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# taz.de -- Die Wahrheit: Refugees welcome!
> Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (113): Kraniche werden
> vom Menschen bedroht. Zum Glück gibt es Schall und Tarnung.
Bild: Stolz und Vorurteil: Kraniche und Fuchs interessieren sich nicht füreina…
Kraniche gehören zu den Vögeln, die der Damenhutmode wegen abgeschossen
werden. Aber auch die Bauern setzen ihnen zu, die ihre Getreidefelder
schützen wollen. Dazu kommen die Eiersammler. Kraniche schlafen stehend im
Flachwasser und bauen ihre Nester dort auf kleinen Hügeln. Indem sie Schilf
umknicken, schaffen sie „Spielplätze“ für ihre Jungen auf dem Wasser. Die
Trockenlegung von Mooren und Sümpfen macht ihnen neben den Menschen das
Überleben noch unmöglicher. Einige Kranicharten standen bereits kurz vor
dem Aussterben – als man anfing, sie besser zu schützen, umweltpolitisch
aktiv für sie zu werden und sie künstlich aufzuziehen, um sie hernach
auszuwildern.
Im [1][Linumer] Teichland (bei Kremmen in Brandenburg) rasteten 2020 wieder
Zehntausende Kraniche. Ende November waren es 2.050, die der Kälte noch
nicht in Richtung Süden ausgewichen waren. Ein weiteres Vogelschutzgebiet
ist der Duvenstedter Brook bei Hamburg, wo einige Paare brüten und ihre
Jungen aufziehen.
Dort wohnt der Chemieunternehmer Bernhard Weßling, der ein Buch über seine
langjährige Kranichbeobachtung und -forschung veröffentlicht hat: „Der Ruf
der Kraniche“. Der Autor ist überzeugt, dass weder der Zug der Vögel
genetisch (früher sagte man instinktmäßig) festgelegt ist, noch
Kranichpaare sich ewig treu sind.
Weil er während seiner fast täglichen Beobachtungen damit haderte, dass man
die Tiere optisch so gut wie gar nicht auseinanderhalten kann, das Beringen
der Jungvögel aber ablehnt (da die Kraniche das als einen Angriff werten
und das spätere Ablesen der Ringe etwa vom Hubschrauber aus mit Fernglas
umständlich ist), versuchte er es mit der Analyse ihrer akustischen
Äußerungen. Mithilfe von Sonagrammen kann er sie nun anhand ihrer „Sprache�…
identifizieren und bei ihren „Duettrufen“ zur Revierverteidigung und nach
der Paarung auch ohne Sichtkontakt Männchen und Weibchen unterscheiden. Die
sich ständig verbessernde Aufnahme- und Abspieltechnik kam ihm dabei
entgegen.
## Der Schreikranich
Kranichfreunde gibt es nahezu auf der ganzen Welt; sie sind national und
international organisiert. Weil Weßling mit seiner Firma erfolgreich ins
Ausland expandierte, hatte er dort immer mal wieder Gelegenheit, auch
andere Arten als die europäischen Grauen Kraniche zu erforschen: in China,
Japan, Korea, Kanada und in den USA.
In Nordamerika geht es um die Wiederansiedlung von Schreikranichen in
Wisconsin. In Baraboo ist der Sitz der [2][International Crane Foundation]
(ICF), sie baut eine Samenbank für Kraniche auf, bis ihr
Populationsrückgang aufgrund der Vernichtung ihrer Lebensräume –
Feuchtgebiete – gestoppt werden kann. Weßling nimmt an, dass die
verschiedenen Kranicharten unterschiedlich „flexibel“ auf veränderte
Umweltbedingungen reagieren, dass etwa „der Kanadakranich der kulturellen
und kommunikativen Entwicklung des Grauen Kranichs um einiges voraus ist“.
Als Beispiel erwähnt er eine Kanadakranichfamilie mit zwei Jungen, die zum
Fressen ein Sojabohnenfeld aufsuchten, das direkt neben einem Schulhof lag.
Die scheuen Vögel kamen stets pünktlich zum Ende einer Pause, wenn die
Schüler in den Klassen verschwunden waren.
Die ICF züchtet zum Beispiel Brolgakraniche und Schwarzhalskraniche in
Gefangenschaft und versucht diverse Kranichrastplätze und -brutreviere als
Naturschutzgebiete durchzusetzen. Ihr Gründer, George Archibald, nahm sich
einst eines der künstlich ausgebrüteten weiblichen Schreikraniche, Tex, an.
Das Tier verliebte sich in George. Dieser tanzte daraufhin in jedem
Frühjahr den Paarungstanz mit dem Vogel und trompetete danach mit ihm im
Duett. Tex legte dann auch Eier, aber es kam nie etwas dabei heraus. George
zog deswegen in das Gehege von Tex, und nach einem erneuten Paarungstanz
führte er Kranichsperma bei ihr ein, dass er vom Patuxent Wildlife Research
Center in Maryland bekommen hatte. Es klappte: Tex legte ein befruchtetes
Ei, und George zog mit ihr dann ein männliches Küken groß, Gee Whiz,
woraufhin das glückliche Paar in einer Fernsehshow auftrat und berühmt
wurde, was der ICF viele Spendengelder einbrachte, womit sie in mehreren
Regionen der Welt Überlebenshilfe für Kraniche leistete.
## Operation Migration
Die Schreikraniche brüten im Norden Kanadas und überwintern in Texas und
Florida. Dorthin muss man die künstlich ausgebrüteten flüggen Jungen im
Herbst bringen, und zwar mit einem Ultraleichtflugzeug. Die Aktion hieß
„Operation Migration“. Das war zwar möglich, aber da niemand den
Jungkranichen zeigte, wer ihre Feinde sind (Rotluchse, Adler...), und sie
zudem auf Menschen geprägt wurden, überlebten im Zielgebiet nur die
wenigsten, bevor sie gegen Winterende den Rückflug nach Kanada oder
Wisconsin antreten konnten. Hier nun kam Bernhard Weßling ins Spiel, fast
gegen seinen Willen, weil es viel Arbeit bedeutete: Er nahm im Wildlife
Refuge einer texanischen Insel (Matagorda) jede Menge unterschiedliche
Kranichrufe auf, wobei er sich den Vögeln auf 100 Meter nähern konnte.
Seine Tonausbeute stellte er der ICF zur Verfügung, damit die Pfleger ihre
künstlich aufgezogenen Vögel via Megafon mit den richtigen „Worten“
ansprechen konnten, wenn sie diese zum Futter locken oder vom Flugzeug aus
zusammenhalten wollten, also mit Rufen, wie sie auch die wilden Kraniche
verwenden. In ihrer Aufzuchtstation näherten sich die Mitarbeiter nur in
Schutzanzügen oder so verkleidet, dass sie von den Küken nicht als Menschen
identifiziert wurden. Die Töne kamen aus Lautsprechern in Kranichattrappen,
„aus deren Schnäbeln mit einem mechanischen Zug Mehlwürmer vor den Küken
platziert werden konnten, wenn die Küken dem Lautsprecherlockruf ‚Kommt
her, hier ist Futter!‘ gefolgt waren. Die Pfleger nannten dieses Gerät
‚Robo-Crane‘.“ Weßling schlug ihnen überdies ein Trainingsprogramm für…
Küken vor: „Raubkatzen erkennen und vermeiden“. Für unterwegs mit dem
Ultraleichtflugzeug wählte er sechs Rufe aus: „Aufpassen!“ – „Achtung,
Gefahr!“ – Kontakt- und Locktöne – Flugruf „Alles okay, weiterfliegen�…
Warnruf – Duettruf (Revierverteidigung).
Grundsätzlich ging es darum, „herauszufinden, wie wild lebende
Schreikranichjunge eigentlich die ihnen gemäße Ausdrucksweise lernen“.
Weßling interessiert vor allem die Kultur und die Kommunikation – das
Bewusstsein der Kraniche. Als er geschäftlich nach Japan musste, gab die
ICF ihm mit auf den Weg, die Mandschurenkraniche auf Hokkaido, die seit
200 Jahren von der nahe an Amur und Ussuri brütenden Festlandpopulation
getrennt sind, daraufhin zu untersuchen, ob sie „unterschiedliche Sprachen“
entwickelt hätten. Die Rufe der Letzteren nahm er in der demilitarisierten
Zone zwischen Süd- und Nordkorea auf. Dort stellte er fest, dass die
dortigen Mandschurenkraniche auf den „Duettruf eines japanischen Kranichs“
nicht reagierten: „Die beiden Populationen konnten sich nicht mehr
miteinander verständigen.“
4 Jan 2021
## LINKS
[1] /Archiv-Suche/!226068&s=linum&SuchRahmen=Print/
[2] https://www.savingcranes.org/
## AUTOREN
Helmut Höge
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