# taz.de -- Umweltschutz: Ein Leben für Krähen und Kraniche | |
> Hans-Jürgen Stork ist ein Urgestein der Berliner Naturschützer. Am | |
> Freitag wird der langjährige Nabu-Landesvorsitzende für sein Lebenswerk | |
> geehrt. | |
Bild: Storks Lieblinsgvögel: Kranich im Landeanflug | |
Dass aus Hans-Jürgen Stork einmal ein Vogelkundler und Naturschützer wird, | |
war ihm eigentlich in die Wiege gelegt. Stork heißt Storch auf Englisch, | |
Niederländisch und Plattdeutsch. Zu den Störchen kam der 1938 im | |
ostwestfälischen Herford geborene Hans-Jürgen Stork allerdings erst relativ | |
spät: Nach der Wende half er von Berlin aus die Storchenschmiede Linum im | |
Havelland zu gründen. Die kümmert sich seit 1991 um die auf den dortigen | |
Feuchtwiesen in Massen herumstaksenden Störche, Kraniche und Gänse. | |
Zu diesem Zeitpunkt war Hans-Jürgen Stork schon mehr als zehn Jahre | |
Landesvorsitzender des Deutschen Bundes für Vogelschutz. Und er blieb es, | |
als sich die Umweltschützer nach der Vereinigung in Naturschutzbund | |
Deutschland (Nabu) umbenannten. Seit 2000 ist er nun nicht mehr Chef, aber | |
immer noch im Vorstand aktiv. Ein Urgestein der Berliner Umweltbewegung | |
geht nicht so einfach. Im Gegenteil, Stork sammelt Preise: Diesen Freitag | |
bekommt er in Osnabrück den mit 5.000 Euro dotierten Preis "muna - Mensch | |
und Natur" verliehen, ausgelobt von den Deutschen Bundesstiftung Umwelt in | |
Zusammenarbeit mit dem ZDF. Es ist ein Preis für das "Lebenswerk". Bei der | |
Oscar-Verleihung bekommen einen so bezeichneten Preis üblicherweise | |
alternde Regisseure, die man all die Jahre auszuzeichnen vergessen hatte. | |
Davon kann bei Stork nicht die Rede sein - anerkannt und geehrt ist er bei | |
den Berliner Umweltschützern seit langem. | |
Wenn man ihn reden hört, könnte man manchmal glauben, einem dieser | |
Klischee-Vogelkundler gegenüberzusitzen, die vorzugsweise zu unmöglichen | |
Tageszeiten mit dem Fernglas bewaffnet durch die Natur stromern und schon | |
bei unscheinbaren Tierarten in Verzückung geraten. So schwärmt der groß | |
gewachsene, vollbärtige 67-Jährige von einem blutroten Sonnenuntergang in | |
Linum mit "zigtausenden Kranichen, die über die Wiesen fliegen". Oder er | |
erzählt, wie er in der Nähe seines Hauses in Hermsdorf "dem Kuckuck | |
nachgestiegen" ist. | |
Und doch trifft das Klischee des weltfremden Forschers auf Hans-Jürgen | |
Stork ganz und gar nicht zu: Denn er ist nicht nur ein Überzeugungstäter, | |
sondern auch ein hartnäckiger Lobbyist - und vor allem ein Mann mit großem | |
Sendungsbewusstsein. Zum Naturschutz kam er Ende der 70er-Jahre. "Da wurden | |
in Westberlin gerade die Autobahn durch den Tegeler Forst und das Kraftwerk | |
Oberhavel geplant", erinnert er sich. "Da wurde uns klar, dass man den Bund | |
für Vogelschutz weiterentwickeln musste, in Richtung eines breiteren | |
Naturschutzes. Das lag ja nahe: Wie sollten wir beispielsweise den Vogel in | |
der Feuchtwiese schützen, wenn es keine Feuchtwiesen mehr gibt?" Stork | |
setzte sich durch, und er schaute sich um. Scheute sich auch nicht, | |
Methoden zu übernehmen, die ihm die linke Protestszene vorgelebt hatte. | |
"Andere haben damals Häuser besetzt und dadurch gerettet, wir haben am | |
Flughafensee in einer Nacht-und-Nebel-Aktion Besetzungsschilder aufgestellt | |
und unsere Pläne eines geschützten Areals damit durchgesetzt." | |
Das war 1982 und führte zu einiger Aufregung im Bezirksamt Reinickendorf. | |
Dort war man bis dahin noch nicht daran gewöhnt, dass Bürger eigene | |
Vorstellungen haben, was mit der Natur in ihrer Umgebung geschehen soll. | |
Inzwischen hat sich die Natur am See durch jahrzehntelange Arbeit der | |
Berliner Landesarbeitsgemeinschaft Naturschutz und des Nabu erholt: Es sind | |
Heideflächen entstanden, und Vogelarten haben sich angesiedelt, die im | |
Stadtgebiet lange nicht mehr gesehen wurden. "Die Zwergrohrdommel hat in | |
Berlin seit 1971 nicht mehr gebrütet, jetzt lebt sie dort wieder. Ich sehe | |
das als Dankeschön der Natur für unsere Arbeit", sagt Stork mit plötzlich | |
aufkommendem Pathos. | |
Aber stolz ist Stork vor allem auf das "Freilandlabor Flughafensee". Dort | |
werden tausende Berliner Schüler in die Geheimnisse der Biotope eingeweiht, | |
können Kaulquappen keschern, Insekten und Pflanzen bestimmen lernten. Eine | |
Arbeit ganz im Sinne Storks, der mehr als 20 Jahre als Biologielehrer in | |
Reinickendorf gearbeitet hat. "Biounterricht muss auch draußen | |
stattfinden", ist sein Credo. Enttäuscht ist er darüber, dass sich diese | |
Sichtweise in den Schulen kaum durchgesetzt hat. "Es ist ein Teufelskreis", | |
beklagt er. "An der Uni werden die Studierenden fast nur im Labor | |
ausgebildet, dann kommen sie an die Schule und machen den Unterricht auch | |
nur im Klassenzimmer. Und die nächste Lehrergeneration besteht dann aus | |
Schülern, die so gelernt haben und es nicht anders kennen." | |
Stork aber kennt es anders. Sein Lehrer im ostwestfälischen Bad Salzuflen | |
fuhr mit den Schülern oft in die Moor- und Feuchtwiesenlandschaft des | |
Dümmer. Dort lernte der junge Hans-Jürgen nicht nur Libellen bestimmen, | |
sondern sah auch, wie die Trockenlegung der Moore die Natur zerstörte. | |
Später studierte er Biologie, Chemie und Geografie in Würzburg und Kiel, | |
wozu auch Aufenthalte auf der Vogelwarte Helgoland gehörten. Wie dort | |
gelehrt wurde, beeindruckt ihn noch heute: "Da sprang ein gestandener | |
Universitätsprofessor ins Meer und holte eine Wattschnecke heraus - das ist | |
handfeste Biologie, wie sie sein soll." | |
In Kiel promovierte Stork, nach Berlin kam er 1971 auf eine | |
Assistentenstelle an der FU. Die mauerumstandene Stadtinsel hat den | |
Naturliebhaber keineswegs bedrückt. Im Gegenteil: "Die Stadt hat so viel | |
Grün, das war faszinierend. Und gleichzeitig ist es so bedroht, dass man | |
sich darum kümmern muss, es zu schützen." Seine Forschungen blieben bis zur | |
Habilitation 1979 handfest: So kümmerte er sich mit einer | |
Studierendengruppe um das Flugverhalten der Berliner Krähen. "Wir wollten | |
wissen, wohin die eigentlich fliegen, wo sie schlafen, wo sie ihre Nahrung | |
besorgen. Dafür haben wir sogar die Radargeräte der Wetterwarte und des | |
Flughafens Tegel eingesetzt", erzählt Stork. Schon setzt er, wie es seine | |
Art ist, zu einem durch nichts zu stoppenden Vortrag an - über die | |
Verteilung der Krähen auf den Stadtraum, über die Vorliebe der Vögel für | |
Plastik, das sie mit Gedärm aus Aas verwechseln und deswegen fressen. Und | |
über die Tatsache, dass die Schließung aller offenen Mülldeponien in der | |
Stadt die Zahl der Krähen von 80.000 auf geschätzt 20.000 reduziert hat. | |
Und dass Krähen, auch weil sie sonst niemand mag, seine Lieblingsvögel | |
sind. Neben Amseln vielleicht, über die Stork viel publizierte. | |
Eine akademische Karriere hätte er auch erstrebenswert gefunden, räumt | |
Stork ein. Doch einen Lehrstuhl bekam er nicht, nur einzelne Lehraufträge, | |
und verlegte sich auf den Schuldienst. Zum Geldverdienen zuerst, dann wurde | |
die Schule zur Berufung. Stork ist ein Erklärer, hartnäckig, überzeugt und | |
überzeugend. Und ein Kämpfer für die Orte, an denen Natur in der Stadt | |
erfahrbar wird. Neben dem Freilandlabor Flughafensee ist das vor allem das | |
Ökowerk im ehemaligen Wasserwerk am Teufelssee. Dort stand Hans-Jürgen | |
Stork auch beim Herbstfest am vergangenen Wochenende wieder hinter dem | |
Infotisch des Nabu. Stolz erzählt er dort, dass er zu den Gründervätern des | |
Ökowerk-Trägervereins gehört, und weist mit weit ausholender Handbewegung | |
über die Gärten, Teiche, Infostände und Besuchermassen an einem sonnigen | |
Septembertag: "Das ist doch toll, oder?" | |
Gar nicht toll ist allerdings zurzeit das Verhältnis zwischen dem Berliner | |
Nabu-Landesverband und den anderen Umweltverbänden der Stadt, wenn es um | |
die Windkraft geht. Hatte der Nabu doch lange versucht, die Genehmigung des | |
ersten Windrads auf Berliner Stadtgebiet zu verhindern. Begründung: Es | |
bedrohe die letzten Berliner Rotmilane. "Wir sind natürlich nicht gegen | |
Windkraft", will Stork klarstellen, "aber wir machen es uns eben nicht so | |
einfach, zu sagen: Windräder sind umweltfreundlich, also soll man sie | |
überall aufstellen." Im Widerstreit zwischen Arten- und Klimaschutz wirbt | |
Stork dafür, die "Komplexität der Natur vor den Gefahren der Technik zu | |
bewahren". Ohne Konflikte wird das auch in Zukunft nicht abgehen, das ist | |
Stork klar. Aber kämpferisch bleiben wird er: ab Freitag mit dem Preis für | |
das noch lange nicht abgeschlossene "Lebenswerk" im Rücken. | |
27 Sep 2007 | |
## AUTOREN | |
Jan Sternberg | |
## TAGS | |
Tiere | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Die Wahrheit: Refugees welcome! | |
Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (113): Kraniche werden vom | |
Menschen bedroht. Zum Glück gibt es Schall und Tarnung. |