# taz.de -- Deutsche Umweltpolitik: Die letzte Wildnis wird verdrängt | |
> In Berlin wird das Jahr der Biodiversität eingeläutet. Deutschland gibt | |
> sich als Vorreiter. Zu Recht? Vom Artenschutz profitieren hierzulande | |
> eher die Exoten und nicht die Allerweltsarten. | |
Bild: Vor lauter Exoten-Rettung wird die Vielfalt der traditionellen Rassen in … | |
Der Mensch kann eigentlich von Glück reden, dass Brachiosaurus brancai | |
ausgestorben ist. Es wäre nicht leicht geworden für die Säugetierklasse, | |
sich mit den Dinosauriern die Erde zu teilen. Trotzdem werden am heutigen | |
Montag Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihr Parteikollege, | |
Bundesumweltminister Norbert Röttgen, ausgerechnet im Schatten eines | |
Brachiosaurusskeletts davon reden, dass jede Art überleben soll. Im | |
altehrwürdigen Dinosauriersaal des Naturkundemuseums in Berlin eröffnen sie | |
das Internationale Jahr der Biodiversität, also der Artenvielfalt. Die | |
Vereinten Nationen haben es ausgerufen. Der Ort ist so schlecht dann doch | |
nicht gewählt. | |
Derzeit spielt sich das größte Massensterben ab, seitdem die Dinosaurier | |
verschwunden sind. Der Unterschied: Vor 65 Millionen Jahren fiel ein | |
Meteorit auf die Erde. Heute zerstört der Mensch die Natur, er macht | |
anderen Spezies das Leben schwer, weil er den Boden umgräbt, Bäume absägt | |
und Ozeane plündert. | |
Neu ist das Problem allerdings nicht. Schon vor 18 Jahren, beim Erdgipfel | |
in Rio de Janeiro, wurde neben der Klimarahmen- und der Wüstenkonvention | |
die Konvention über biologische Vielfalt (CBD) geboren. Mittlerweile haben | |
191 Staaten sie unterzeichnet - inklusive einer Zusage: Der Artenschwund | |
werde bis 2010 gestoppt. Müssten die Regierungen in diesem Jahr einen | |
Rechenschaftsbericht ablegen, fiele dieser ernüchternd aus: Statt Erfolgen | |
gab es vor allem viele internationale Konferenzen. Etwa die in Bonn im | |
Jahre 2008, als der SPD-Politiker Sigmar Gabriel das Umweltressort leitete. | |
Seitdem sitzt Deutschland auch den UN-Verhandlungen zur biologischen | |
Vielfalt vor, und zwar bis zum nächsten Gipfel im Oktober in Japan. | |
Deutschland gibt sich gerne als Vorreiter im Naturschutz - zu Recht? | |
Umweltminister Röttgen sagte in seiner Regierungserklärung im November: | |
"Ökosysteme sind die Grundlage allen Lebens" - und ihr Schutz sei neben dem | |
Kampf gegen die Erderwärmung die "globale Herausforderung". Immerhin | |
speichern Bäume enorme Mengen des klimabelastenden Kohlendioxids, sie bauen | |
aus dem Kohlenstoff im Treibhausgas das Holz auf. Böden sind nur fruchtbar, | |
wenn Regenwürmer sie auflockern und Mikroben für Humus sorgen. Und Pflanzen | |
reinigen Grundwasser. Röttgen sagt, er wolle "unsere internationale | |
Führungsrolle" bei der Pflege der biologischen Vielfalt "aufrechterhalten". | |
Nur, die "internationale Führungsrolle" sehen Umweltschützer nicht. Mit der | |
Vielfalt sei es hierzulande nicht weit her: "Worten folgen keine Taten." | |
(Eva Goris, Deutsche Wildtier Stiftung). "Es bleibt viel zu tun" (Magnus | |
Wessel, Naturschutzbund Deutschland). "Wir haben einen permanenten Verlust" | |
(Hubert Weiger, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland). | |
Ein Beispiel: Der Kuckuck kehrt pünktlich im Frühling aus seinem | |
Winterquartier in Nordafrika zurück, will wie gewohnt sein Ei etwa einem | |
Rotkehlchen unterjubeln, damit dieses die Aufzucht des Nachwuchses | |
übernimmt. Das Rotkehlchen beginnt wegen des Klimawandels aber früher als | |
bisher zu brüten. Der Kuckuck kommt zu spät. Er gilt als gefährdet. | |
Oder der Rothirsch: Ließe man das größte Säugetier in Deutschland machen, | |
was es will, würde es am Tag bis zu 80 Kilometer weit laufen. Doch seine | |
Verbreitung hierzulande ist auf 140 staatlich ausgewiesene Rotwildgebiete | |
beschränkt. Taucht er außerhalb dieser Gebiete auf, muss er zumeist | |
geschossen werden. Das ist außer in Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern | |
und dem Saarland per Gesetz so geregelt. Forstbesitzer und Landwirte | |
fürchten Schäden in ihren Wäldern und auf ihren Äckern. So kann der Hirsch | |
nicht wandern. Die Folge: Inzucht, die langfristig schwächt. | |
Für die meisten Naturschutzfragen sind die Bundesländer zuständig. Die | |
Bundesregierung aber kann auch etwas tun und hat sich dazu längst | |
verpflichtet. 2007 hat das damals noch schwarz-rote Kabinett von Angela | |
Merkel eine ehrgeizige "Nationale Strategie für biologische Vielfalt" | |
verabschiedet. 180 Seiten, 330 Ziele, 430 Maßnahmen. Darunter | |
Arbeitsaufträge, die bis 2010 erledigt sein sollten. | |
So heißt einer: "Zertifizierung von 80 Prozent der Waldfläche nach | |
hochwertigen ökologischen Standards". Ein anderer: "Die Regeneration gering | |
geschädigter Hochmoore ist bis 2010 eingeleitet". Passiert ist zuletzt aber | |
wenig. Auch davon, dass der Import von "illegal geschlagenem Holz und | |
daraus erzeugten Holzprodukten" beendet würde, ist nichts zu hören. | |
Derweil wandern Wölfe in die Lausitz ein, ziehen Kraniche durch | |
Brandenburg. Das Wattenmeer ist Weltnaturerbe geworden. Das Grüne Band, der | |
Biotopverbund an der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze, ist gesichert. | |
Das sind Erfolge für Artenschützer. Allerdings geht es dabei immer nur um | |
auffällige Exoten, spezielle Gebiete. Allerweltsarten wie die Feldlerche | |
haben davon wenig, sie kommen mit dem Menschen nicht mehr mit: Jeden Tag | |
werden in Deutschland 110 Hektar Fläche asphaltiert und betoniert. Wiesen | |
und Wälder machen Siedlungen und Straßen Platz. Dazu kommen Agrarwüsten: 80 | |
Prozent aller Flächen in Deutschland werden intensiv land- oder | |
forstwirtschaftlich genutzt. | |
Umweltschützer fordern darum vor allem strikte Ökovorgaben für Bauern. | |
Umweltminister Röttgen soll, so steht es im Koalitionsvertrag, ein | |
"Bundesprogramm biologische Vielfalt" auflegen. Nimmt er seinen Auftrag | |
ernst, muss er sich zuallererst mit Bundesagrarministerin Ilse Aigner (CSU) | |
anlegen - und ihr einen Ökokurs verschreiben. | |
11 Jan 2010 | |
## AUTOREN | |
Hanna Gersmann | |
## TAGS | |
Zugvogel | |
Biodiversität | |
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