| # taz.de -- Abflug der Kraniche aus Brandenburg: „Regelrechte Aufbruchstimmun… | |
| > Ihr Gesang macht glücklich, sagt Naturschützer Norbert Schneeweiß: | |
| > Derzeit sammeln sich tausende Kraniche nordwestlich von Berlin für ihre | |
| > Reise in den Süden. | |
| Bild: Und los geht‘s nach Süden: Ein Kranich macht sich auf den Weg. | |
| taz: Herr Schneeweiß, mein Sohn fragte mich neulich beim Parkspaziergang, | |
| was das für ein großer, grauer Vogel da auf dem Ast sei. Ich schwanke noch | |
| immer zwischen Reiher und Kranich. Sie als Vogelexperte wissen doch | |
| sicherlich: Was haben wir gesehen? | |
| Norbert Schneeweiß: Höchstwahrscheinlich einen Graureiher. Wo waren Sie | |
| denn genau unterwegs? | |
| An der Panke, im Pankower Bürgerpark. | |
| Ja, ja, alles Graureiher dort. Der Kranich sucht sich seine Nahrung lieber | |
| auf weiten Ackerflächen: Getreide, Mais vor allem. Aber im Zweifel warten | |
| Sie einfach, bis der Vogel auffliegt. Wenn der Hals im Flug s-förmig | |
| abknickt, ist es ein Reiher. Wenn er lang ausgestreckt ist, ein Kranich. | |
| Die letzten Kraniche ziehen in den nächsten Tagen von ihrem Sammelplatz in | |
| Brandenburg weiter nach Süden in ihre Winterquartiere. Jetzt ist der Sommer | |
| endgültig vorbei. Traurig, wenn Sie die ziehenden Vögel beobachten? | |
| Mich stimmt es im Gegenteil regelrecht euphorisch, wenn sich die Kraniche | |
| sammeln. Ich mag ihre trompetenartigen Rufe und wie sie sich dabei manchmal | |
| stundenlang, von den warmen Aufwinden getragen, in die Luft schrauben und | |
| dort oben kreisen. Das hat etwas sehr Freudiges und Erwartungsvolles, man | |
| spürt da eine regelrechte Aufbruchstimmung unter den Vögeln. Übrigens kann | |
| man das Trompeten der Kraniche auch in der Stadt gut hören. | |
| Ach ja? | |
| Wenn man halbwegs ruhig wohnt und nachts die Fenster offen lässt, kann man | |
| sie hören. Klar, wenn Sie sich an die, sagen wir, Prenzlauer Allee stellen, | |
| hören Sie natürlich nichts – außer es ist Nebel. | |
| Was ändert sich bei Nebelwetter? | |
| Bei Nebel fliegen die Kraniche tief, manchmal nur auf fünfzig Meter | |
| Flughöhe, weil sie sich auch an Bodenstrukturen orientieren. Da hört man | |
| sie dann auch über den Straßenverkehr hinweg trompeten. | |
| Der Kranich gilt als Glücksbringer. Wieso eigentlich? | |
| Da gibt es mehrere Ansätze in der Mythologie, vor allem war der Kranich für | |
| die Menschen früher auch ein Frühlingsbote, wenn er aus seinem | |
| Winterquartier zurückkam: Er ließ auf Licht und auf Wärme hoffen. Mich | |
| macht vor allem sein Gesang glücklich. | |
| Ein Glücksfall ist der Kranich jedenfalls für den Tourismus in Brandenburg. | |
| Zu den Kranichwanderungen, die der Naturschutzbund in Linum, einem kleinen | |
| Dorf nordwestlich von Berlin, organisiert, kommen an den Herbstwochenenden | |
| Tausende von Schaulustigen. | |
| Der Kranich ist ein Wirtschaftsfaktor für die Region geworden, das stimmt. | |
| In Linum sammeln sich jedes Jahr bis zu 130.000 Kraniche an den umliegenden | |
| Seen. Das sieht schon spektakulär aus, da kommen die Reisebusse inzwischen | |
| auch aus dem Ausland, um das zu sehen. Und da hat sich natürlich auch ein | |
| Angebot drumherum entwickelt. In Linum kann sich im Herbst kein Gastwirt | |
| leisten, dichtzumachen. Da rollt der Rubel. | |
| Ist so viel Tourismus denn auch ein Glücksfall für die Kraniche? | |
| Leider nicht immer. Die Vögel reagieren an ihren Ruheplätzen sehr | |
| empfindlich, sie haben eine Fluchtdistanz von unter 300 Metern. Ganz | |
| schlimm: Heißluftballons im Tiefflug. Dann gehen mitunter gleich | |
| Zehntausende Tiere in die Luft. | |
| Sieht dann bestimmt noch toller aus. | |
| Ja, aber die Tiere müssen sich Fettreserven anfressen, bevor sie dann bis | |
| zu 1.000 Kilometer am Stück weiterfliegen zu den nächsten Rastplätzen nach | |
| Mittelfrankreich. | |
| Geben Sie unseren LeserInnen einen Tipp: Lieber die Sonntagmorgenexkursion | |
| und gucken, wie die Kraniche zu ihren Futterplätzen aufbrechen, oder | |
| ausschlafen und beobachten, wie sie abends zurückkommen? | |
| Die Morgenstimmung ist schon sehr schön. Aber wenn Sie dem Trubel in Linum | |
| ein bisschen entgehen wollen: Es gibt zum Beispiel im Bucher Forst, an den | |
| Lietzengrabenwiesen, Beobachtungskanzeln, von denen man die Vögel auch ganz | |
| hervorragend sehen kann, ohne sich dabei gegenseitig auf die Füße zu | |
| treten. | |
| 24 Oct 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Anna Klöpper | |
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