |
| Zwei Änderungen gegenüber dem ersten Vorschlag von Lambrecht fallen ins | |
| Auge. Die Kinderrechte sind jetzt als Staatsziel ausgestaltet und nicht als | |
| einklagbare Grundrechte. Das ist aber zweitrangig, weil Kinder ja ohnehin | |
| alle einklagbaren Grundrechte nutzen können. Neu ist auch der Satz: „Die | |
| Erstverantwortung der Eltern bleibt unberührt.“ Doch auch dieser Satz ist | |
| eigentlich unnötig, da niemand die „Erstverantwortung“ der Eltern für ihre | |
| Kinder in Frage stellt. Ministerin Lambrecht begrüßte den Kompromiss | |
| dennoch. „Ich freue mich, dass sich jetzt auch die Unionsfraktion klar dazu | |
| bekennt, die Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern“, sagte sie. | |
| Doch es gab auch massive Kritik, etwa vom Aktionsbündnis Kinderrechte, in | |
| dem sich Verbände wie Unicef und das Kinderhilfswerk zusammengeschlossen | |
| haben. Der Koalitionsvorschlag bleibe hinter den Formulierungen der | |
| UN-Kinderrechtskonvention zurück. Dort müsse das Kindeswohl „vorrangig“ | |
| berücksichtigt werden, während die Koalition nur eine „angemessene“ | |
| Berücksichtigung des Kindeswohls vorschlägt. Für die Koalition mag die | |
| Kritik peinlich sein, sie zeigt aber auch, wie unnötig die | |
| Grundgesetzänderung ist. Denn die UN-Konvention bindet die deutsche | |
| Staatsgewalt auch dann, wenn das Grundgesetz dahinter zurückbleibt. | |
| Ob es am Ende tatsächlich zu einer Grundgesetzänderung kommt, ist noch | |
| völlig offen. Denn für eine Änderung der deutschen Verfassung ist eine | |
| Zweidrittelmehrheit im Bundestag und im Bundesrat erforderlich. Im | |
| Bundestag wären 473 Stimmen erforderlich, die Koalition hat aber gemeinsam | |
| nur 398 Sitze, es fehlen also 75 Stimmen. Diese könnten von der FDP (80 | |
| Sitze) kommen, wobei die FDP bisher zögerlich war. Alternativ könnten auch | |
| Linke (69) und Grüne (67) gemeinsam die nötige Mehrheit beschaffen. Im | |
| Bundesrat ist die Konstellation ähnlich. | |
| Allerdings haben Grüne und Linke bereits eigene engagiertere Gesetzentwürfe | |
| für Kinderrechte vorgelegt. Ekin Deligöz, grüne Sprecherin für Kinder- und | |
| Familienpolitik, fordert bereits Nachbesserungen. „Wir werden für faule | |
| Kompromisse nicht zur Verfügung stehen.“ Die Grünen wollen vor allem ein | |
| echtes Kinder-Beteiligungsrecht, etwa für den Bau von Skateboardbahnen und | |
| andere jugendrelevante Themen. Wenn sich die Koalition mit Grünen und | |
| Linken nicht einigen kann, wird es keine Grundgesetzänderung geben – | |
| worüber die CDU/CSU wohl auch nicht traurig wäre. | |
| 12 Jan 2021 | |
| ## AUTOREN | |
| Christian Rath | |
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