| # taz.de -- Proteste für Nawalny in Russland: Katz und Maus mit dem Kreml | |
| > Landesweit sind die Anhänger*innen Alexej Nawalnys in Russland auf | |
| > die Straße gegangen. Die Polizei reagiert sehr nervös – mit über 5.000 | |
| > Festnahmen. | |
| Bild: Willkürliche Festnahmen von Nawalny-Anhänger*innen im ganzen Land | |
| Moskau taz | Das Team um den inhaftierten Kreml-Kritiker [1][Alexei | |
| Nawalny] hatte sich einen symbolträchtigen Ort ausgewählt: Die Moskauer | |
| sollten direkt zur Geheimdienstzentrale FSB an der Lubjanka kommen, nicht | |
| weit vom Kreml – und genau hier die Freilassung ihres Idols fordern, das | |
| seit seiner Rückkehr nach Moskau in Haft ist. | |
| Es sollte ein Test sein: Wir, die Angstlosen, gegen euch, die Ängstlichen. | |
| „Die Ängstlichen“ aber, wie die Regimekritiker*innen die Machthaber | |
| bezeichnen, reagierten prompt. Noch am Abend vor der [2][Protestaktion] | |
| hatten sie die zentralen Straßen mit Metallgittern absperren lassen, hatten | |
| auf allen Kanälen mitgeteilt, das Zentrum sei zu, für Fußgänger*innen, für | |
| Autofahrer*innen, für Cafébesucher*innen. | |
| Und so fängt an diesem Moskauer Sonntagmittag ein kräftemessendes und | |
| kräftezehrendes Katz-und-Maus-Spiel an: Die Lubjanka ist umstellt, mit | |
| Polizeiwagen, mit Linienbussen, mit Schneeräumfahrzeugen. Hunderte von | |
| Polizisten stehen in einigen Metern Abstand zueinander hinter den | |
| Metallzäunen. | |
| „Neuer Treffpunkt: Metro Sucharewskaja“, schreibt das Nawalny-Team auf dem | |
| Messengerdienst Telegram. Es sind 20 Minuten zu Fuß in Richtung Norden. 20 | |
| Minuten, die auch der Polizei reichen, um sich neu zu formieren. An der | |
| Sucharewskaja stehen mehrere Trupps aus jeweils fünf Polizisten vor den | |
| Gefangenentransportern, schauen suchend in die Menge der Umherstehenden, | |
| laufen los und führen kurz später jemanden in den Transporter. | |
| ## Kaum ist ein Platz umstellt, zieht der Protest weiter | |
| Eine bizarre Atmosphäre herrscht im Moskauer Zentrum. Kaum ist die eine | |
| Metrostation geschlossen, kaum ein Platz von der Polizei umstellt, ziehen | |
| die Protestierenden zum nächsten größeren Platz. Ist auch dieser umstellt, | |
| geht es zum nächsten, bis hin zur „Matrosenstille“, dem | |
| Untersuchungsgefängnis, in dem Nawalny einsitzt. Die Polizeiwagen mit | |
| Sirenen hinterher. | |
| „Ich habe nichts gemacht, ich stand hier nur mit meiner Freundin herum“, | |
| versucht sich ein Mann an der Metro Sucharewskaja zu erklären. Die Frau | |
| neben ihm bettelt: „Ich lasse ihn nicht gehen, nirgendwohin.“ Die | |
| Polizisten in Vollmontur zerren auch sie in den Transporter. Ein Polizist | |
| schreit: „Wir müssen den Platz hier säubern.“ | |
| Georgi Paramsin geht zwei Schritte nach hinten. „Ich habe Angst, dass die | |
| mich auch festnehmen. Überhaupt habe ich Angst davor, geschlagen und | |
| getreten zu werden und im Gefängnis zu landen. Aber was bleibt uns denn | |
| noch, außer auf die Straße zu gehen, außer immer wiederzukommen und zu | |
| zeigen: Hallo, ihr da im Kreml, uns gibt es wirklich, wir sind nicht so | |
| glücklich mit der Herrschaft, die ihr euch da aufgebaut habt?“ Der | |
| 25-jährige Designer nimmt immer wieder an [3][Straßenprotesten] teil. | |
| Genauso wie das Ehepaar Birjukow, das nicht weit vor der Kolonne der | |
| Nationalgarde am Moskauer Gartenring steht. „In den 90ern gingen wir schon | |
| raus. Da dachten wir, unser Land wird ein besseres, freieres. Die Kinder | |
| waren da gerade auf die Welt gekommen. Nun sind sie 30, und wo leben sie? | |
| In einem Polizeistaat. Wir brauchen ein politisches System, in dem | |
| Machtwechsel möglich sind, darum gehen wir hier,spazieren'“, sagt die | |
| 57-jährige Schanna Birjukowa, ihr Mann Andrei nickt. | |
| ## „Sanitär-epidemiologischer Regelverstoß“ | |
| Doch „Spazierengehen“ ist nicht erlaubt in Moskau, wie auch in anderen | |
| Städten quer durchs Land nicht. In Sankt Petersburg schlagen Polizisten in | |
| Vollmontur im Takt auf ihre Metallschilder, ein dröhnender Tanz an | |
| Machtdemonstration. Die Protestierenden antworten mit Klatschen im selben | |
| Takt. | |
| In Wladiwostok fassen sich Protestierende zu einem Reigen auf dem Eis der | |
| Amurbucht an den Händen. Schon am Nachmittag sind russlandweit mehr als | |
| 5.000 Menschen festgenommen, meldet das unabhängige Portal OWD-Info, allein | |
| in Moskau sind es mindestens 900. | |
| Der Staat wertet bereits den reinen Aufenthalt auf der Straße als „illegal“ | |
| und spricht von „Massenunruhen“. Etliche Verfahren laufen: gegen | |
| Organisator*innen der Proteste quer durchs Land genauso wie gegen | |
| deren Teilnehmer*innen. Das kurioseste: der „sanitär-epidemiologische | |
| Regelverstoß“. Der Straftatbestand war im Frühjahr 2020 unter dem Eindruck | |
| der Coronapandemie verschärft worden und sollte die Disziplin bei | |
| Quarantänemaßnahmen erhöhen. Der Verstoß dürfte zu einem politischen | |
| Großprozess werden. | |
| Nawalnys wichtigste Mitarbeiter*innen und auch sein Bruder Oleg | |
| sitzen deswegen in Haft oder Hausarrest. Journalist*innen werden | |
| eingeschüchtert, indem sie auf offener Straße festgenommen werden, wie der | |
| Chefredakteur Sergei Smirnow vom unabhängigen Medienprojekt Mediazona. | |
| Student*innen fliegen von der Universität, weil sie sich „illegal an | |
| politischen Aktionen“ beteiligten, wie ein Rektor aus Astrachan mitteilte. | |
| In manchen Schulen müssen Eltern an die Direktor*innen Bericht | |
| erstatten, womit sich ihre Kinder am Wochenende beschäftigen. Dennoch | |
| weichen die Russ*innen nicht. Sie laufen durch die Straßen, sie | |
| schreien: „Freiheit für Nawalny“, sie stellen sich der Spezialpolizei Omon | |
| in den Weg. Sie sind oft hilflos, aber nicht machtlos. | |
| 31 Jan 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Inna Hartwich | |
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