# taz.de -- Die Wahrheit: Das Comeback des Nachtheulers | |
> Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (114): Die fast | |
> ausgerotteten Pumas gingen irgendwann in die Offensive. | |
Bild: Zwölf Pfoten für ein Halleluja: Pumas aus dem Zoo Oakland, USA | |
Weil der Dichter Rainer Maria Rilke den Panther im Pariser Zoo [1][besang], | |
entschied sich der Dichter Gottfried Benn für einen Puma im Berliner Zoo. | |
Im Frühjahr 1941 schrieb er seinem Freund Oelze: „Der Puma lag regungslos | |
auf einen Ast gestreckt, monoman, mit grünen Augen. Ich war tief | |
beeindruckt vom Tier, dem Verhafteten, ungeheuer Unterworfenen aller seiner | |
Wendungen und Bewegungen, seinen schauerlichen Wiederholungszwängen im | |
Traben, Schaben, Wetzen, Heulen, dieser ganzen Neuronen- und Reflexspannung | |
von geradezu fühlbarem Charakter, die nur die Entladung in die Muskulatur | |
kennt. | |
Offenbar die älteste Vorform des Bewusstseins –, noch ohne jeden Ausweg in | |
die Trennung vom Objekt, die wir dann brauchen … Ja, der Mensch erlöste den | |
Gott, aber dieser Prozess wird nicht zu Ende sein und etwas anderes wird | |
ihn von uns erlösen, denn sicher sind auch wir eine schauerliche Qual und | |
bedrücken die Erde tief.“ | |
In seiner Misanthropozän-Stimmung, noch bevor der Berliner Zoo mitsamt dem | |
Puma in Schutt und Asche zerbombt wurde, sieht Benn auch keinen Ausweg mehr | |
für die Raubkatze: „Ich sagte, ich liebe den Puma, aber füge hinzu, ich | |
glaube nicht, dass er für uns noch einmal gesetzlich wird.“ | |
Das dachten auch die Nordamerikaner, die ihn seit der Landung der ersten | |
Europäer so gut wie ausgerottet hatten: Bereits 1695 war jeder Ureinwohner | |
in South Carolina, der nicht jährlich einen Puma, einen Wolf und einen | |
Bären tötete, öffentlich ausgepeitscht worden. In Pennsylvania galten die | |
Pumas nach etlichen Treibjagden ab 1871 als ausgestorben. | |
David Parker lebt | |
Kalifornien bezahlte von 1907 bis 1963 Kopfprämien für 12.452 getötete | |
Pumas, Arizona in 22 Jahren bis 1978 für 5.700 Pumas, British Columbia von | |
1910 bis 1957 Kopfprämien für 16.000 erschossene Tiere. „Für die Pumas war | |
die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts ein einziges Gemetzel“, schreibt der | |
kanadische Umweltjournalist [2][Terry Glavin] in seinen „Geschichten aus | |
dem Zeitalter des Verschwindens: ‚Warten auf die Aras‘“ (2008). | |
Im Zuge der Umweltschutzbewegungen ab den siebziger Jahren und vermehrt in | |
den Neunzigern beschlossen die letzten zurückgezogen lebenden Pumas, da sie | |
zwar zu einer „geschützten Art“ erklärt worden waren, die menschlichen | |
Siedlungen und waldvernichtenden Holzkonzerne ihnen aber immer näher | |
rückten, in die Offensive zu gehen. | |
Vielleicht machten die auf Vancouver Island den Anfang. Drei Pumas, die | |
sich dort nacheinander einem Haus näherten, in dem ein David Parker lebte, | |
wurden jedoch sogleich erschossen. Später wurde Parker von einem Puma | |
angefallen und schwer verletzt, wobei es ihm gelang, das Tier zu erwürgen. | |
Ein Puma, der sich einem Schüler genähert hatte, wurde von einem Polizisten | |
erschossen, der später selbst Opfer eines Puma-Angriffs wurde. Ein | |
Radfahrer wurde von einem Puma zu Boden gerissen. Ein Holzfäller und zwei | |
Zelturlauber mussten sich einer „unsanften Begegnung mit einem Puma“ | |
erwehren, mehrmals wurden Jogger angefallen und einige getötet, und so | |
weiter … | |
Das einzige Tier | |
Man hätte diese und weitere Pumabegegnungen auf Vancouver Island, eine | |
riesige, dünn besiedelte Insel mit gemäßigten Regenwäldern und vielen | |
Hirschen, vielleicht als eine „unglückliche Serie zufälliger Ereignisse | |
abtun können“, so Terry Glavin, „aber dem war nicht so. Überall wurden | |
Menschen von Pumas angefallen“, es häuften sich vor allem die | |
Pumasichtungen, also die unblutigen Begegnungen. | |
Ihre Populationen hatten sich wahrscheinlich und zunächst unbemerkt erholt, | |
aber Glavin hält vor allem die Tatsache für entscheidend, „dass mehr | |
Menschen mehr Zeit in der Wildnis verbrachten als je zuvor. Sie hatten | |
keine Angst mehr vor der Wildnis, sie waren es, die sich dort in | |
Schwierigkeiten brachten.“ Ein Wildökologe veröffentlichte eine Statistik: | |
„Von 98 Puma-Angriffen in Nordamerika zwischen 1890 und 2001 hatte sich | |
annähernd die Hälfte in den 1990er Jahren ereignet.“ | |
In den USA lösten die vermehrten Angriffe der Pumas indes „weniger Angst | |
aus als Hoffnung auf ihre Wiederansiedlung. In Kalifornien, nach British | |
Columbia das Land mit der höchsten Steigerungsrate tödlicher Puma-Angriffe | |
auf Menschen, stimmten die Wähler 1990 in einem Volksentscheid dafür, den | |
Puma zum ‚besonders schützenswerten Tier‘ zu erklären. Er ist das einzige | |
Tier, das in Kalifornien diesen Status besitzt.“ Die dort ansässige | |
Computerfirma Apple nannte ein Betriebssystem „Puma“. | |
Für die in Florida lebenden Pumas wurden keine Kosten und Mühen gescheut, | |
um diese verschwindende Population dort zu erhalten, die als ausgestorben | |
galt, aber 1972 wieder entdeckt wurde. Dortige Untersuchungen ergaben dann | |
laut Wikipedia, „dass nur noch weniger als 30 Tiere dieser eher kleinen, | |
rötlich gefärbten Pumas dort lebten“. Um Inzuchtprobleme zu vermeiden, | |
„wurden 1995 mehrere weibliche Pumas aus Texas eingeführt. Sie gebaren | |
mindestens 25 Nachkommen von männlichen Florida-Pumas“ (die man dort | |
„Florida-Panther“ nennt). | |
Sumpfteufel | |
Die texanischen Pumaweibchen wurden danach wieder aus der | |
Florida-Population „entfernt“ (hoffentlich nur betäubt und, zurück in | |
Texas, wieder freigelassen). Bei genetischen Untersuchungen der | |
Florida-Pumas hatte man festgestellt, „dass bereits vor den offiziellen | |
Puma-Aussetzungen 1995 ein Teil der Florida-Panther sich mit | |
südamerikanischen Pumas verpaart hatte“. | |
Wie diese nach Florida kamen, ist unklar. „Es dürfte sich entweder um | |
entlaufene oder illegal ausgesetzte Tiere gehandelt haben, da eine | |
natürliche Zuwanderung kaum möglich ist.“ Aber wie auch immer, 2013 lebten | |
wieder rund 160 Pumas in Florida, von denen man viele mit Sendehalsbändern | |
ausgestattet hatte, um ihren weiteren Lebenslauf überwachen zu können. | |
Der Puma ist zwar aufs Ganze gesehen immer noch selten, aber er war und ist | |
in ganz Nord- und Südamerika verbreitet, dem entsprechend hat er viele | |
Namen, so viele, dass er im „Guiness-Buch der Rekorde“ den Titel des Tieres | |
mit den meisten Namen bekam, einige seien genannt: Nachtheuler, | |
Sumpfteufel, Panther, Berglöwe, Silberlöwe, Geisterläufer. Terry Glavin | |
nennt ihn wegen seines überraschenden Comebacks gegen Ende des 20. | |
Jahrhunderts den „Geist aus den Wäldern“. | |
Natürlich haben die meisten amerikanischen Zoos Pumas in ihrer Sammlung, es | |
gibt auch quasi reinrassige Pumazoos. In den USA ist die private Haltung | |
von Raubtieren erlaubt. Im Internet fand ich etliche Aufnahmen, die von | |
Hand aufgezogene Pumas in allen Größen als Hauskatzen zeigen, zum Teil in | |
Wildtier-Auffangstationen und Tierkliniken fotografiert oder gefilmt. | |
Wie die österreichische Tierschutzorganisation „Vier Pfoten“ berichtet, | |
gibt es auch in Deutschland gelegentlich Puma-Schicksale außerhalb der | |
Zoos. Einen namens Tikam erwähnen sie: Ein schwäbischer Geschäftsmann hatte | |
ihn für 2.300 Dollar von einer Züchterin in Tschechien gekauft und nach | |
Hause geschmuggelt, wo er mit ihm an der Leine spazieren ging. Das Tier | |
wurde beschlagnahmt und kam – obwohl zu den Kleinkatzen zählend – auf die | |
„Großkatzenstation“ von „Vier Pfoten“. | |
8 Feb 2021 | |
## LINKS | |
[1] http://rainer-maria-rilke.de/080027panther.html | |
[2] https://twitter.com/terryglavin | |
## AUTOREN | |
Helmut Höge | |
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