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# taz.de -- Schulsenator Rabe zum Lockdown: „Das sind keine Ferien“
> An den Schulen entfällt die Präsenzpflicht. Schulsenator Ties Rabe
> erklärt, warum Hamburg diesen Weg geht und Eltern über den Lernort
> entscheiden.
Bild: Hofft auf baldige Rückkehr zum Regelunterricht: Ties Rabe
Herr Rabe, Sie wollten die Schulen möglichst lange offen halten und lehnten
bisher frühere Weihnachtsferien ab. Warum hebt Hamburg ab Mittwoch die
Präsenzpflicht auf?
Ties Rabe: Einerseits haben sich die [1][Infektionszahlen] in den letzten
Tagen auch in Hamburg sehr stark erhöht. Andererseits ist es richtig, dass
Hamburg mit allen anderen Bundesländern gemeinsam handelt, und nicht aus
der Reihe tanzt. Und zum Dritten: Die Ferien werden nicht verlängert,
sondern es wird die sogenannte Schulpräsenzpflicht aufgehoben. Die Schüler
müssen zwar nicht zur Schule gehen, aber sehr wohl zu Hause lernen. Das
sind keine Ferien.
Sie lassen die Eltern festlegen, ob die Schüler bis 18. Dezember zu Hause
lernen oder in der Schule. Damit haben Eltern den schwarzen Peter. Warum
entscheiden Sie nicht für alle?
Wir orientieren uns hier an ähnlichen Verfahren wie in Niedersachsen. Diese
Entscheidung liegt bei den Eltern, denn deren Situationen sind ja sehr
unterschiedlich. Da macht es keinen Sinn, wenn ein Minister über alle Köpfe
hinweg bestimmt. Denn diese Entscheidung greift tief in das Leben der
Eltern ein, und deshalb haben sie auch das Recht, selbst zu entscheiden.
Und die Lehrer sollen die drei Tage vor den Ferien und auch vom 5. bis 8.
Januar Schüler sowohl zu Hause als auch in der Schule betreuen. Schaffen
die beides?
Gerade die Lehrerverbände haben monatelang diesen so genannten
Hybridunterricht gefordert, der ja vorsieht, dass ein Teil der Schüler in
der Schule und ein anderer Teil zu Hause lernt. Wenn die Verbände das
fordern, gehe ich davon aus, dass es leistbar ist. Zudem haben wir dieses
Modell schon einmal erprobt: Eltern konnten bereits im Frühjahr
entscheiden, ob die Kinder in der Notbetreuung der Schule oder zu Hause
lernen. Insofern ist das Modell nichts Neues. Der Unterschied besteht
lediglich darin, dass bei der Notbetreuung im Frühjahr die Kinder in der
Schule selten pädagogisch angeleitet wurden und deshalb häufig schlechter
lernen konnten als zu Hause. Das soll durch das neue Modell ausgeschlossen
werden.
Sind die Schulen ausreichend vorbereitet? Werden etwa Videoübertragungen
aus der Klasse erlaubt sein?
Sie sind gut vorbereitet. Es gibt gleich zwei Konzepte. Eines für den
reinen Fernunterricht und eines für den Wechselunterricht. Die wurden in
den Sommerferien erarbeitet und von den Schulen mitgestaltet. Zudem haben
alle Schulen ergänzend ein eigenes Konzept konkretisiert. Dieses Konzept
sieht auch Videokonferenzen vor, die selbstverständlich zulässig sind.
Etwas anderes ist die Frage der Datenübertragung aus dem Unterricht. Mich
wundert, mit welcher Vehemenz verlangt wird, der Schulsenator soll dafür
die technischen Voraussetzungen schaffen. Die sind überall gegeben. Nur
gibt es datenschutzrechtliche Hürden.
Was müsste passieren?
Es muss das Schulgesetz geändert werden. Wir betreten hier rechtliches
Neuland, weil es vergleichbare Regelungen noch nicht gibt. Zurzeit finden
zwischen der Schulbehörde und dem Hamburgischen Datenschutzbeauftragten
Abstimmungsgespräche statt. Gerade Montag war erneut ein Gespräch. Wir
gehen davon aus, dass wir im Januar zu einer Lösung kommen werden.
Wie Sie sagten, gab es die Forderung, [2][die Schulen sollten den
Wechselunterricht probieren] dürfen. Wäre es nicht schlauer gewesen, Sie
hätten das längst erlaubt?
Wir haben kürzlich 23 Schulen erlaubt, Wechselunterricht auszuprobieren,
wenn die Schulgemeinschaft von Eltern, Lehrkräften und Schülern das will.
Bereits in der ersten Stellungnahme protestiert eine Schulgemeinschaft
gegen dieses Wahlrecht, weil sie sich mit der Entscheidung überfordert
fühlt. Ich glaube, Protest gehört in Hamburg zum täglichen Handwerk dazu.
Trotzdem ist dieser Schritt richtig.
Es dürfen ja immerhin 23 der 120 weiterführenden Schulen je für sechs
Wochen Wechselunterricht machen. Warum nicht alle Schulen?
Weil hier einheitliche Maßstäbe wichtig sind. Die 16 Bundesländer haben mit
dem Bundeskanzleramt festgelegt: Der Präsenzunterricht soll – mit Ausnahme
der jetzigen Lockdown-Phase – in jedem Fall erhalten werden. Er wird nur
dann eingeschränkt, wenn es in einer Region eine hohe Infektionsgefahr
gibt. Das kann nicht jede Schule freihändig beschließen, sondern es ist an
eine bestimmte gesundheitliche Lage geknüpft. Denn die muss abgewogen
werden mit der Gefahr für die Bildung der Kinder, die zweifellos groß ist,
wenn kein Präsenzunterricht stattfindet.
Was passiert nach dem 10. Januar? Steht ein Wiedereinstieg in den
Regelbetrieb fest oder könnte es ein weiteres Homeschooling geben? Welche
Kriterien gelten?
Ich gehe davon aus, dass sich die Ministerpräsidenten der 16 Länder und die
Kanzlerin zeitnah treffen und beraten werden, ob der Lockdown verlängert
wird. Dann ist es klug, dass alle 16 Länder dem folgen.
Würde er verlängert, wären dann alle Schüler zu Hause mit einem digitalen
Gerät versorgt?
In Hamburg haben mehr Schüler die Möglichkeit, ein solches digitales
Endgerät von der Schule zu bekommen, als in allen anderen Bundesländern.
Aber auch hier funktioniert es nur, wenn in vielen Haushalten die Schüler
auch eigene Geräte oder die der Eltern nutzen. Der digitale Fernunterricht
wird übrigens nicht das Niveau eines Präsenzunterrichtes erreichen. Das
liegt in der Natur der Sache. Kein Computer kann eine Lehrkraft und eine
Klassengemeinschaft ersetzen.
Wir haben 4,5 Monate Regelbetrieb hinter uns. Seit den Herbstferien gab es
an Schulen 2.700 Infizierte. Waren Sie sich immer sicher, dass offene
Schulen richtig sind?
Ja. Ich bin mir sehr sicher, dass das für Hamburg richtig ist. Erstens: Wir
hatten in Hamburg im Verhältnis zu den meisten Bundesländern eine
vergleichsweise geringe Infektionsgefahr. Sogar Länder mit manchmal doppelt
so vielen Infektion hatten Präsenzunterricht. Der Weg ist auch deshalb
richtig, weil sich die Hamburger Schülerschaft von den Schülern anderer
Bundesländer unterscheidet. Das sieht man bereits an den hohen
Ganztags-Teilnahmequoten von 85 Prozent. In Hamburg sind viel mehr Schüler
auf ein gut funktionierendes Schulwesen von 8 bis 16 Uhr angewiesen. Hier
hätte ein Aussetzen des Präsenzunterrichts für viele Familien schwierigere
Folgen als in Ländern, wo die Schüler gerade im Grundschulbereich zwischen
12.30 Uhr und 13.30 Uhr nach Hause kommen.
Es gibt drastische Berichte von Sozialarbeitern, wie schlecht es einigen
Schülern in der Homeschool-Zeit ging. Haben Sie Sorge um die Schüler?
Ja. In der Bildungspolitik melden sich Familien, die es nicht leicht haben,
selten zu Wort. Der öffentliche Diskurs wird häufig von Eltern bestimmt,
die es leisten können, ihre Kinder zu Hause im Fernunterricht zu begleiten.
Aber die soziale Lage in der Stadt, die man als Politiker im Blick haben
muss, kommt dabei zu häufig unter die Räder. Sehr viele Familien sind auf
eine gute Schule mit offenen Türen angewiesen.
Wir brauchen mehr Ressourcen für diese Schüler.
Die kann man immer brauchen. Aber hier in Hamburg ist es zurzeit das
größere Problem, dass Verbände und Lobbygruppen vehement die teilweise
Schließung der Schulen forderten. Eine solche Lobbyarbeit gegen offene
Schultüren gab es so in anderen Bundesländern nicht.
Nun gibt es die Petition des nächsten Abi-Jahrgangs, die fürchten um faire
Bedingungen. Brauchen wir wegen Corona ein zusätzliches Schuljahr?
Wenn jetzt alle Schüler ein Jahr länger zur Schule gehen müssen, würde sich
die Begeisterung darüber arg in Grenzen halten. Denn nicht alle wollen für
ihr Abitur noch einmal ein ganzes Jahr zur Schule gehen. Deshalb muss im
Mittelpunkt stehen, dass wir faire Prüfungsbedingungen schaffen. Das gilt
auch für den Ersten und Mittleren Schulabschluss. Das kann bedeuten, dass
die Schülerinnen und Schüler in 2021 eventuell nicht auf dem gleichen
Niveau ihre Prüfungen absolvieren müssen, wenn der Unterricht weiterhin so
stark eingeschränkt wird. Aber wir haben es jetzt bis auf die letzten drei
Tage vor Weihnachten geschafft, dass der Unterricht im Großen und Ganzen
nach Stundentafel verlaufen ist. Wenn das so bliebe, können die
Abschlussprüfungen gut absolviert werden. Kommt es jetzt aber im Zuge des
Lockdowns nach dem 10. Januar nicht wieder zu regulärem Schulunterricht,
muss man die Prüfung eventuell anpassen, um für faire Bedingungen zu
sorgen.
Auch Ihr Jahr war anstrengend. Freuen Sie sich jetzt auf die
Weihnachtsferien?
Ja.
15 Dec 2020
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## AUTOREN
Kaija Kutter
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