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# taz.de -- Verfassungsgericht zu Antiterrordatei: Data Mining nur bei Gefahr
> Zum zweiten Mal beanstandet Karlsruhe die Antiterrordatei. Projekte
> zwischen Polizei und Verfassungsschutz werden erschwert.
Bild: Robotergesteuertes Speichersystem mit Daten im Bundeskriminalamt
Freiburg taz | Teile des Antiterrordatei-Gesetzes sind verfassungswidrig.
Das entschied das Bundesverfassungsgericht in einem Senatsbeschluss, der an
diesem Freitag veröffentlicht wurde. Polizei und Verfassungsschutz dürfen
im Rahmen der Antiterrordatei zunächst keine gemeinsamen Projektdateien
mehr führen. Voraussetzung für das Data Mining müsse nach einer Neuregelung
eine konkrete Gefahr oder ein begründeter Verdacht sein.
Die Antiterrordatei sollte nach den islamistischen Anschlägen von 2001 die
Zusammenarbeit von Polizei und Verfassungsschutz gegen den internationalen
Terrorismus verbessern. Die Verbunddatei enthielt keine neuen Daten,
sondern erleichterte nur den Überblick, welche Behörde zu welcher Person
etwas gespeichert hat. Die Datei wurde nach langem Zögern der
Verfassungsschutz-Ämter, die Angst um ihre Quellen hatten, erst 2006
eingerichtet. Stand 2017 speicherte sie knapp 12.000 IslamistInnen, die
großteils im Ausland leben. Faktisch ist es eine Islamistendatei.
[1][Das Bundesverfassungsgericht befasste sich 2013] erstmals mit der
Antiterrordatei, billigte die Grundstruktur und beanstandete zahlreiche
Details, etwa eine mangelnde Kontrolle durch die Datenschutzbeauftragten.
Im Reparaturgesetz fügte der Bundestag dann auf Wunsch der
Sicherheitsbehörden auch noch eine zusätzliche Funktion ein. Polizei und
Verfassungsschutz können jetzt zu bestimmten „Projekten“ gemeinsame Dateien
anlegen und aus der Verknüpfung der Daten neue Erkenntnisse schöpfen. Als
mögliches Thema für derartige Data-Mining-Projekte wurde damals die
Ausreise von kampfbereiten Islamisten nach Syrien oder deren Rückkehr nach
Deutschland genannt.
Nun hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts auch den
Data-Mining-Paragrafen beanstandet. Die projekthafte Zusammenführung der
Daten von Polizei und Verfassungsschutz sei unverhältnismäßig, weil
konkrete Eingriffsschwellen fehlen. Künftig muss den Projekten eine
konkrete Gefahr oder ein begründeter Verdacht von Straftaten des
internationalen Terrorismus zugrunde liegen. Bis zu einer Neuregelung darf
der Paragraf ab sofort nicht mehr angewandt werden. Die RichterInnen
erklärten ihn für „nichtig“.
Das wird die Sicherheitsbehörden aber nur mäßig schmerzen. Denn im Rahmen
des Karlsruher Verfahrens wurde bekannt, dass Polizei und Verfassungsschutz
den Data-Mining-Paragrafen noch kein einziges Mal genutzt hatten. Auch eine
vergleichbare Regelung in der 2012 eingerichteten Rechtsextremismusdatei
fand noch nie Anwendung. Die Behörden begründeten das mit
Software-Problemen. Außerdem finde der Informationsaustausch heute eher von
Mensch zu Mensch im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) statt.
[2][Erfolgreicher Kläger war der pensionierte Oldenburger Richter Robert
Suermann.] Er hatte auch schon 2013 das erste Urteil zur Antiterrordatei
erstritten. Die Bundesregierung hatte seine Klage zwar für unzulässig
gehalten, denn ein pensionierter Richter müsse nicht befürchten, in einer
Datei für gefährliche Islamisten zu landen. Das Bundesverfassungsgericht
erklärte jedoch, Richter Suermann werde „mit einiger Wahrscheinlichkeit“
vom Data-Mining-Paragrafen „berührt“. Das meinen die
VerfassungsrichterInnen vermutlich nicht ernst. Solche fantasievollen
Annahmen sind aber notwendig, damit die Klage zulässig ist und das Gericht
eine Norm für verfassungswidrig erklären kann.
11 Dec 2020
## LINKS
[1] /Antiterrordatei-rechtlich-uebergeprueft/!5068725
[2] /Jurist-ueber-die-Antiterrordatei/!5093310
## AUTOREN
Christian Rath
## TAGS
Islamismus
Terrorismus
Bundesverfassungsgericht
Bremen
Datenschutz
Haftbedingungen
Islamismus
Big Data
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