| # taz.de -- Stadtsoziologin über Tech-Unternehmen: „Tesla oder Techno“ | |
| > Weltweit buhlen Städte um Tech-Firmen. Die Stadtsoziologin Sharon Zukin | |
| > erklärt, welche Folgen das hat und wie Amazon und Co. kontrollierbar | |
| > werden. | |
| Bild: Berlin steht für Tesla? So weit ist es zum Glück noch nicht. Firmengrü… | |
| taz: Frau Zukin, in Ihrem Buch „The Innovation Complex“ schreiben Sie über | |
| die Tech-Industrie in New York. Was bringt Sie dazu, als Stadtsoziologin | |
| darüber zu forschen? | |
| Sharon Zukin: Für mich war es erst einmal irrelevant, ob ich zur Tech-, | |
| Kleidungs- oder irgendeiner anderen Industrie forsche. Ich will zeigen, wie | |
| Unternehmen einen Vorteil aus den lokalen Ressourcen schlagen, die Städte | |
| bereitstellen. Die Tech-Industrie ist da eine traditionell kapitalistische | |
| Branche: Sie will Subventionen und Grundstücke in bester Lage. Besonders an | |
| ihr ist allerdings, dass sie viel machtvoller und reicher ist als etwa die | |
| Automobil- oder Stahlindustrie und dass die Produkte der Tech-Industrie | |
| auch Plattformen sind. Die Ressourcen der Stadt werden so auf viele | |
| verschiedene Weisen genutzt. | |
| Woran denken Sie da genau? | |
| Anbieter von Kartendiensten nutzen beispielsweise die Straßen, um ihre | |
| Produkte zu perfektionieren. Die Stadt ist aber auch ein Ort zum Entwickeln | |
| von Prototypen, etwa für autonom fahrende Autos. Dazu kommt, dass Städte | |
| zum Arbeitsmarkt für Tech geworden sind – am oberen Ende sind die | |
| Ingenieur:innen für Künstliche Intelligenz, am untere Ende die | |
| Uber-Fahrer:innen. Gleichzeitig stellt die Stadt die notwendigen | |
| Bildungsinstitutionen, die Menschen für Tech-Berufe ausbilden. | |
| Stadtregierungen sind aber auch Kunden der Tech-Unternehmen, schließlich | |
| brauchen sie Computer, WLAN und Internetdienste. Für Städte ist es also | |
| schwierig, sich von der Tech-Industrie zu befreien und autonom zu sein. | |
| Gleichzeitig buhlen Stadtregierungen regelrecht um Tech-Unternehmen: | |
| Städte, so Ihre These, wollen nicht mehr „kreativ“, sondern „innovativ“ | |
| sein. Wie ist es zu diesem Wandel gekommen? | |
| Als 2008 die Wirtschaftskrise ausgebrochen ist, gab es einen | |
| Paradigmenwechsel. Damals haben die Leute bemerkt, dass die | |
| Kreativwirtschaft krisenanfällig ist und nicht ausreichend gute Jobs | |
| schafft. Sie wollten eine solidere wirtschaftliche Grundlage in den Städten | |
| – das ist der Ursprung des Diskurses um Innovation: Er suggeriert, dass die | |
| Tech-Industrie wirtschaftlich produktiver ist. | |
| Was meint der Begriff „Innovation“ dann konkret? | |
| Am Ende meiner Forschung bin ich zu dem Schluss gekommen, dass Innovation | |
| ein ideologisches Projekt ist. Wir beide würden wohl sagen, dass | |
| Innovationen etwas wirklich Neues und Gutes sind – etwas, das sich | |
| eventuell in Nobelpreisen messen lässt. Für Unternehmen aber sind | |
| Innovationen bloß neue Produkte oder Dienste, die sie vermarkten können. | |
| Und die Regierungen der Städte erhoffen sich, dass sie als „innovative | |
| Stadt“ wirtschaftlich überleben können. Wenn ich mir also den Diskurs über | |
| Innovation anschaue, werden darunter ökonomische Selbstinteressen | |
| zusammengeführt. | |
| Wird Berlin also bald eher für seine Tesla-Fabrik bekannt sein als für | |
| seine Technoclubs? | |
| Es gibt eine starke Beziehung zwischen Tech und kreativer Arbeit – auch | |
| wenn KI-Ingenieur:innen aus dem Silicon Valley als wenig begeistert für | |
| Gegenkultur gelten. Mittlerweile wollen aber immer mehr junge | |
| Softwareingenieur:innen alternative Kultur konsumieren. Städte wie New | |
| York, London oder Berlin brauchen Künstler:innen darum, um die Stadt mit | |
| Musik und Clubs zu „dekorieren“ – auch wenn es schrecklich klingt, das so | |
| zu sagen. Ob Berlin als Tesla-City bekannt wird, hängt aber eher davon ab, | |
| ob Tech zur dominierenden Branche wird. In New York gibt es die noch | |
| größere Finanzindustrie, in Berlin ist die Situation eine andere. Es wird | |
| darauf ankommen, wie sehr die Regierung den Bedürfnissen der Tech-Industrie | |
| nachkommt – ein Problem, dem sich Städte weltweit stellen müssen. | |
| Sie schreiben, dass Städte mittlerweile eine regelrechte „Urbanisierung des | |
| Silicon Valley“ erleben. | |
| Ja, die Tech-Industrie ist in die Städte gezogen. Ein wesentliches Merkmal | |
| des Silicon Valley sind Partnerschaften zwischen dem privaten Sektor, den | |
| Universitäten und – das ist wichtig – den Immobilienentwickler:innen. Das | |
| zwingt Städte nämlich dazu, Grundstücke auszuweisen. Im Silicon Valley hat | |
| dem kaum jemand Aufmerksamkeit geschenkt, weil es dünn besiedelt ist. Aber | |
| wenn die Tech-Industrie in Städte zieht, wo Leute untereinander um Wohnraum | |
| konkurrieren, ist das etwas anderes. | |
| Was passiert dann? | |
| Am Anfang hast du die Konflikte nicht so richtig gesehen, weil die | |
| Tech-Industrie klein begonnen hat. Du denkst, alles ist super: Erst haben | |
| die Leute an ihren Laptops in Cafés gearbeitet, jetzt sitzen sie in ihren | |
| Coworkingspaces oder kleinen Start-ups. Aber dann siehst du Amazon und | |
| Google, wie sie größer werden. Wenn es zu einem Wettbewerb um Raum kommt, | |
| entstehen Konflikte. An der Konkurrenz um Grundstücke und Immobilien werden | |
| die Probleme dann am deutlichsten. | |
| Wie ist die Situation heute? | |
| Tech-Unternehmen kaufen und leasen weltweit sehr viele Bürogebäude. In New | |
| York baut Google gerade 90.000 Quadratmeter neue Bürofläche, zusätzlich zu | |
| den 45.000 Quadratmetern, die sie schon haben. Facebook hat ein komplettes | |
| Postgebäude geleast, ein gigantischer Raum. Von Amazon wurden gleich | |
| mehrere solcher Verträge unterzeichnet. Und das waren nur die drei größten | |
| Unternehmen. Meine Interpretation ist: Die Unternehmen haben so viel Geld, | |
| dass sie den Raum einfach kaufen, auch wenn sie möglicherweise gar keine | |
| Verwendung dafür haben. Sie können sie leerstehen lassen, wieder verkaufen | |
| oder an Firmen vermieten, die in der Nähe von Google oder Facebook sein | |
| wollen. | |
| Wenn Siemens eine Smart City in Berlin baut, ist das dann eigentlich noch | |
| etwas anderes als die „Urbanisierung des Silicon Valleys? | |
| Die Schaffung smarter Stadtteile ist Teil dieser Urbanisierung des Silicon | |
| Valley. Die Smart City schafft es, die Stadt zu einer Art Fabrik des | |
| Konsums zu machen, in der die Tech-Produkte und -Dienste nicht nur | |
| entwickelt, sondern auch gleich gekauft und genutzt werden. Das ist dann | |
| besonders schlecht, wenn die Bewohner:innen die Technologie nicht | |
| kontrollieren können. Aber selbst wenn sie es könnten, werden die | |
| Dienstleister hauptsächlich große Tech-Unternehmen sein, weil sie die | |
| Märkte dominieren. Sie haben die Produkte. | |
| In Berlin ist es vor allem die Wirtschaftssenatorin, die Berlin eine | |
| „Innovationsstadt“ nennt. In Kopenhagen und New York gibt es sogar einen | |
| Direktor für Innovation. Was macht der? | |
| Das ist eine exzellente Frage. Die kurze Antwort ist: Ich weiß es nicht – | |
| wenn man auf ihre Websites schaut, wird nicht klar, was sie genau tun. | |
| Soweit ich es beurteilen kann, haben die Direktoren für Innovation | |
| verschiedene Funktionen: Sie sind zum einen Mittler zwischen der | |
| Stadtregierung und den Interessen der Privatwirtschaft, um Partnerschaften | |
| zu schaffen. Eine andere Aufgabe ist, Dienste der Tech-Industrie in der | |
| Stadt zu lokalisieren, um diese attraktiv im Vergleich zu anderen Städten | |
| zu machen. Und zuletzt hilft der Direktor für Innovation der | |
| Stadtregierung, digitale Technologien selbst zu nutzen. Es ist wirklich | |
| seltsam, dass es so schwierig ist, etwas über sie herauszufinden. Was | |
| bringt einem Innovation für die Öffentlichkeit, wenn es keine Innovation | |
| mit der Öffentlichkeit ist? | |
| Wird der Trend um Innovation die Pandemie überleben? | |
| Ja, da bin ich mir sicher. Wenn es Firmen gerade gutgeht, dann sind es | |
| Tech-Unternehmen. Deren Börsenwert ist stark gestiegen, genau wie die Zahl | |
| der Investor:innen. | |
| Gibt es erfolgreiche Gegenbewegungen? | |
| Es ist schwer, eine wirklich autonome Bewegung gegen die Tech-Industrie zu | |
| schaffen. Aber das muss geschehen. Wir hatten in New York eine starke | |
| Opposition gegen Amazon, als in Queens das zweite Hauptquartier entstehen | |
| sollte. Aber in meinen Augen war das keine Bewegung, die Tech kontrollieren | |
| will, nicht einmal auf der lokalen Ebene – von den großen Problemen wie | |
| Überwachung oder Ausbeutung gar nicht gesprochen. Die Initiative Berlin vs. | |
| Amazon ist da anders. Ich würde mir eine Bewegung wie Berlin vs. Amazon | |
| auch für New York wünschen. | |
| Wie könnte sich die Tech-Industrie denn überhaupt kontrollieren lassen? | |
| Es wäre grandios, wenn die Städte im Besitz von Unternehmensanteilen wären. | |
| Was ich vorschlage, ist also eine neue Form kommunalen Besitzes von Teilen | |
| der Tech-Industrie. Wenn Berlin Amazon-Aktien besitzt, wäre das großartig | |
| für die Regierung. Denn mit Besitz kommt Kontrolle. Leider höre ich bisher | |
| nur wenige Stimmen, die das fordern. | |
| 31 Dec 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| Jannis Hartmann | |
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