# taz.de -- Streit um Streaming-Modelle: Geld her, aber schnell! | |
> Das Coronajahr 2020 bescherte Spotify rund 50 Millionen mehr Kund:innen. | |
> Bei vielen Künstler:innen, die die Inhalte liefern, kommen kaum Erlöse | |
> an. | |
Bild: #paytheartist, fordert die Berliner Musikerin Balbina | |
Für die meisten Musiker:innen war 2020 eine Vollkatastrophe. Die | |
Haupteinnahmequelle – Live-Konzerte – fiel weg, vielen hat das vor Augen | |
geführt, dass die Zahlungen von Streamingdiensten bestenfalls Zubrot sind. | |
Insbesondere Marktführer Spotify, zuletzt mit einem [1][Marktanteil von | |
rund 38 Prozent], wird für seine Geschäftspraktiken gescholten. | |
Grundsätzlich ist Streaming eine gute Sache. Die Berliner Künstlerin | |
Balbina sagt etwa: „Ich habe nichts dagegen, ganz im Gegenteil. Die Leute | |
geben mit ihren Abos im Schnitt 120 Euro pro Jahr für Musik aus. Wir sind | |
weg von der Piraterie und haben endlich wieder eine Wertschöpfungskette für | |
Tonträger. Der Markt boomt.“ In der Tat: Die Krise der Musikindustrie ist | |
passé, seit Jahren steigen die Gesamtumsätze. Auch in Deutschland kommen | |
mittlerweile 55,1 Prozent (2019) des Gesamtumsatzes der Tonträgerindustrie | |
(1,62 Milliarden Euro) über Streaming rein (2015: 14,4 Prozent). | |
Via Spotify erreicht auch Balbina Fans: Knapp 700.000 streamten ihren Song | |
„Langsamer Langsamer“, rund 15.000 hören ihre Musik im Monat. Und doch | |
bekämpft sie das „System Spotify“. Mit Hashtags wie #paytheartist fordert | |
sie ihre Follower:innen dazu auf, mehr physische Produkte zu kaufen und | |
Tracks downzuloaden. Bei den Künstler:innen bleibe viel zu wenig Geld | |
hängen. Aktuell zahlt Spotify [2][zwischen 0,26 und 0,43 Cent pro Stream]. | |
Allerdings sind dies Durchschnittszahlen, Abweichungen sind so groß, dass | |
sie mit Vorsicht zu genießen sind. | |
Balbina ist nicht die Einzige, die den Streaminggiganten angreift. Auch die | |
britische Songwriterin Nadine Shah ging kürzlich [3][an die | |
Öffentlichkeit]: obwohl sie über 100.000 monatliche Hörer:innen bei Spotify | |
habe, könne sie ihre Miete kaum zahlen. Und zuletzt formierte sich die | |
Kampagne „Justice at Spotify“, der sich fast 26.000 Künstler:innen | |
angeschlossen haben. Ihre Hauptforderung: Die Aufteilung der | |
Spotify-Ausschüttungen solle transparent gemacht werden, mindestens 1 Cent | |
pro Abruf solle an Künstler gehen und ein „user-zentriertes Zahlungsmodell“ | |
eingeführt werden. | |
Aktuell zahlt Spotify nach dem Pro-Rata-Modell: Dabei wird nur die | |
Gesamtanzahl der Streams berücksichtigt, alle Einnahmen fließen in einen | |
Topf, es wird nach der Zahl der Klicks abgerechnet. Dabei kann viel Geld | |
von Nutzer:innen bei Acts landen, die sie nie gehört haben. Beispiel: Wenn | |
jemand gerne Die Ärzte abspielt, rund 40 Mal im Monat, ginge ein Großteil | |
seines monatlichen Beitrags an andere Künstler:innen, weil diese auf viel | |
höhere Abrufzahlen kommen. | |
Auch der Verband der Independent-Labels in Deutschland (VUT) fordert daher | |
die Einführung des user-zentrierten Zahlungsmodells: Das Geld von Nutzern | |
ginge dann ausschließlich an jene, die sie gehört haben. Im beschriebenen | |
Fall würde der Monatsbeitrag des Fans direkt bei Die Ärzte landen. Dieses | |
Modell, so legen Analysen nahe, [4][würde kleineren Künstlern zugutekommen] | |
und zudem dafür sorgen, dass [5][lokale Märkte] relevanter würden. | |
Hinzu kommt, dass Spotify in seiner jetzigen Form betrugsanfällig ist. Nach | |
wie vor [6][werden Bots eingesetzt und auf diese Weise Fake Streams | |
erzeugt]: Ein Bot sorgt dann dafür, dass ein beliebiger Track im System | |
möglichst oft gestreamt wird. Daraus können ganze Geschäftsmodelle werden – | |
erst kürzlich hat der Bundesverband Musikindustrie juristisch erwirkt, dass | |
fünf Betrugs-Websites verboten wurden. Spotify selbst scheint kein Mittel | |
dagegen einzufallen oder einfallen zu wollen. Da das Unternehmen selten mit | |
Pressevertreter:innen spricht (auch gegenüber der taz wollte man sich nicht | |
äußern), muss man jedenfalls davon ausgehen. | |
## Für Spotify läuft's | |
Für Spotify lief 2020 gut. Der Streamingdienst gewann rund 50 Millionen | |
Nutzer:innen hinzu, in den ersten drei Quartalen kam man auf 5,7 Milliarden | |
Euro Umsatz, fast so viel wie 2019 insgesamt. [7][Der Markenwert steigt]. | |
Gewinn macht Spotify aber immer noch nicht. Den Einnahmen stehen Ausgaben | |
für Zahlungen an alle Rechteinhaber, Serverdienste, Marketing gegenüber. | |
Nicht zu vergessen Gehälter, [8][laut MusicBusiness Inside verdienten | |
Spotify-Angestellte 2018 durchschnittlich 112.000 Euro]. Zudem tritt | |
Spotify auch zwischen 55 und 60 Prozent der Einnahmen an die – wiederum an | |
Spotify beteiligten – Majorlabel wie Universal ab, die entsprechende | |
Lizenzierungsdeals vereinbart haben. | |
Insofern sehen viele den schwarzen Peter bei den Labels – dort bleibe zu | |
viel Geld hängen. Weil das Geschäft so intransparent ist, kann man es nur | |
schätzen. „Wir sehen am Ende unsere eigenen Nettoerlöse auf den | |
Abrechnungen“, erklärt Balbina, „aber als Anteil wovon? Das wissen wir | |
nicht. Es ist nicht mehr so wie zu den Zeiten der physischen Tonträger, als | |
Media Control einem transparent vorgerechnet hat, wie viele Alben DJ Bobo | |
und Marusha verkauft haben.“ | |
## Kann man sich Klickzahlen erkaufen? | |
Viele Künstler:innen haben aber noch Verträge aus den Zeiten, in denen | |
Streaming als (Haupt-)Einnahmequelle gar nicht vorgesehen war, und „die | |
Labels ziehen sich trotzdem noch 35 Prozent für Kosten aus dem physischem | |
Vertrieb ab“, sagt Balbina. „Wenn aber keine CD mehr produziert und | |
eingelagert wird, gibt es keine realen abziehbaren Kosten.“ | |
Für Künstler:innen bräuchte es auch bessere juristische Handhabe. Aktuell | |
wird um ein wichtiges Gesetzgebungsverfahren gerungen: Die EU-Richtlinie | |
zum Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt soll bis Juni 2021 in deutsches | |
Recht übertragen werden. Bisherige Entwürfe riefen jedoch [9][Entsetzen bei | |
vielen Urheber:innen hervor,] sie sehen die Position der Kreativen darin | |
geschwächt und die der Plattformen gestärkt. | |
Zuletzt wurde überdies ein neues Spotify-Feature diskutiert. Es sieht vor, | |
dass Labels und Künstler*innen Einfluss auf den Algorithmus nehmen, indem | |
sie bestimmte eigene Inhalte als „wichtig“ markieren – der Algorithmus | |
behandelt diese dann bevorzugt. Im Gegenzug bekommen sie weniger Tantiemen. | |
Sollten Künstler:innen dieses Spielchen mitspielen, könnte es passieren, | |
dass sie noch weniger Geld für ihre Abrufe bekommen und womöglich trotzdem | |
nicht mehr gehört werden. Vom Zubrot würden nur mehr Krumen bleiben. | |
12 Dec 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.handelsblatt.com/technik/it-internet/musik-streaming-spotify-ue… | |
[2] https://www.digitalmusicnews.com/2020/08/17/how-much-does-spotify-pay-per-s… | |
[3] https://www.digitalmusicnews.com/2020/11/27/nadine-shah-spotify-royalties/ | |
[4] https://medienorge.uib.no/files/Eksterne_pub/User-sentric-settlement-for-mu… | |
[5] https://medienorge.uib.no/files/Eksterne_pub/User-sentric-settlement-for-mu… | |
[6] https://www.br.de/puls/musik/aktuell/spotify-streams-manipulierbar-buch-100… | |
[7] https://www.wuv.de/marketing/corona_schuettelt_interbrand_ranking_durcheina… | |
[8] https://www.musicbusinessworldwide.com/the-average-salary-of-a-spotify-empl… | |
[9] https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/kuenstler-und-verbaende-kriti… | |
## AUTOREN | |
Jens Uthoff | |
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