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# taz.de -- Kritik an Alexei Nawalny: Eine Projektionsfläche
> Wer ist Alexei Nawalny? Ein Blogger? Ein Politiker? In Deutschland wie in
> Russland ist man sich uneins. Ein Annäherungsversuch.
Bild: Mutig ist er: Alexei Nawalny am 17. Januar im Flugzeug auf dem Weg nach M…
Moskau taz | Fragt man Menschen auf der Straße, die sich [1][seit dem
vergangenen Samstag wieder trauen], für ihre Anliegen quer durch Russland
zu protestieren, wer denn Alexei Nawalny für sie sei, sagen sie, jung wie
alt, ruhig und entschlossen: „Ein normaler Kerl“ oder „Ein guter Mann“ …
auch „Ein klasse Typ“. Sie haben ihn nicht getroffen, haben kein Wort mit
ihm geredet, und doch wissen sie: „Nur mit ihm geht es voran in Russland.“
Im Staatsfernsehen poltert der Scharfmacher Dmitri Kisseljow,
Generaldirektor des Medienstaatsunternehmens „Rossija segodnja“, über
Nawalny als „Politiker vom Niveau einer Klobürste“ und beschuldigt ihn, ein
„politischer Pädophiler“ zu sein, weil dieser ja so viele Jugendliche in
die Politik ziehe. Der Kreml gibt ohnehin stets vor, Nawalny sei ein
„Niemand“, und widmet diesem „Niemand“ doch immer wieder etliche Zeit, …
umständlich darauf zu verweisen, alles, was Nawalny über die russische
Elite enthülle, sei falsch. Im Westen sehen viele in Nawalny den
Superdemokraten oder einen Rassisten. Wer ist der Mann, in dem nicht nur
ein Entweder-oder steckt, sondern ein Sowohl-als-auch?
Der Sohn eines Militärs – er war 15, als die Sowjetunion zugrunde ging –
ist vor allem ein Suchender. Seine politische Karriere begann Nawalny in
liberalen Kreisen bei der linksliberalen Partei „Jabloko“. Nachdem er sich
nationalistischen Ideen zugewandt hatte – weil diese im Land durchaus
allgegenwärtig sind –, schmiss ihn die Jabloko-Führung wieder raus. Vor
einem Jahrzehnt marschierte er bei den sogenannten Russischen Märschen mit,
bezeichnete Kaukasier als „Kakerlaken“, nannte Zentralasiaten „Kriminelle…
Bis heute hat er sich für solche Auftritte nicht entschuldigt. Von den
Positionen ist er allerdings längst abgerückt, sein Programm ist eher
konservativ geprägt. Die früheren rassistischen Äußerungen halten ihm vor
allem die moskautreuen linken Kreise immer wieder vor und scheinen dabei
auszublenden, wie sehr auch der Kreml mit rechtsradikalen Politikern
kooperiert.
Schon früh setzt Nawalny aufs Internet, macht [2][die grassierende
Korruption im Land] zu seinem Thema. Bis heute drehen sich seine
Enthüllungen, ein gut gemachtes Stück Infotainment, um die sich
bereichernde Elite des Landes. Er legt Korruptionsschemata vor, anhand
deren das Regime Reichtümer anhäuft, lässt sie mit schnellen Schnitten und
bunten Grafiken untermalen, trifft damit den ironischen Ton in den sozialen
Medien.
## Alternativloses System
Er ist längst sein eigenes Leitmedium, Journalist*innen hält er oft für
überflüssig und zeigt ihnen gern seine Verachtung. Lieber sucht er die
direkte Ansprache. Auch als Politiker. In einem Land, in dem Minister,
Senatoren oder Bürgermeister darauf beharren, keine politische Tätigkeit
auszuüben, macht Nawalny genau das: Politik, auch wenn er nach zwei
Vorstrafen in politisch motivierten Verfahren von allen politischen Ämtern
ausgeschlossen ist.
Er sucht die Nähe zu den Menschen, mit sehr begrenzten Mitteln auch aus der
Haft heraus. In einem System, das keine Alternative vorsieht, will er genau
diese Alternative sein. Unfreiwillig macht ihn der Kreml selbst zu solch
einer Alternative, mag er Nawalny noch so stark verleugnen.
Die Bewunderung der Menschen für Nawalnys Mut, nach [3][dem überlebten
Giftanschlag] auf ihn in das Land des Mordanschlags, wie er sagt,
[4][zurückgekehrt zu sein], in sein Land, bringt ihm auch Sympathien von
denen ein, die mit dem sperrigen Menschen Nawalny bislang wenig anfangen
konnten. Der Oppositionspolitiker hat sich für seine Überzeugung
entschieden, allen Gefahren zum Trotz Politik in Russland zu machen. Das
imponiert vielen im Land – und auch außerhalb dieses Landes –, mögen sie
ihn auch für rechthaberisch, arrogant, polemisch halten.
Selbst aus seiner Einzelzelle in der Moskauer „Matrosenstille“ heraus
arbeitet er weiter am Kontrollverlust der „Macht“. Ein Albtraum für die
Präsidialverwaltung, die aus der Vergangenheit eigentlich wissen müsste: Je
öfter Nawalny in Arrestzellen verbrachte, desto größer wurde seine
Popularität. Eine Popularität, die freilich auf Populismus basiert. Nawalny
nimmt oft Ansichten an, die ihm die meiste Unterstützung garantieren.
Deshalb finden viele in ihm das, was sie für sich selbst suchen.
26 Jan 2021
## LINKS
[1] /Korruptionsvideo-ueber-Wladimir-Putin/!5742047
[2] /Korruptionsvideo-ueber-Wladimir-Putin/!5742047
[3] /Nach-Vergiftung/!5718870
[4] /Nawalny-will-nach-Russland-zurueck/!5744397
## AUTOREN
Inna Hartwich
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