# taz.de -- Die Wahrheit: Fußlose Balz mit Federn | |
> Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (112): Die Paradiesvögel | |
> wären fast der Damenmode zum Opfer gefallen, heute sind sie geschützt. | |
Bild: Ob er sich auch fühlt wie im Paradies? Paradiesvogel, Neu-Guinea | |
Der zu den Rabenvögeln zählende Paradiesvogel lebt auf Neuguinea und | |
einigen Molukkeninseln, im Zuge der kolonialen Eroberungen war er fast | |
ausgerottet. Der Grund war wie bei vielen anderen Tieren, die Damenmode: | |
Seine Schwanzfedern wurden zu Hutschmuck verarbeitet. „1892 bestand die | |
einzelne Lieferung für ein Federgeschäft in London aus den Federn von 6.000 | |
Paradiesvögeln, 40.000 Kolibris und 360.000 Vögeln aus der Karibik“, | |
schreibt das Modemagazin [1][CarlMarie]. | |
Der englische Insektensammler Alfred Russel Wallace, dem wir die | |
Evolutionstheorie verdanken, mit der Darwin berühmt wurde, hatte 1855 sein | |
Lager auf der Molukkeninsel Ternate aufgeschlagen. Er fing allein 13.000 | |
Schmetterlinge, für jeden Käfer zahlte ihm ein Londoner Versicherungsmakler | |
einen Schilling. Auf Ternate entwarf Wallace seine „Theorie der Entwicklung | |
der Arten“, die er Darwin schickte. Er entdeckte ferner, dass die | |
Molukkeninseln auf der biogeografischen Schnittstelle zwischen der | |
australischen und der malaiischen Tierwelt liegen, die noch heute | |
„Wallace-Linie“ heißt. | |
Über die Paradiesvögel schreibt er in „Der Malayische Archipel“ (2009): | |
„Auf der einen Seite erscheint es traurig, dass so außerordentlich schöne | |
Geschöpfe ihr Leben ausleben und ihre Reize entfalten nur in diesen wilden, | |
ungastlichen Gegenden, welche für Jahrhunderte zu hoffnungsloser Barbarei | |
verurteilt sind; während es auf der anderen Seite, wenn zivilisierte | |
Menschen jemals diese fernen Länder erreichen und moralisches, | |
intellektuelles und physisches Licht in die Schlupfwinkel dieser Urwälder | |
tragen, sicher ist, dass sie die in schönem Gleichgewicht stehenden | |
Beziehungen der organischen Schöpfung zur unorganischen stören werden, | |
sodass diese Lebensformen, deren wunderbarer Bau und deren Schönheit der | |
Mensch allein imstande ist, zu schätzen und sich ihrer zu erfreuen, | |
verschwinden und schließlich aussterben.“ | |
Wallace lebte außerdem vom Verkauf von Paradiesvogelbälgern, und er | |
schätzte die Ordnung der überaus strengen Kolonialverwaltung, welche die | |
Molukker zu regelmäßiger Arbeit auf den Plantagen zwang. Er verteidigte | |
„selbst die Zerstörung der Muskatnuss- und Gewürznelken-Bäume auf vielen | |
Inseln, um ihren Anbau auf zwei zu beschränken“, auf denen die Holländer | |
„das Monopol leicht aufrecht erhalten“ konnten. Gewürznelken waren in | |
Europa wertvoller als Gold. | |
## Das Gewürzmonopol | |
Hier kommt ein einarmiger Botaniker, der Missionar Pierre Poivre ins Spiel: | |
Er bricht das holländische Gewürzmonopol, indem er, die Todesstrafe | |
riskierend, Samen der zwei Bäume stahl und nach Mauritius schmuggelte, wo | |
er sie in dem von ihm gestalteten „Jardin de Pamplemousses“ in die Erde | |
brachte. Poivre hatte an Paradiesvögeln kein Interesse, wie Wallace sich | |
umgekehrt nur nebenbei mit Pflanzen beschäftigte. | |
Auf den Molukken lebt der Bänderparadiesvogel, die Obiparadieskrähe und der | |
Königsparadiesvogel, auch „Wallace-Paradiesvogel“ genannt. 38 weitere Arten | |
leben auf Neuguinea. Das Geschäft lief meist über die Steuereintreiber des | |
Sultans, die sich mit Paradiesvögeln bezahlen ließen, der Sultan verkaufte | |
sie an Händler, die sie an europäische Federmachereien lieferten. | |
Weil die einheimischen Jäger die Vögel reduziert auf das Wesentliche – das | |
Federkleid – abgaben, kannte man sie in Europa nur ohne Beine; der Kaufmann | |
Jan van Linschoten hatte bereits 1598 geschrieben, „dass niemand diese | |
Vögel lebend gesehen hat, denn sie leben in der Luft, wenden sich stets | |
gegen die Sonne und lassen sich vor ihrem Tod nie auf die Erde nieder; sie | |
haben weder Füße noch Flügel, wie man an den Vögeln, die nach Indien und | |
manchmal auch nach Holland gebracht wurden, sehen kann.“ | |
## Die Mär der fußlosen Vögel | |
Der große Ordnungsstifter der Natur, Carl von Linné, nannte den | |
Königsparadiesvogel daraufhin „Paradisea apoda“ (fußlos). Zuvor hatte er | |
bereits eine Bananenstaude, die er im Gewächshaus des Direktors der | |
niederländischen Ostindienkompanie, Clifford studierte, „Musa paradisiaca“ | |
getauft, also „Paradiesfeige“. Da Linné von einer Einmalschöpfung, mithin | |
der Unveränderlichkeit der Arten, ausging, mussten Adam und Eva eine Banane | |
gegessen haben. | |
Poivre hatte in seinem Versuchsgarten auf Mauritius auch Bananenstauden | |
gepflanzt. Die Banane verbreitete sich später in alle südlichen Erdteile. | |
Poivres Hauptinteresse galt jedoch den Muskatnüssen und Gewürznelken. 25 | |
Jahre brauchte es, bis er die ersten Nüsse von Tausenden zum Keimen | |
brachte, und noch einmal sieben Jahre, bis 1778 die ersten Muskatbäume | |
Nüsse trugen. Poivre stieg zur „Kernfigur des Gewürzhandels“ auf, wie der | |
Botaniker Marc Jeanson und die Autorin Charlotte Fauve in ihrem Buch „Das | |
Gedächtnis der Welt“ (2020) schreiben. | |
Mit der Paradiesfrucht Banane hatte Linné indes ein sexuelles Problem. Nach | |
der Entdeckung der Geschlechtsorgane der Pflanzen durch Rudolf Jacob | |
Camerarius im Tübinger Botanischen Garten 1694, wonach ihr Staubblatt der | |
Hoden, ihr Stempel die Vagina und ihre Pollen das Sperma war, hatte Linné | |
laut Jeanson und Fauve „die Obszönität „die Obszönität auf die Spitze | |
getrieben, indem er Scheide und Penis der Pflanzen zum Grundordnungsprinzip | |
der belebten Welt“ erhob. Sein Prinzip gilt noch immer, aber bei der Banane | |
handelt es sich um eine Fruchtentwicklung ohne Befruchtung: diese | |
„parthenokarpe Kulturform“ kommt ohne Samenentwicklung aus. | |
## Nobelpreis gab es noch nicht | |
Für die „Evolutionstheorie“ wurden Wallace und Darwin von der „Linnean | |
Society of London“ 1858 gemeinsam geehrt. Für Darwins Theorie war die | |
„natürliche“ und die „sexuelle Selektion“ wesentlich, für Letztere be… | |
sich Darwin auf besonders prächtige männliche Vögel, unter anderem auf | |
Paradiesvögel, über die er mit Wallace korrespondierte. Wallace, der sie | |
anders als Darwin beobachtet hatte, hielt die sexuelle Selektion jedoch für | |
falsch und überflüssig. Sie postuliert, dass die Männchen um die Weibchen | |
konkurrieren, aber die Weibchen wählen – und zwar den Schönsten, Stärksten, | |
Gesündesten … | |
Gegen diese Annahme wandte der Basler Biologe Adolf Portmann ein, dass „vor | |
allem die Beobachtung keine einwandfreie Beweise für eine Wahl seitens der | |
Weibchen“ erbracht hat. „Gerade mit den imposantesten Beispielen dieser | |
Art, dem Pfau und dem Argusfasan, hatte Darwin Pech: hier gibt es keinerlei | |
Wahl durch die Weibchen“, schreibt der Zürcher Tierpsychologe [2][Heini | |
Hediger]. Ähnlich sähe es bei den Paradiesvögeln, Webervögeln und | |
Seidenstaren aus, die mitunter „ganz für sich allein balzen“. | |
Die Kampfläufer würden zwar in Gruppen balzen, aber zum Einen seien die | |
„spektakulären Kämpfe“ der Männchen „harmlose Spiegelfechtereien“ un… | |
Anderen nähmen die Weibchen keinerlei Notiz davon: „Nicht einmal hinschauen | |
tun sie.“ | |
Wenn es bei den Bananen an männlichen Samen fehlt, fehlt es bei den | |
Kampfläufern und Paradiesvögeln an weiblicher Aufmerksamkeit. Letztere sind | |
auf den Molukken heute geschützt, den Touristen werden | |
Paradiesvogel-Exkursionen angeboten, ihre Balz müssen sie sich aber auf | |
youtube ansehen, sie findet außerhalb der Saison statt. | |
21 Dec 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.carlmarie.de/ | |
[2] https://www.biologie-seite.de/Biologie/Heini_Hediger | |
## AUTOREN | |
Helmut Höge | |
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