# taz.de -- Schulschließung aus Sicht einer Mutter: Im Kopierkrieg | |
> Homeschooling statt hingehen – klingt gut. Doch leider befindet sich die | |
> normale (Grund-)Schule noch im Zeitalter von Kreide, Tafel und Papier. | |
Bild: Nicht mehr zeitgemäß: Home-Old-Schooling mit Arbeitsblättern statt iPa… | |
Am ersten Tag nach den Weihnachtsferien scheitert das Homeschooling an der | |
Witterung. Die Kisten mit den DIN-A3-Umschlägen auf dem Schulhof sind | |
klamm. Um sie herum, dicht an dicht, Schüler.innen und Eltern, die das | |
passende Kuvert aus Hunderten heraussuchen. Während wir (eine Mutter, drei | |
Kinder) wenig später zu Hause die feuchten Arbeitsblätter föhnen, hören wir | |
in den Nachrichten, dass sich nun auch Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) | |
für eine weitere [1][Schließung von Schulen] ausspricht. | |
Und genau hier wird es für Millionen Eltern, aber auch für kinderlose | |
Arbeitnehmer.innen irre. Denn eins der wichtigsten Argumente für | |
Schulschließungen war doch schließlich, dass die Personenzahl im | |
öffentlichen Nahverkehr dezimiert und mögliche Menschenansammlungen wie an | |
Schulen vermieden werden sollten? | |
Wie schon in den vergangenen Monaten prescht die Politik hier vor und lässt | |
dabei völlig außer Acht, dass sich die normale deutsche (Grund-)Schule noch | |
im Zeitalter von Kreide, Tafel und Papier befindet. Von der großen | |
Digitalisierungsoffensive des Bildungssystem habe ich, und übrigens auch | |
der Vorsitzende des Kinderschutzbundes Heinz Hilgers, bislang nur aus den | |
Medien gehört. | |
Die Realität sieht so aus: Morgens, halb zehn in Deutschland. Statt die | |
Kinder morgens per Smartphone oder Laptop in den [2][digitalen Unterricht] | |
etwa per Zoom einzuladen, stehen Hunderttausende Oberstudienrät.innen | |
vormittags eher am Kopiergerät statt virtuell vor ihren Schüler.innen. | |
## Es hagelt Floskeln | |
Digitalunterricht hätte so auch in den Achtzigern, als ich zur Schule ging, | |
stattgefunden – per Telefon im Auge des Kopierkriegs. Dabei, so mahnen auch | |
die Lehrerverbände, ist Präsenzunterricht (am Laptop) sowohl zur Erfüllung | |
des Bildungsauftrages als auch unter psychosozialen Gesichtspunkten das | |
Beste für Kinder und Jugendliche. Offenbar geschenkt. | |
Die bearbeiteten Aufgabenblätter sollen übrigens an unserer Grundschule im | |
regelmäßigen Turnus ausgefüllt zurückgebracht werden. Das bedeutet wieder | |
eine nachmittägliche Fahrt mit dem ÖPNV. Wieder volle Busse zu einer Zeit, | |
in der Arbeitnehmer.innen systemrelevanter Berufe auf dem Heimweg sind. | |
Dass durch die fehlenden digitalen Fortschritte an Schulen ein | |
lebenswichtiger Effekt des Lockdowns verpufft – offenbar ebenfalls | |
geschenkt. | |
Am Ende scheitert damit jede politisch geplante Lockdown-Reißbrettstrategie | |
am Abgleich mit der Lebensrealität von Millionen deutschen Familien. Die | |
täglichen Auswirkungen sind dabei filmreif bis tragisch: Eltern, die | |
während ihres Zoom-Meetings die Kamera ausstellen müssen, weil sie eine | |
Matheaufgabe erklären, einen Streit schlichten, ein Kleinkind füttern oder | |
die Küchenrolle aus der Toilette fischen. | |
Eltern, die Kinder ganztags aus Verzweiflung vor den Fernseher setzen, weil | |
der Arbeitgeber kein Verständnis für [3][Homeschooling] hat. Und Kinder, | |
die tagsüber nicht homeschoolen, sondern auf ihre jüngeren Geschwister | |
aufpassen müssen, damit die Eltern arbeiten gehen können. Dazu hagelt es | |
Floskeln. „Es ist für alle leichter, jetzt eine Woche länger die Schulen | |
zuzuhaben, als sie aufzumachen und dann wieder vor Debatten zu stehen“, | |
sagt Jens Spahn. | |
Mit Verlaub, Herr Minister: Sie mich auch. | |
4 Jan 2021 | |
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## AUTOREN | |
Caroline Rosales | |
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