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# taz.de -- Erzählung „Irische Passagiere“ von Richard Ford: Passagen zwis…
> US-Schriftsteller Richard Ford bringt neue Erzählungen heraus. Darin
> weigern sich Menschen, von einem Lebensabschnitt zum nächsten zu gehen.
Bild: Man geht spazieren, redet miteinander und verabschiedet sich wieder: Lieb…
Ein mittelalter Mann mit irischen Wurzeln trifft zufällig eine Liebe aus
Studienzeiten wieder. Die beiden gehen spazieren und reden und
verabschieden sich dann wieder. Ein anderer Mann lebt gerade in Paris, weil
ihm zu Hause, in Amerika, alles „um die Ohren geflogen“ ist – und geht
eines Abends mit einer spektakulären französischen Galeristin aus. Sie
trinken in einer Bar, treffen einen irischen Kollegen.
Bevor es aber zur Frage kommt, wo sie die Nacht verbringen, wird er heftig
von einem Besoffenen verprügelt. Ein dritter Mann kommt in New York beim
Erwerb eines prachtvollen Lofts mit einer Maklerin zusammen. Bald werden
sie sich wieder trennen.
Die Lektüre der neuen Kurzgeschichten von Richard Ford, die unter dem Titel
„Irische Passagiere“ erschienen sind, gestaltet sich zunächst wie die
Betrachtung eines kniffligen Suchbilds. Immer wieder bleibt der Blick beim
Offensichtlichen hängen, bei der irischen Herkunft einer der Haupt- oder
auch nur der Nebenfiguren – als verbindendes Element aber gibt diese
Oberfläche nichts her, wirkt gar aufgesetzt.
Erst bei der dritten oder gar vierten Geschichte beginnt man zu begreifen:
Der große amerikanische Autor Richard Ford wäre nicht Richard Ford, wenn es
ihm bloß um die Erzählung von verschiedenen Menschen mit sogenannten
„irischen Wurzeln“ ginge. Viel weiter kommt man mit dem Wort „Passagiere�…
im Titel. Fords Männer, die übrigens alle gut betucht bis stinkreich sind,
haben allesamt etwas Wichtiges verloren. Sie sind auf der Überfahrt.
## Der erhellende Zustand des Dazwischen
Und von diesem erhellenden Zustand des Dazwischen erzählt Richard Ford wie
üblich zurückhaltend, nebenbei und dennoch genau. Einen Augenblick lang
sind diese nicht immer netten Helden in der Lage zu erkennen, wie
austauschbar doch alles ist.
Die Geschichte, bei der dies am deutlichsten zum Ausdruck kommt, ist die
längste, die Kerngeschichte, wie sie in vielen Erzählbänden üblich ist, aus
der vielleicht, wie manche professionellen Leser denken mögen, am ehesten
ein Roman hätte werden können. Sie heißt „Im Lauf deines Lebens“ und
handelt von einem Peter Boyce, dessen Frau Mae zum zweiten Mal Krebs
bekommt und sich daraufhin das Leben nimmt. Mae war Klavierlehrerin, eine
„erbärmliche Hausfrau“, nicht „ganz so anmutig“, wie der Witwer sich g…
erinnert, aber von Anfang an „schlauer, als er je sein würde“.
Irgendwas in Boyce weigert sich stur, zum nächsten Lebensabschnitt
überzugehen, weshalb er sich in jenem Ferienort ein Haus mietet, in dem er
mit Mae immer Urlaub machte. Sein Kopf fährt Karussell. Irgendwann kommt er
dann in sehr wenigen, trockenen Sätzen zum Gravitationszentrum aller
Geschichten in „Irische Passagiere“.
## Das Leben – ein Katalog
„Etwas geschieht und scheint das ganze Leben zu verändern“, so Boyce. „U…
dann raspelt sich alles zum erträglichen Maß zurecht, manchmal ein bisschen
besser.“ Und etwas später: „So, dachte er, würde jetzt das ganze Leben
sein, vielleicht noch lange: ein Katalog. Das und dann das und dann das und
dann das.“
Und plötzlich fallen sie einem wieder ein, all die Sätze, die auch schon
die Männer in den anderen Geschichten gesagt haben. Dem Mann mit der Frau,
die in Island bleibt, ist zum Beispiel die Trennung egal, auch wenn er sie
hätte heiraten können. Der Mann in Paris denkt, dass es keine Rolle mehr
spielt, wo man gerade ist.
Die Fragen, die Ford stellt, sind oft gestellt worden: Warum eigentlich
haben wir uns ausgerechnet das Leben ausgesucht, das wir leben – und kein
anderes? Und wie gibt man dem zweiten Leben Sinn, wenn das erste zerbrochen
ist? Und trotzdem. Auf mysteriöse Wiese kommt das alles daher, als wäre es
noch nie erzählt worden.
Wahrscheinlich liegt es daran, dass Ford seinen Helden nicht erlaubt, am
neuen Ort anzukommen. Es ist, als ob er ihre Passagen ziemlich genießt –
und mit ihm die Männer, die er beschreibt, die eigentlich hier zu einem
viel sympathischeren Ich finden. So, als würde er ihnen zurufen: „Such dir
keine zweite Frau, kauf dir kein zweites Haus!“ Und: „Bleib doch noch
etwas, hier auf der Passage, wo es gerade so schön schwankt und
schaukelt!“
18 Dec 2020
## AUTOREN
Susanne Messmer
## TAGS
Literatur
Kurzgeschichte
Erzählungen
Leben
Paarbeziehungen
Buch
Roman
Literatur
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