# taz.de -- Besucher*innenansturm im Harz: Elend will einsam bleiben | |
> Der Harzer Tourismusverband appelliert an Tagestourist*innen, zu Hause zu | |
> bleiben oder die Wanderwege in tieferen Lagen zu nutzen. | |
Bild: Mit dem Schlitten durch den Schnee stapfen: Harzausflügler unterwegs auf… | |
Harz taz | Kilometerlang stehen Autos am Vormittag des 3. Januar auf der | |
Bundesstraße 4 in den Harz. Der Himmel ist bedeckt und es schneit dicke | |
Flocken – zum ersten Mal seit Langem in größeren Mengen. Die Reifen eines | |
Sportwagens mit Hamburger Kennzeichen drehen durch. Autos stehen quer und | |
bleiben liegen. Ein Video, gedreht aus einem Räumfahrzeug, zeigt das Ausmaß | |
des Verkehrschaos. Um 10 Uhr sind am zur Zeit populärsten Ausflugsziel | |
Torfhaus, einer Bungalowsiedlung mit Globetrotter-Shop, NDR-Sendemast und | |
Skilift, bereits die Parkplätze voll. Ein Polizist steht im Schnee und | |
winkt ankommende Autofahrer*innen weiter. Auch auf den kleineren | |
Wanderparkplätzen dahinter stehen PKWs dicht an dicht. | |
Etwa 10 Kilometer weiter im Bergort Braunlage ist die Stimmung am frühen | |
Vormittag dagegen ruhig. Seit November haben die touristischen, kulturellen | |
und kulinarischen Angebote der Region geschlossen – durch die Verschärfung | |
des Lockdowns im Dezember änderte sich hier wenig. Lediglich ein | |
grummeliger Tankstellenwart ist auf seinem Posten und schimpft über die | |
Unmengen an Besucher*innen, von denen er aus dem Radio erfahren habe. | |
Am nahen Wurmberg ist von der Überfüllung kaum etwas zu spüren. Katrin | |
Garke, aus dem circa 20 Kilometer entfernten Ströbeck, wandert mit ihren | |
Kindern den Rodelberg im Schneetreiben hinauf. Die Familie hat eine Stunde | |
Anfahrt für das Wintervergnügen in Kauf genommen. „Wir brauchen den | |
Ausgleich in Zeiten der Pandemie“, sagt die Mutter. Man achte auf den | |
Abstand zu anderen und sie sei ja auch nur mit ihren Kindern unterwegs. | |
Im Windschatten der Bodenstation des Hexenritts, eines geschlossenen | |
Schlepplifts, stehen zwei Männer in dicken Anoraks und Schals und trinken | |
Tee. Björn Wiedemann und Marko Große wohnen in der Nähe und sehen die | |
Situation gelassen. Überfüllt sei es nur in Richtung Harzburg, meint | |
Wiedemann. Es fehlten eben Parkplätze, der Andrang sei aber bei diesem | |
Wetter normal. Überall gebe es Vernünftige und Unvernünftige und natürlich | |
halte sich manche*r nicht an die Vorgaben. „Ein Einkauf im Supermarkt ist | |
da viel enger und riskanter als der Winterspaß!“, findet Große. | |
## Heißgetränke und Gelassenheit | |
Aus den Lautsprechern eines Foodtrucks am Fuß der Piste dröhnt ganz im | |
Aprés-Ski-Style der 90er-Eurodance-Song „Cotton Eye Joe“. Schilder weisen | |
auf die Maskenpflicht und das Abstandsgebot hin. Ein Verzehr der Bratwürste | |
direkt im Umfeld des Trucks ist nicht gestattet. Gery Chouieb steht hinter | |
dem Tresen und serviert Heißgetränke. | |
Ein Gros der Besucher*innen halte sich an die Regeln, sagt er, und dass der | |
Kampf ums finanzielle Überleben als Freiberufler in der Coronapandemie hart | |
sei. Von den Verkäufen hier könne er zwar nicht leben, aber Kleinvieh mache | |
eben auch Mist. Gerade mit Blick auf die Kinder, die am Hang toben, findet | |
auch er, man solle das entspannt sehen. Denn Kinder bräuchten eben gerade | |
in Zeiten von Ferien, Schulschließungen und Lockdown mal etwas Auslauf. | |
Tatsächlich scheinen die Leute hier von den alltäglichen Qualen nach einem | |
Dreivierteljahr Pandemie abschalten zu können. Lachend und schreiend landet | |
so manche*r mit viel Schwung in einer Schneewehe und fällt vom Schlitten. | |
Die Rodler*innen scheinen aus allen gesellschaftlichen Schichten zu kommen, | |
teures Equipment hat hier kaum eine*r. | |
Um den Fluss von Besucher*innen kontrollieren zu können, sperrt die Polizei | |
am frühen Nachmittag dann noch die Zufahrt nach Schierke – einer der Orte, | |
von denen aus der Brocken zu Fuß erreichbar ist. Im dichten Schneetreiben | |
wandern hier unzählige Gruppen auf den höchsten Punkt des Mittelgebirges. | |
Manche*r schleppt einen Kasten Bier auf einem Plastikbob hinter sich her. | |
Am Gipfel im eisigen Schneesturm drängen sich durchgefrorene Wanderer*innen | |
wie Pinguine hinter die Ecke des geschlossenen Brockenhotels. Eine | |
Möglichkeit zur Einkehr gibt es auch hier derzeit nicht. | |
Der Lockdown ist überall spürbar. Auch die beliebte Dampflok der Harzer | |
Schmalspurbahn steht momentan still. Lediglich auf einer Teilstrecke gibt | |
es Zugverkehr. Am Abend steigen in Schierke nur wenige in den kleinen | |
Behelfswagen, der nach Wernigerode hinabfährt. | |
Eigentlich freue man sich über Besucher*innen und der wirtschaftliche | |
Aufwärtstrend der Region in den letzten Jahren sei sehr erfreulich, sagt | |
Carola Schmidt, Geschäftsführerin des Tourismusverbandes. Da aber alle | |
Angebote wegen des Lockdowns seit dem 5. November geschlossen seien, | |
könnten die Tourist*innen nicht versorgt werden. Durch unzählige | |
Tagesausflügler*innen käme es dann zu den unschönen Szenen und zu Staus. | |
Normalerweise seien An- und Abreise entzerrt, aber die Region könne einen | |
solchen Ansturm in so kurzer Zeit nicht verkraften. | |
Deshalb appelliert Schmidt an die Tagestourist*innen, zu Hause zu bleiben: | |
„In einer Pandemie gibt es andere Prioritäten.“ Auch in den tieferen Lagen | |
gebe es – abseits des Trubels – viele attraktive Wanderwege, an denen es | |
freie Parkplätze gebe und auf denen Abstandhalten kein Problem sei. | |
Am Abend sind in Braunlage und dem benachbarten Ort Elend die Lichter in | |
den Zimmern der Hotels alle erloschen. Die Region liegt weiß gepudert im | |
Schlummer. Vom Ansturm ist nicht viel geblieben – außer aufgeregte | |
Medienberichte. | |
5 Jan 2021 | |
## AUTOREN | |
Michael Trammer | |
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