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# taz.de -- Präsidentschaftswahl in Kirgistan: So sehen Gewinner aus
> Sadyr Japarow, der im Zuge der Proteste an die Macht kam, hat beste
> Chancen am Sonntag zu gewinnen. Auch über seine Verfassungsreform wird
> abgestimmt.
Bild: Anhänger*innen des Premierministers Sadyr Japarow feiern ihn als Präsid…
Berlin taz | Für Sadyr Japarow könnte es politisch sein bislang größter
Triumpf werden. Am kommenden Sonntag findet in der zentralasiatischen
Republik Kirgistan mit rund sechs Millionen Einwohner*innen eine
vorgezogene Präsidentschaftswahl statt. 17 Bewerber*innen – darunter
immerhin ein Frau – treten an, aber Japarow wird bereits jetzt als sicherer
Sieger gehandelt.
Entsprechend groß ist sein Selbstbewusstsein. TV-Duellen mit anderen
Kandidat*innen blieb er fern mit der Begründung, diese seien verleumderisch
und nichts als dummes Geschwätz. Er ziehe es vor, sich mit den Wähler*innen
direkt zu treffen.
Viel Positives dürfte er bei seinen Gesprächen nicht zu hören bekommen
haben. Das an Ressourcen arme Kirgistan ist eine der ärmsten
Ex-Sowjetrepubliken. Der monatliche Durchschnittslohn liegt bei umgerechnet
unter 200 Euro. Rund ein Viertel des Bruttoinlandsproduktes speist sich aus
Überweisungen, die Arbeitsmigranten aus dem Ausland nach Hause schicken.
Die Coronapandemie verschärft für viele ihre ohnehin schon schwierige
wirtschaftliche Lage. Korruption und Vetternwirtschaft sind endemisch. Bei
Transparency International belegt das Land auf dem
Korruptionswahrnehmungsindex den 126. von 180 Plätzen.
## Jurist und Abgeordneter
Der 52-jährige Japarow hat einen Abschluss der kirgisch-slawischen
Universität in Bischkek im Fach Jura und saß bereits mehrmals als
Abgeordneter im Parlament. In der Vergangenheit gerierte er sich gerne als
Anti-Korruptionskämpfer. Bis vor kurzem war Japarow in seinem Land nicht
allzu bekannt. Das änderte sich jedoch schlagartig im vergangenen Herbst.
Am 4. Oktober wählten die Kirgis*innen ein neues Parlament. Von 16 Parteien
schafften nur vier den Sprung über die Sieben-Prozenthürde – allesamt
regierungsnah. Bereits am Wahltag waren in den sozialen Medien Videos über
den Kauf von Wähler*innenstimmen zirkuliert. Sofort nach der Bekanntgabe
der Ergebnisse gingen in der Hauptstadt Bischkek Tausende auf die Straße,
stürmten das Parlament und forderten Neuwahlen.
Unter dem Druck der Demonstrationen wurde die Wahl annulliert, die
Regierung und [1][Präsident Sooronbai Jennbekow traten zurück] – nach 2005
und 2010 innerhalb von 15 Jahren der dritte Sturz eines kirgisischen
Staatschefs, den die Bevölkerung erzwungen hatte.
Bereits am 6. Oktober war Sadyr Japarow im Zuge der Proteste aus dem
Gefängnis, wo er mehrjährige Haftstrafe wegen Geiselnahme verbüßte, befreit
worden. Kurz zuvor war er mit dem Votum einer Rumpfbesetzung des Parlaments
zum Regierungschef gewählt worden und übernahm nach Jennbekows Rücktritt
interimsmäßig auch noch den Posten des Präsidenten. Mittlerweile hat er
beide Ämter niedergelegt – eine Voraussetzung, um bei der Präsidentenwahl
antreten zu können. Dennoch ist seine Kandidatur juristisch umstritten.
## Pflöcke eingeschlagen
Doch Japarow hat bereits Pflöcke eingeschlagen: So hievte er mit Talant
Mamytow und Kamchybek Tschijew zwei „gute alte Bekannte“ auf die Posten des
kommissarischen Staatschefs sowie des Chefs des staatlichen Komitees für
nationale Sicherheit (GKNB), des früheren KGB. Eine Wiederholung der
annullierten Parlamentswahl, die laut Gesetz eigentlich im Dezember hätte
stattfinden sollen, verschob er auf Juni dieses Jahres.
Und er brachte [2][eine Verfassungsreform] auf den Weg. Die über 60
Änderungen, deren Urheberschaft nach wie vor unklar ist, sehen die
Wiedereinführung eines präsidentiellen Regierungssystems vor. So sollen die
Anzahl der Abgeordneten und die Kompetenzen der Volkskammer reduziert, die
Vollmachten des Präsidenten hingegen erweitert werden. Überdies ist die
Schaffung eines neuen, beim Präsidenten angesiedelten, Organs der Exekutive
(Kongress) vorgesehen, dem das Parlament und die Regierung gegenüber
rechenschaftspflichtig sind.
Über diese Änderungen soll die Bevölkerung am kommenden Sonntag in einem
Referendum und damit zeitgleich zu der Präsidentschaftswahl abstimmen.
Jüngsten Umfragen, die die Plattform Central Asia Barometer im Dezember
2020 durchführte, wollen 64 Prozent der Befragten am kommenden Sonntag für
Japarow stimmen. 80 Prozent unterstützen die Rückkehr Kirgistans zu einem
Präsidialsystem.
## Erdrückende Präsenz
Die Popularität des Kandidaten kommt nicht von ungefähr. Denn die Präsenz
Japarows im öffentlichen Raum ist erdrückend. Seine Plakate hängen in allen
größeren Straßen. Auch Fernsehzuschauer*innen kommen an Japarow nicht
vorbei. Am 31. Dezember beglückte er seine Landsleute mit einer
Neujahrsansprache, die der nicht-staatliche Fernsehsender OTRK ausstrahlte.
Der Auftritt war unschwer als Wahlkampf zu erkennen, denn Japapow bekleidet
derzeit kein öffentliches Amt. Auch die sozialen Medien werden mit Japarow
regelrecht geflutet.
In seine Kampagnen investierte er rund 60 Millionen Som (umgerechnet knapp
600.000 Euro) – eine Summe, die um ein Vielfaches über dem Budget seiner
Mitstreiter*innen liegt. Beobachter sehen dahinter den Einsatz von
„administrativen Ressourcen“ – in Ländern des postsowjetischen Raumes ei…
vornehme Umschreibung für die Nutzung von finanziellen Mitteln und anderen
Möglichkeiten durch Vertreter der Exekutive zu eigenen Zwecken.
Angesichts der offensichtlich großzügigen finanziellen Ausstattung Japarows
registrierten Kritiker*innen mit Verwunderung einige „Unregelmäßigkeiten“
bei dessen Wahlkampagne. So berichtete die Nichtregierungsorganisation
Jalpy Isch (zu deutsch Gemeinsames Anliegen) davon, dass in der
südkirgisischen Stadt Osch junge Männer von Haus zu Haus gezogen seien und
Anwohner*innen unter Androhung von Gewalt aufgefordert hätten, Japarow zu
wählen. Am 4. Januar kündigte die Zentrale Wahlkommission an, sich mit den
Anwürfen befassen zu wollen.
Doch auch die Volksabstimmung selbst bereitet so manchem Kopfzerbrechen.
Die Venedig-Kommission des Europarates, die vom kirgisischen
Verfassungsgericht angerufen worden war, kam zu dem Schluss, dass die
Prozedur nicht auf demokratischen Prinzipien fuße und daher anfechtbar sei.
## Keine öffentliche Debatte
Das bemängelt auch der kirgisische Politologe Taalatbek Masadykow. Es hätte
eine breite öffentliche Debatte über den Volksentscheid geben müssen, das
sei jedoch nicht der Fall gewesen, zitiert ihn die Deutsche Welle. „Warum
soll das Volk die Verfassung ändern? Nur aus einem Grund: Wegen einer
einzigen Person: Sadyr Japarow“, schreibt das Onlineportal kloop.kg.
Doch am kommenden Sonntag geht es noch um weitaus mehr, als nur um die
Person Sadyr Japarow. Schon werden Befürchtungen laut, Japarow könnte sich
von dem Kurs einer Demokratisierung, den Kirgistan im Gegensatz zu den
anderen Staaten in Zentralasien eingeschlagen hat, abwenden. Stattdessen
könnte er dank erweiterter Vollmachten als Präsident durchregieren.
Unrealistisch ist das nicht.
9 Jan 2021
## LINKS
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## AUTOREN
Barbara Oertel
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