# taz.de -- Homeschooling wie vor der Pandemie: Von wegen Digitalisierung | |
> Dass beim digitalen Unterricht immer noch wenig klappt, hat liegt am | |
> Versagen der Verwaltung – und an der Technikfeindlichkeit des | |
> Bildungsbürgertums. | |
Bild: Wer was ausprobiert, wird garantiert ausgebremst: Lehrerin allein im Netz | |
Hannover taz | Ein weiteres E-Mail-Postfach. Wenn mich jemand nach dem | |
Stand der Digitalisierung an Niedersachsens Schulen fragt, ist das die | |
Antwort, die ich aus eigener Anschauung dazu geben kann: Ich habe jetzt ein | |
weiteres E-Mail-Postfach. Auf der von der Schule bevorzugten | |
[1][Plattform], auf der sich immerhin auch das Kind selbstständig die | |
Arbeitsblätter herunterladen und ausdrucken kann – und manchmal sogar | |
Fragen stellt und Ergebnisse zurückschickt. | |
Soweit ich es beurteilen kann, ist das der einzige Fortschritt. Von den | |
iPads oder sonstigen Endgeräten, [2][von denen viel die Rede] war und auf | |
die sich die Kinder schon gefreut haben, ist hier bisher nichts angekommen. | |
Obwohl diese Pandemie schon einen altersschwachen Laptop und ein Tablet | |
endgültig in die Knie gezwungen hat. | |
Ich mag mich darüber aber auch kaum noch aufregen. Ich nehme an, dass uns | |
diese Endgeräte auch nichts nützen würden, weil nach wie vor ein großer | |
Teil der Lehrerschaft keine Vorstellung davon hat, wie man diese Dinger | |
sinnvoll nutzen könnte. | |
Es gibt zwei Dinge, an denen die Digitalisierung der Schulen gerade | |
scheitert: Das eine ist das seit Jahren zur Perfektion getriebene System | |
der organisierten Verantwortungslosigkeit, bei dem garantiert jedes Rädchen | |
neben das andere greift; und das andere ist das Personal. | |
## Lehrers Bauchschmerzen heißen Datenschutz | |
Nur ein kleines, absurdes Beispiel für die Idiotie des Systems: Zuständig | |
für die Anschaffung der Ausstattung sind in der Regel die Schulträger, also | |
die Kommunen. In anderen Organisationen würde das nun so laufen, dass man – | |
beim Einkauf neuer Geräte oder neuer Software – die entsprechenden | |
Schulungen für die Mitarbeiter gleich mit einkauft. Das geht hier aber | |
nicht, weil die Kommunen den Lehrern nichts zu sagen haben – die sind ja | |
schließlich Landesbedienstete und ihre Fortbildung ist ein Kapitel für | |
sich. | |
Außerdem haben sie bestimmt ein Datenschutzproblem. Das ist nämlich die | |
willkommene Ausrede für alle, die keine Lust haben, sich mit diesem | |
neumodischen technischen Schnickschnack auseinanderzusetzen. Der | |
Datenschutz ist für Lehrer, sonstige Beamte und auch manche Eltern das, was | |
für das Schulkind die diffusen morgendlichen Bauchschmerzen sind. Ohne sich | |
auch nur 30 Sekunden damit auseinandergesetzt zu haben, auf welche Daten | |
ein Programm überhaupt zugreift und welche Gefährdungen davon ausgehen: Uh, | |
nein, aua, geht gar nicht. | |
Dieses akute Bauchweh hängt vor allem damit zusammen, dass im deutschen | |
Bildungsbürgertum seit Jahrzehnten die Auffassung gepflegt wird, | |
Bildschirme seien böse. Und zwar vollkommen unabhängig davon, was man mit | |
diesen Bildschirmen so tut. Immer ist nur von den Gefahren die Rede | |
gewesen, der verheerenden vollrausch-artigen Wirkung auf das arme | |
Kindergehirn, der unweigerlichen Vernichtung von Kreativität, | |
Konzentrationsvermögen und motorischen Fähigkeiten. | |
Wie soll man sich denn da so plötzlich umstellen? Nein, nein, besser man | |
beschränkt die Benutzung auf ein Minimum und nutzt die Geräte allenfalls | |
dazu, Hausaufgaben zu verteilen und wieder einzusammeln. | |
Zumal, seien wir mal ehrlich, das mit dem Umstellen ja ohnehin so eine | |
Sache ist. Veränderungen haben die wenigsten Menschen gern. Und offenbar | |
zieht dieser Lehrerberuf noch einmal überdurchschnittlich viele Menschen | |
an, die es a) gern sicher und überschaubar haben und sich b) dann darüber | |
beklagen, dass Kinder irgendwie auch nicht mehr so sind wie noch vor zehn | |
Jahren. | |
Natürlich, nicht alle Lehrer, es gibt auch andere: Menschen, die | |
tatsächlich gern mit Kindern und Jugendlichen arbeiten und die über die | |
dazu nötige Offenheit, Neugier und geistige Beweglichkeit verfügen. Das | |
sind die, die sich auch mit Begeisterung auf neue Mittel und Wege stürzen – | |
und dann todsicher ausgebremst werden. | |
Das darf in diesem System nämlich auch nicht sein: dass da irgendeiner | |
einfach macht und ausprobiert. Da muss man erst die Förderrichtlinie | |
abwarten, einen Konferenzbeschluss herbeiführen, einen Beauftragten | |
ernennen, einen Arbeitskreis gründen und die nötigen Ausgleichsstunden in | |
den Stundenplan einspeisen. Das kann dann halt schon einmal drei bis vier | |
Pandemien lang dauern, bis so etwas wie digitaler Unterricht tatsächlich | |
möglich ist. | |
Den ganzen Schwerpunkt zum digitalen Unterricht lesen Sie in der taz am | |
Wochenende am Kiosk oder [3][hier] | |
18 Dec 2020 | |
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## AUTOREN | |
Nadine Conti | |
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