# taz.de -- Energiewende und Erdgas: Klimafrage bei Nord Stream 2 | |
> Manche Politiker:innen sagen, die Pipeline sei nötig, um den Übergang zur | |
> erneuerbaren Energieversorgung zu meistern. Doch der Nutzen ist fraglich. | |
Bild: Schlepper ziehen das russische Rohrverlegeschiff „Fortuna“ aus dem Ha… | |
BERLIN taz | Fossiles Erdgas ist eine Übergangslösung, um die Energiewende | |
zu schaffen und schließlich die Klimaneutralität zu erreichen. So lautet | |
ein Argument für den Bau der umstrittenen Pipeline Nord Stream 2 zwischen | |
Russland und Deutschland. | |
Mecklenburg-Vorpommerns Landeschefin Manuela Schwesig (SPD) hat es kürzlich | |
wieder bemüht: Weil Deutschland aus Atomenergie und Kohlekraft aussteige, | |
„brauchen wir neben dem Ausbau der erneuerbaren Energien auch Gas als | |
Übergangstechnologie“. Stimmt das Argument für die Pipeline denn überhaupt? | |
Ob der augenblicklich unterbrochene Bau der beiden Rohrleitungen bald | |
weitergeht, ist unklar. Erst am Freitag hatte das Bundesamt für | |
Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) grünes Licht für einen Weiterbau in | |
deutschen Gewässern gegeben. | |
Eventuell testet die vom russischen Konzern Gazprom kontrollierte | |
Betreibergesellschaft die Handlungsfähigkeit der neuen US-Regierung und | |
verlegt zusätzliche Rohre. Oder sie wartet ab, um Verhandlungen über die | |
angedrohten Sanktionen der USA Raum zu geben. Dadurch ausgelöst kocht jetzt | |
wieder die Debatte über den grundsätzlichen Sinn oder Unsinn der Pipeline | |
hoch. | |
## Nutzen für die Energieversorgung ist fraglich | |
Die Europäische Union und Deutschland könnten ihren Bedarf an Erdgas immer | |
decken, heißt es in einem kürzlich veröffentlichten [1][Gutachten des | |
Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung] (DIW) in Berlin im Auftrag | |
des Naturschutzbundes. Die zusätzliche Pipeline brauche man dafür nicht, | |
schreiben die DIW-Expertinnen Franziska Holz und Claudia Kemfert. | |
Schon jetzt seien genug unterschiedliche Quellen vorhanden, etwa die | |
Lieferungen aus den Niederlanden, Großbritannien, Norwegen, Nordafrika, die | |
drei bestehenden Erdgasleitungen von Russland nach Zentraleuropa und | |
potenziell das Flüssiggas aus den USA. Ökonom Thilo Schaefer vom Institut | |
der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln teilt diese Einschätzung: „Für die | |
Versorgungssicherheit ist Nord Stream 2 nicht nötig.“ | |
Die Gegenposition nimmt Manuel Frondel vom Wirtschaftsforschungsinstitut | |
RWI in Essen ein: „Die Lieferungen aus den Niederlanden und Großbritannien | |
werden zurückgehen.“ Norwegen könne das nicht ausgleichen. Grundsätzlich | |
stünden zwar Alternativen zur Verfügung, etwa Frackinggas aus den USA, so | |
Frondel. „Im Vergleich dazu dürften Importe aus Russland aber günstiger | |
bleiben. Das rechtfertigt Nord Stream 2.“ | |
Diese Annahme jedoch relativiert IW-Forscher Schaefer: „Gas aus Russland | |
ist nicht grundsätzlich günstiger als aus anderen Quellen.“ Ein größeres | |
Angebot infolge von Nord Stream 2 könne aber die Preise insgesamt | |
stabilisieren oder drücken. | |
Und wie sieht es mit der Rolle von Erdgas für die Energiewende aus? Holz | |
und Kemfert vom DIW erklären, dass im Zuge des Abschieds von den fossilen | |
Energien bis 2050 logischerweise auch der Verbrauch von Erdgas gen null | |
sinke. Mehr und mehr werde Elektrizität aus regenerativen Quellen und mit | |
deren Hilfe produzierter „grüner“ Wasserstoff den Bedarf decken. | |
„Trotz der Dekarbonisierung der europäischen und deutschen | |
Energieversorgung muss Erdgas vorübergehend einen höheren Beitrag leisten | |
als heute“, betont dagegen Manuel Frondel. „Wenn die Atomkraftwerke in zwei | |
Jahren und die Kohlekraftwerke bis 2038 abgeschaltet werden, brauchen wir | |
mehr Erdgas, nicht weniger.“ | |
Um das zu untermauern, verweist Frondel auf eine Greenpeace-Studie von 2017 | |
zum Kohleausstieg, die eine größere Menge zusätzlicher Gaskraftwerke zur | |
Stromerzeugung prognostiziert. | |
Dazu sagt IW-Ökonom Schaefer: „Vielleicht nimmt der Verbrauch von Gas | |
relativ betrachtet vorübergehend zu, weil Atom und Kohle zurückgehen. Die | |
absolute Gasmenge wird in den nächsten 30 Jahren vermutlich aber nicht | |
steigen, sondern irgendwann deutlich sinken.“ | |
Beide Seiten können Untersuchungen zitieren, die ihre Position stützen. Ob | |
der Erdgasbedarf noch mal zunimmt oder nicht, hängt auch vom Tempo ab, mit | |
dem Wind- und Solarkraftwerke, Stromspeicher und Wasserstofffabriken | |
hinzugebaut werden. | |
## Gas womöglich so klimaschädlich wie Kohle | |
Als drittes Argument gegen Nord Stream 2 thematisiert das DIW die | |
Klima-Auswirkungen von Erdgas. Vor allem beim Fördern, aber auch beim | |
Transport des Rohstoffs [2][werde das Treibhausgas Methan frei], das das | |
Klima viel stärker schädigt als das Verbrennungsprodukt Kohlendioxid. Unter | |
Umständen liege „die Klimabilanz ungefähr bei der von Kohle“, so Holz und | |
Kemfert. | |
Das heißt: Erdgas wäre keine vermeintlich saubere Brückenenergie, sondern | |
die klimaschädliche Fortsetzung der Kohleverstromung unter anderem Namen. | |
Zwar gehen die wissenschaftlichen Folgenabschätzungen an diesem Punkt weit | |
auseinander – viel Forschung ist noch nötig, um den Klimaeffekt von Erdgas | |
genau zu bestimmen. Fest aber steht: Der Gegenwind für den Energieträger | |
und damit auch für die Pipeline Nord Stream 2 nimmt zu. | |
18 Jan 2021 | |
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[1] /Studie-zu-Nord-Stream-2/!5744291 | |
[2] /Methan-Emissionen-steigen-an/!5700764 | |
## AUTOREN | |
Hannes Koch | |
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