# taz.de -- Aufarbeitung von Attentat im Kongo: Geheimakte Kabila | |
> Vor zwanzig Jahren wurde Kongos Präsident Laurent-Désiré Kabila | |
> erschossen. Jetzt wurde der Hauptverurteilte begnadigt. Es wird Zeit für | |
> die Wahrheit. | |
Bild: Kongos Präsident Tshisekedi (l.) und sein Vorgänger Joseph Kabila (r.) … | |
Eddy Kapend war sichtlich überwältigt, als er am 8. Januar das | |
Zentralgefängnis der kongolesischen Hauptstadt Kinshasa verließ, genau 18 | |
Jahre und 1 Tag nach seiner Verurteilung zum Tode. Der kleine schmächtige | |
Mann nahm feierlich gerührt seine Begnadigung entgegen. [1][Im Autokonvoi | |
nach Hause] zeigte er, was in ihm steckt: Durchs offene Dach winkte er der | |
Menschenmenge zu, mit dem Herrschersymbol eines Stockes in der erhobenen | |
Hand grüßte er vor dem Familiengrundstück. Seitdem schaut das Land gebannt | |
auf diesen ehemaligen Oberst. Wenn er sein Schweigen bricht, kann er die | |
Demokratische Republik Kongo in den Grundfesten erschüttern. | |
Eddy Kapends Viertelstunde Berühmtheit datiert vom 16. Januar 2001, als er | |
im Staatsfernsehen über das am selben Tag erfolgte [2][Attentat auf | |
Staatspräsident] Laurent-Désiré Kabila informierte und Bevölkerung und | |
Streitkräfte zur Ruhe aufrief. Kongo stand unter Schock und rätselte: Ist | |
Kabila tot? Ist das ein Putsch? Wer ist dieser unscheinbare Offizier? | |
Die offizielle Version: Laurent-Désiré Kabila saß mittags am 16. Januar | |
2001 in seinem Amtssitz im Gespräch mit einem Berater, als ein junger | |
Leibwächter hereinkam, sich zum Präsidenten beugte, als wolle er ihm etwas | |
ins Ohr flüstern, und ihn dann aus nächster Nähe in den Kopf schoss. | |
Kabilas Aide-de-Camp Eddy Kapend rannte in den Raum und streckte den | |
Attentäter mit der eigenen Waffe nieder. Kabila wurde schwer verletzt oder | |
auch schon tot weggebracht und nach Simbabwe ausgeflogen, während Kapend | |
erste öffentliche Maßnahmen zur Beruhigung ergriff. | |
Noch in der Nacht einigten sich die hohen Militärs auf den Sohn des | |
Präsidenten als Nachfolger: Joseph Kabila. Der wurde eingeflogen – aus | |
Lubumbashi in Kongos Südregion Katanga, sagte er selbst; aus Simbabwe, | |
behaupteten andere – und wurde am 26. Januar 2001 Präsident. | |
Es war damals der Höhepunkt der Kongokriege, die halb Afrika zerrissen. | |
Kabila hatte 1997 als Rebellenchef die finstere Mobutu-Diktatur gestürzt. | |
Aber seine Armee brach mit ihm, Krieg brach aus, von Sudan bis Namibia | |
griffen afrikanische Staaten auf beiden Seiten ein, das Land zerfiel. | |
Ende 2000 errangen die Kabila-Gegner wichtige Siege. Joseph Kabila, Sohn | |
des Präsidenten und Armeechef, musste nach einer schweren Niederlage nach | |
Simbabwe fliehen. Das Regime stand mit dem Rücken zur Wand. In den Villen | |
am Seeufer der Rebellenhauptstadt Goma schilderte man damals mit | |
leuchtenden Augen [3][den bevorstehenden Sieg]. Im Januar werde etwas | |
Entscheidendes passieren, war auch anderweitig in der Region zu hören. Alle | |
rüsteten sich für bewegte Zeiten. | |
Was dann kam, machte alle sprachlos: Der Mord an Laurent-Désiré Kabila. Es | |
war kein Kopfschuss im Affekt, so viel war klar. Er entsprach einem Plan. | |
Aber welchem? Und wurde der Plan ausgeführt oder durchkreuzt? [4][Das | |
bleibt offen], bis heute. Als neuer Präsident führte Joseph Kabila Kongo | |
zum Frieden, aber über den Tod des Vaters breitete er den Mantel des | |
Schweigens. Kongos Friedensordnung beruht auf einem ungeklärten | |
Kapitalverbrechen mit Anklängen eines Vatermordes. 135 Angeklagte landeten | |
vor einem Militärgericht, im Januar 2003 wurde Eddy Kapend wegen | |
Putschversuchs zum Tode verurteilt. Aber das Mordkomplott wurde nicht | |
aufgeklärt. Nicht einmal der Todeszeitpunkt ist gesichert. | |
Joseph Kabila regierte als Präsident genau 18 Jahre minus drei Tage. Am 23. | |
Januar 2019 übergab er das Amt einem anderen Sohn eines illustren Toten: | |
Felix Tshisekedi, Sohn von [5][Etienne Tshisekedi], historischer Vorkämpfer | |
der kongolesischen Demokratiebewegung. Bei Kongos Wahlen 2011 hatte Joseph | |
Kabila durch Fälschung Etienne Tshisekedi um den Wahlsieg betrogen – 2018 | |
betrog Kabila erneut und schenkte einen weiteren gefälschten Wahlsieg | |
Tshisekedis Sohn. Kabila wollte einen gefügigen Statthalter als Nachfolger. | |
Doch für Tshisekedi ist es eine späte Revanche für seinen Vater und er | |
genießt die Rache langsam, [6][er höhlt das Kabila-Gewaltsystem von innen | |
aus, jedes Jahr ein wenig mehr]. | |
Jetzt also Gnade für Eddy Kapend – und damit wird es persönlich. Aus der | |
Haft heraus hatte Eddy Kapend schon bei einer Gedenkmesse vor drei Jahren | |
klare Worte gewählt: „Alle Mörder Kabilas, alle Auftraggeber und alle, die | |
ihn im Stich gelassen haben, sind in Freiheit. Im Gefängnis sitzen nur die | |
Unschuldigen. Die Mörder sind draußen und sie wissen, dass wir wissen, dass | |
sie draußen sind.“ | |
Indem er sich zum Beschützer des toten Kabila erklärt, macht Kapend sich | |
unantastbar. Er kann auf einflussreiche Freunde zählen, Kameraden aus | |
seiner Zeit als katangischer Exilant in Angola. Die „Katanga-Tiger“, Reste | |
der Armee des kurzlebigen unabhängigen Katanga nach Kongos Unabhängigkeit | |
1960, halfen 1997 Vater Kabila, Mobutu zu stürzen, und sie blieben ihm treu | |
– nicht aber seinem Sohn, dem sie nicht trauten. Bis heute sorgt dies für | |
Zerwürfnisse. | |
Eddy Kapend hat sich inzwischen wieder zu Wort gemeldet, am 23. Januar, mit | |
einem [7][Dankesvideo] an den Mwant Yav, den traditionellen König seiner | |
Lunda-Volksgruppe – historisch eine Säule des Katanga-Separatismus. „Ich | |
bin euer Sohn, den die Bösen in den Tod geschickt haben“, hob er an und | |
stellte klar: „Ich habe Kabila nichts getan, ich habe ihn nicht getötet (…) | |
Aber diejenigen, denen ich Gutes getan habe, die ich an die Macht gebracht | |
habe, wendeten sich gegen mich, sie steckten mich ins Gefängnis, um mich zu | |
töten.“ | |
Deutlicher kann man Joseph Kabila nicht den Krieg erklären, ohne den Namen | |
auszusprechen. Die Aufarbeitung des 16. Januar 2001 ist nun dringender denn | |
je – im Rahmen einer Gesamtaufarbeitung der Kongokriege insgesamt, die noch | |
aussteht. Wer könnte dies einleiten, wenn nicht Felix Tshisekedi selbst, | |
Kongos erster ziviler Präsident seit über einem halben Jahrhundert? In Eddy | |
Kapend hätte er seinen ersten Kronzeugen. | |
25 Jan 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.youtube.com/watch?v=_zeE4fisG6c | |
[2] /!1191562/ | |
[3] /!1197264/ | |
[4] https://ifex.org/fr/rapport-de-jed-sur-lassassinat-de-kabila-a-loccasion-de… | |
[5] /Jonas-Savimbi-und-Etienne-Tshisekedi/!5596558 | |
[6] /Kolumne-Afrobeat/!5578452 | |
[7] https://www.youtube.com/watch?v=ADjSwKK3Nis | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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