Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Roman „Grand Hotel Europa“: Gäste des Enfant terribles
> Universalgelehrte, lebenslustige Griechen, eine Caravaggio-Expertin und
> ein Page verströmen in Ilja Leonard Pfeijffers neuestem Buch morbiden
> Charme.
Bild: In Pfeijffers Roman erfahren wir nicht wo das Grand Hotel liegt, es könn…
Der Ich-Erzähler im Roman des Niederländers Ilja Leonard Pfeijffer – ein,
wie es heißt, „bekannter Autor“ namens Ilja Leonard Pfeijffer – hält se…
Einzug in das illustre, ein wenig dem Verfall geweihte Grand Hotel Europa,
um dort darüber nachzudenken, warum eigentlich die Sache mit Clio
schiefgegangen ist, einer Frau, in die er sich in Genua unsterblich
verliebt hatte und mit der er nach Venedig gezogen war.
Das [1][titelgebende Hotel], das sich in einem ungenannten Land irgendwo im
Herzen Europas befindet, verströmt den morbiden Charme des 19.
Jahrhunderts, als dort noch die europäische Aristokratie ein und aus ging.
Geleitet wird es von einem „Majordomus“ namens Montebello, der sich um das
Wohlergehen seiner – allesamt etwas skurrilen – Dauergäste kümmert. Für …
eher praktischen Belange der Gäste ist der „Piccolo“ Abdul zuständig, ein
Flüchtlingsjunge, mit dem sich der Icherzähler gern einmal bei einer
Zigarette unterhält.
Dort quartiert sich die Hauptfigur ein und lässt die Geschichte seiner
großen Liebe Clio Revue passieren. Sie war Kunsthistorikerin aus altem
Genueser Adel und Caravaggio-Expertin. Kurz nach ihrem Kennenlernen findet
sie eine Anstellung in Venedig, und der Icherzähler folgt ihr dorthin.
## Nachdenken über Europa
Clio reicht ihm zuverlässig die Themen an, um die sich der Roman rankt: den
Massentourismus etwa, dem Orte wie Venedig, Amsterdam oder das kleine
niederländische Moordorf Giethoorn anheimfallen, die Suche nach einem
verschollenen Caravaggio-Gemälde oder, eingebettet in alldem, das
Nachdenken über Europa und die europäische Kultur.
Der klug konstruierte Roman folgt zwei großen Handlungssträngen. Im
Mittelpunkt des ersten stehen die Ereignisse im Hotel – der Umbau durch den
neuen Eigentümer und der wachsende Zustrom chinesischer Gäste – sowie die
Gespräche mit dem Majordomus, dem lebenslustigen Griechen Volonaki, dem
Universalgelehrten Patelski, der verrückten Dichterin Albane und, vor
allem, dem Pagen Abdul, der dem Icherzähler beziehungsweise Autor Episoden
seiner tragischen Flucht erzählt, damit dieser sie aufschreiben möge.
Der zweite Handlungsstrang bildet den Zeitraum ab, den der Icherzähler mit
Clio verbracht hat – einer Frau „mit Gebrauchsanweisung“, wie man in den
Niederlanden sagen würde. Klug und charmant verfügt Clio allerdings über
eine sehr kurze Lunte: Der kleinste Flügelschlag reicht aus, um einen
Riesenstreit zu entfachen.
Das alles ist kunstvoll miteinander verwoben und lenkt immer wieder auf das
zentrale Thema des Romans hin: die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des
europäischen Kontinents.
## Erinnert an Grimmelshausens „Simplicissimus“
Der 1968 bei Den Haag geborene und promovierte Altphilologe Ilja Leonard
Pfeijffer, mit Wohnsitz in Genua, gilt in den Niederlanden als Enfant
terrible, weil er in seinem Schreiben kein Blatt vor den Mund nimmt. Er
pflegt dabei einen etwas barocken Stil, der, gepaart mit selbstironischer
Distanz, bisweilen an den [2][„Simplicissimus“ eines Grimmelshausen]
erinnert.
In „Grand Hotel Europa“ wechseln sich dabei längere essayistische Passagen
mit saftigen Dialogen und ironischen, nicht selten slapstickartigen
Situationsbeschreibungen ab, ohne dass es jedoch als störend oder gar als
Stilbruch erscheint. Vielmehr hat man als Leser das Gefühl, dass es genauso
sein muss.
Dabei hält der Erzähler immer wieder inne und versichert dem Leser, dass er
das soeben Geschriebene in seinem fertigen Roman natürlich so nicht
verwenden werde. Ein für weite Teile seines Œuvres typisches Spiel mit
Wahrheit und Fiktion, das in „Grand Hotel Europa“ auf die absurdesten
Spitzen getrieben wird.
„Grand Hotel Europa“ ist eine faszinierende Lektüre. Ilja Leonard Pfeijffer
verfügt über eine scharfe Beobachtungsgabe, ist versponnen in seinen
Gedankengängen, klug in seinen Urteilen, wild und frech in seiner
Fabulierlust, treffsicher in seinen Pointen und vor allem ein großartiger
Unterhalter.
21 Dec 2020
## LINKS
[1] /Hotel-Europa-in-Wien/!5261397
[2] /Schauspiel-Hannover/!5154845
## AUTOREN
Gerd Busse
## TAGS
Buch
Roman
Literatur
Europa
Literatur
Avantgarde
Literatur
## ARTIKEL ZUM THEMA
Jane Gardam „Robinsons Tochter“: Das gelbe Haus ist eine Insel
Jane Gardams Roman „Robinsons Tochter“ wurde nach 35 Jahren nun erstmals
ins Deutsche übersetzt. Er zeichnet ein Frauenleben im Zeitraffer.
Antirassistisches Werk „Nancy Cunards Negro“: Die Avantgarde schlägt zurü…
Nancy Cunard initiierte mit schwarzen Autor:Innen die erste Geschichte
afroamerikanischer Kultur. Sie zu lesen lohnt bis heute.
Erzählung „Irische Passagiere“ von Richard Ford: Passagen zwischen zwei Le…
US-Schriftsteller Richard Ford bringt neue Erzählungen heraus. Darin
weigern sich Menschen, von einem Lebensabschnitt zum nächsten zu gehen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.